Leitsatz (amtlich)
›§ 213 1. Alt. StGB setzt nicht voraus, daß die dem Täter von dem Tatopfer zugefügte Mißhandlung einen tatbestandlichen Erfolg im Sinne des § 223 StGB herbeigeführt hat.‹
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist nach dem eindeutigen Wortlaut des gestellten Antrags und nach dem erkennbaren Willen des Beschwerdeführers auf den Strafausspruch beschränkt. Der Wirksamkeit dieser Beschränkung steht nicht entgegen, daß mit der formellen Rüge eine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts beanstandet wird (§ 338 Nr. 1 StPO). Die Revision kann, solange sie dadurch nicht widersprüchlich wird, auch dann auf den Strafausspruch beschränkt werden, wenn, wie in den Fällen einer Rüge nach § 338 Nr. 1 - 7 StPO, ein Verfahrensfehler beanstandet wird, der auch den Schuldspruch berührt und ohne eine Beschränkung des Rechtsmittels das Urteil insgesamt zu Fall brächte (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 41. Aufl. § 344 Rdn. 7; Pikart in KK/StPO 3. Aufl. §§ 338 Rdn. 6, 344 Rdn. 6; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 5. Aufl., Rdn. 90 m.w.N.).
2. Der Strafausspruch hält schon aufgrund der Sachrüge rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf die Verfahrensrüge, die im übrigen nicht formgerecht erhoben worden und deswegen unzulässig ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), kommt es daher nicht an.
a) Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte seine Ehefrau im Rahmen einer von ihr begonnenen Auseinandersetzung: Die Ehefrau hatte den Angeklagten zunächst grundlos beschimpft, worauf dieser nicht reagiert hatte. Sie hatte sich dann plötzlich mit einem ca. 30 cm langem Fleischmesser bewaffnet und ihn mit den Worten bedroht: "Ich steche Dich ab!". Zweimal hatte sie versucht zuzustechen. Dem Angeklagten war es schließlich gelungen, ihr das Messer zu entwinden. Als seine Ehefrau gleichwohl nicht von ihm abließ, sondern versuchte, ihm mit dem Knie in die Hoden zu treten, kam dem Angeklagten "schlagartig die Gefährlichkeit des Angriffs und die Tatsache zu Bewußtsein, daß P., die Frau, die er einmal geliebt hatte, ihn haßte und ihn nicht nur verletzen wollte, sondern mit dem Messer hatte töten wollen. Starke und unkontrollierte Angst ... und tiefe Verzweiflung bemächtigten sich seiner" (UA 7). In diesem Moment beschloß der Angeklagte, seine Ehefrau mit dem Messer zu töten. Er stach zweimal zu. Jeder der Stiche war für sich tödlich.
Die Strafkammer hat einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 1. Alt. StGB verneint: Der Angeklagte sei "weder durch eine Mißhandlung noch durch eine schwere Beleidigung von seiner Ehefrau zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden. P. griff den Angeklagten zwar mit einem Messer an, es kam aber nicht zu Verletzungen. Ihre Absicht, den Angeklagten in die Geschlechtsteile zu treten, konnte sie nicht mehr ausführen. Daher ist die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten nicht wesentlich beeinträchtigt worden" (UA 11, 12).
b) Diesen Erwägungen liegt ein zu enges Verständnis der Begriffe "zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung" in § 213 1. Alt. StGB zugrunde.
Beide Merkmale sind nicht im technischen Sinne der Tatbestände des Strafgesetzbuchs zu verstehen (RG JW 1932, 2719; Jähnke in LK StGB 10. Aufl. § 213 Rdn. 4; Eser in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 213 Rdn. 5; v. Holtzendorff, Handbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Bd. 1874, S. 437). Für die Annahme einer dem Täter von dem Tatopfer zugefügten Mißhandlung ist deshalb nicht erforderlich, daß diese vollendet wurde und einen tatbestandlichen Erfolg im Sinne des § 223 StGB herbeigeführt hat (v. Holtzendorff aaO. S. 438). Als Mißhandlungen können sich nicht nur körperliche Beeinträchtigungen darstellen; in Betracht kommen auch seelische Mißhandlungen (Eser aaO. Rdn. 5; Lackner StGB 20. Aufl. § 213 Rdn. 2). Eine solche kann je nach den Umständen - insbesondere der Gefährlichkeit der Bedrohung - auch in einem fehlgeschlagenen Angriff auf Leib oder Leben liegen. Entscheidend für die Anwendung des § 213 1. Alt. StGB kann bei einer am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierten Auslegung nicht sein, ob das körperliche Wohlbefinden des Täters durch eine Mißhandlung mehr als unerheblich beeinträchtigt worden ist oder ihm Verletzungen zugefügt worden sind. Maßgeblich ist vielmehr, ob die zugefügte Mißhandlung oder Beleidigung von dem Gewicht war, daß sie "eine gegen das Leben gerichtete Jähtat als verständliche Reaktion erscheinen" läßt (Jähnke aaO. Rdn. 4).
Daran gemessen kann nicht zweifelhaft sein, daß der Angeklagte im Sinne des § 213 1. Alt. StGB durch eine ihm von seiner Ehefrau zugefügte Mißhandlung zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist. Das Reichsgericht ist zur Anwendung dieser Alternative der Vorschrift - allerdings durch Annahme einer schweren Beleidigung - schon für den Fall der bloßen Bedrohung mit einem Feuerhaken gekommen (RG HRR 1935, Nr. 31; kritisch dazu Jähnke aaO., Rdn. 8). Hier hatte die Ehefrau des Angeklagten diesen nicht nur bedroht, sondern zweimal, wenn auch erfolglos, mit dem Messer zugestochen. Nachdem er ihr das Messer entwunden hatte, setzte sie ihre Angriffe auf seine körperliche Unversehrtheit durch den Versuch fort, ihm in sein Geschlechtsteil zu treten. Dabei kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß sie den Angeklagten durch einen solchen Tritt in der Vergangenheit bereits einmal so schwer verletzt hatte, daß er operiert werden mußte (UA 4). Unter diesen Umständen steht es der Bewertung der Tat des Angeklagten als einer verständlichen Reaktion nicht entgegen, daß die Mißhandlungen durch seine Ehefrau nicht den beabsichtigten Erfolg hatten und er unverletzt blieb.
3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
Die Strafkammer hat die Tat des Angeklagten zwar als einen minder schweren Fall des Totschlags im Sinne der 2. Alternative des § 213 StGB angesehen und die Strafe dieser Vorschrift entnommen. Zu der Annahme eines minder schweren Falles ist sie aber nur unter Berücksichtigung der bei dem Angeklagten zur Tatzeit gegebenen erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit gekommen. Ausgehend davon hat die Strafkammer - folgerichtig - eine weitere Milderung der Strafe nach den §§ 21, 49 StGB mit Blick auf § 50 StGB abgelehnt (UA 13).
Entgegen diesen Erwägungen ist aber, wenn - wie hier - die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 213 StGB vorliegen, die Strafmilderung nach dieser Vorschrift zwingend (BGHSt 25, 222, 224; Jähnke aaO. Rdn. 2 m.w.N.) und unabhängig davon geboten, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert war. Dementsprechend stünde § 50 StGB einer weiteren Milderung nach den §§ 21, 49 StGB nicht entgegen. Diese würde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der schuldmindernde hochgradige Angst- und Zornaffekt des Angeklagten eine wesentliche Ursache in der tatprovozierenden Mißhandlung hatte, also in dem Umstand, der auch die Anwendung des § 213 1. Alt. StGB begründet (vgl. BGHR StGB § 50 Mehrfachmilderung 3). Im übrigen war die Steuerungsfähigkeit nach den Urteilsgründen nicht nur als Folge der Tatprovokation erheblich herabgesetzt, sondern "nicht zuletzt auch wegen seines Schlafmangels in den letzten 24 Stunden vor der Tat" (UA 12).
4. Die dem Strafausspruch zugrunde liegenden Feststellungen werden von dem Rechtsfehler nicht berührt; sie können bestehenbleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 2993320 |
NJW 1995, 1910 |
NStZ 1995, 287 |
MDR 1995, 730 |
StV 1996, 30 |