Verfahrensgang
LG Dessau (Urteil vom 12.08.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 12. August 2002 mit den Feststellungen aufgehoben
- soweit der Angeklagte wegen Verkaufs von Heroin an … M. verurteilt worden ist (Fälle 16 bis 26 der Urteilsgründe),
- im gesamten Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im übrigen – wegen „unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre durch Verkauf an Personen unter 18 Jahren” in 26 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlußformel ersichtlichen Teilerfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung in den Fällen des Verkaufs von Heroin an den zu den Tatzeiten Jugendlichen … M. (Fälle 16 bis 26 der Urteilsgründe, UA 4) beruht auf keiner tragfähigen Grundlage. Das Landgericht stützt sie ausschließlich auf die Angaben des Zeugen M.. Dieser vermochte sich in der Hauptverhandlung aber nicht mehr zweifelsfrei zu erinnern, ob er von dem Angeklagten Heroin gekauft hat. Er hat ausgesagt, er habe bei „den Schwarzafrikanern” in der Nähe des Asylbewerberheims ständig Heroin gekauft. Es könne sein, daß er den Angeklagten unter dem Namen „E.” kenne, es gebe aber „10 E.s”. Wenn er bei der Polizei angegeben habe, daß er bei „E.” elfmal Heroin gekauft habe, so könne er das „heute” (d.h. in der Hauptverhandlung) nicht mehr zuordnen. Die Personen, die er bei der Lichtbildvorlage (durch die Polizei) herausgesucht habe (u.a. den Angeklagten) seien Drogenverkäufer gewesen; was er damals gesagt habe, „sei so seine Erinnerung gewesen”.
Die Strafkammer geht trotz der „erheblichen Erinnerungslücken”, die der seit Jahren heroinabhängige Zeuge hatte, davon aus, daß seine Aussage „geeignet” sei, den Tatnachweis zu führen. Sie setzt sich aber weder damit auseinander, daß die anderen Zeugen den Angeklagten übereinstimmend nicht als „E.”, sondern als „J.” bezeichnet haben (UA 5, 9), noch damit, daß der Zeuge M. bei der Polizei möglicherweise nur die Vorstellung hatte, (auch) der Angeklagte habe ihm Heroin verkauft, und daß eine Verwechslung des Angeklagten mit einer – ähnlich aussehenden (vgl. UA 9) – Person möglich sein könnte. Das Landgericht erörtert auch nicht, ob sich der vom Zeugen gegen andere angebliche Drogenverkäufer gerichtete Tatverdacht bestätigt hat. Eine derart lückenhafte Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft (vgl. BGH NStZ 2002, 48; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 5, 13).
2. Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils muß insgesamt aufgehoben werden, weil das Landgericht für alle abgeurteilten Fälle zu Lasten des Angeklagten gewertet hat, daß sich „durch diese Heroinverkäufe” – was dadurch belegt sei, daß die beiden jugendlichen Käufer (H. und M.) heroinabhängig geworden seien – „genau dasjenige mitverwirklicht (habe), was der Gesetzgeber (habe) verhindern (wollen)”. Diese Erwägung – die den Feststellungen insofern widerspricht, als beide Zeugen bereits vor den festgestellten Verkäufen heroinabhängig waren (UA 3/4, 6) – verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB, weil die besondere Schutzbedürftigkeit von Jugendlichen der Grund für die in § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG geregelte erhöhte Strafbarkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2001 – 3 StR 352/01).
3. Die Fälle 16 bis 26 der Urteilsgründe und die Strafbemessung bedürfen daher erneuter tatrichterlicher Entscheidung. Bei der Strafzumessung werden auch die in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 14. November 2002 angesprochenen – bisher nicht erörterten – Strafzumessungsgesichtspunkte zu berücksichtigen sein. Insbesondere wird zu beachten sein, daß die Gesamtstrafe unter angemessener Erhöhung der Einsatzstrafe zu bilden ist und diese Erhöhung niedriger ausfallen kann, wenn – wie hier – zwischen den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht (vgl. Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 54 Rdn. 10 m.w.N.). Es wird auch
zu prüfen sein, ob im Hinblick auf die gegen den Angeklagten verhängten rechtskräftigen Geldstrafen (UA 3) eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) in Betracht kommt.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2565537 |
StV 2003, 542 |