Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindesunterhalt; Kindergeldanrechnung bei Verpflichtung zur Zahlung des Regelbetrages in den neuen Bundesländern
Leitsatz (amtlich)
Schuldet der Unterhaltspflichtige Kindesunterhalt nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung, richtet sich auch die Anrechnung des Kindergeldes i.S.v. § 1612b Abs. 5 BGB nach den Werten dieser Regelbeträge (Ost).
Normenkette
BGB § 1612b Abs. 5; Regelbetrag-VO §§ 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Kindesunterhalt.
Der Antragsgegner hatte mit Zustimmung der Kindesmutter anerkannt, der Vater des Antragstellers zu sein, und sich in einer Jugendamtsurkunde v. 16.12.1999 verpflichtet, an ihn Unterhalt i.H.v. 100 % des Regelbetrags der jeweiligen Altersstufe abzgl. hälftigen Kindergeldes zu leisten. Mit dem vorliegenden Antrag im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger begehrt der Antragsteller im Hinblick auf die Neuregelung in § 1612b Abs. 5 BGB einen vollständigen Wegfall der Kindergeldanrechnung.
Das AG hat ausgesprochen, dass sich der festgesetzte Unterhalt ab Antragseingang nur insoweit um das hälftige Kindergeld vermindert, als es zusammen mit dem Unterhalt 135 % des jeweiligen Regelbetrages übersteigt. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das OLG die Anrechnung des Kindergeldes für die Zeit ab Antragseingang bis zum 30.9.2005 konkret auf monatlich 12 EUR begrenzt und entschieden, dass eine Anrechnung des Kindergeldes ab dem 1.10.2005 nicht mehr erfolgt. Dagegen richtet sich die - vom Beschwerdegericht zugelassene - Rechtsbeschwerde des Antragstellers, für die er Prozesskostenhilfe begehrt.
II.
Dem Antragsteller ist die begehrte Prozesskostenhilfe zu versagen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO). Zwar dürfen die Voraussetzungen an eine Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht überspannt werden, weil Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) eine weit gehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes gebietet (BVerfG FuR 2004, 400 [401], m.w.N.). Auch bei Anlegung dieses strengen Maßstabs war es im vorliegenden Fall aber nicht geboten, dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zur Durchführung seiner Rechtsbeschwerde zu gewähren, weil schon nach einer summarischen Prüfung von vornherein keine Erfolgsaussicht gegeben war.
1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in OLGReport Naumburg 2004, 333 veröffentlicht ist (OLG Naumburg v. 5.2.2004 - 3 WF 199/03, OLGReport Naumburg 2004, 333), ist zutreffend von § 1612b Abs. 5 BGB ausgegangen, wonach eine Anrechnung des Kindergeldes unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige außer Stande ist, Unterhalt i.H.v. 135 % des Regelbetrags nach der Regelbetrag-Verordnung (Regelbetrag-VO) zu leisten. Weil die Parteien in den neuen Bundesländern leben und der Antragsgegner deswegen lediglich in Höhe der Regelbeträge nach § 2 der Regelbetrag-VO unterhaltspflichtig ist, sei auch im Rahmen des § 1612b Abs. 5 BGB auf diese Beträge abzustellen. Deswegen verbleibe bei dem vom Antragsgegner geschuldeten Unterhalt i.H.v. 100 % des Regelbetrags während der ersten Altersstufe bis zur Vollendung des fünften Lebensjahres lediglich eine Anrechnung i.H.v. 12 EUR monatlich (Regelbetrag Ost = 183 EUR abzgl. 171 EUR, die sich als Differenz zwischen 135 % des Regelbetrags Ost ≪248 EUR≫ und dem halben Kindergeld ≪77 EUR≫ ergeben). Ab Beginn des sechsten Lebensjahres verbleibe in der zweiten Altersstufe kein anrechenbares Kindergeld mehr (Regelbetrag Ost = 222 EUR abzgl. 223 EUR, die sich als Differenz zwischen 135 % des Regelbetrags Ost ≪300 EUR≫ und dem halben Kindergeld ≪77 EUR≫ ergeben).
Der 1. Senat für Familiensachen des OLG Naumburg hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil er von der ständigen Rechtsprechung des 2. Senats für Familiensachen dieses Gerichts abweiche, wonach für die Begrenzung der Kindergeldanrechnung nach § 1612b Abs. 5 BGB stets auf die Regelbeträge des § 1 der Regelbetrag-VO abzustellen sei.
2. Die angefochtene Entscheidung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand. Zu Recht hat das Beschwerdegericht auch bei der Begrenzung der Kindergeldanrechnung nach § 1612b Abs. 5 BGB auf die - geringeren - Regelbeträge für die neuen Bundesländer in § 2 der Regelbetrag-VO abgestellt.
a) Zwar verfolgt die gesetzliche Regelung in § 1612b Abs. 5 BGB allgemein das Ziel, das Existenzminimum eines Kindes sicherzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats besitzen minderjährige Kinder ohne Einkünfte allerdings keine eigene unterhaltsrechtlich relevante Lebensstellung i.S.d. § 1610 Abs. 1 BGB. Sie leiten ihre Lebensstellung vielmehr von derjenigen ihrer unterhaltspflichtigen Eltern ab. Mit der Aufhebung der früheren Vorschrift des § 1610 Abs. 3 BGB über den Regelunterhalt nicht ehelicher Kinder ist auch die Definition des Mindestbedarfs im Unterhaltsrecht entfallen. Die an dessen Stelle getretenen Regelbeträge sollten als Basiswerte der Unterhaltstabellen und als Bezugsgrößen für die Unterhaltsanpassung dienen. In Höhe der Regelbeträge sollte das Kind zwar von der Darlegungs- und Beweislast für seinen Bedarf befreit sein; von der Festlegung eines Mindestbedarfs wurde aber bewusst abgesehen (BGH, Urt. v. 6.2.2002 - XII ZR 20/00, MDR 2002, 644 = BGHReport 2002, 323 = FamRZ 2002, 536 [538], m.w.N. aus dem Gesetzgebungsverfahren). Da § 1612b Abs. 5 BGB allerdings vorsieht, dass eine Anrechnung des Kindergeldes bereits dann unterbleibt, wenn der Unterhaltspflichtige außer Stande ist, Unterhalt i.H.v. 135 % des Regelbetrages nach der Regelbetrag-VO zu leisten, erscheint es gerechtfertigt, diesen pauschalen S. auch für das in die Mangelverteilung einzustellende Existenzminimum von Kindern heranzuziehen (BGH, Urt. v. 22.1.2003 - XII ZR 2/00, MDR 2003, 573 = BGHReport 2003, 379 = FamRZ 2003, 363 [365]; Urt. v. 29.1.2003 - XII ZR 289/01, MDR 2003, 749 = BGHReport 2003, 492 = FamRZ 2003, 445 [447], m.w.N.; BVerfG v. 9.4.2003 - 1 BvL 1/03, 1 BvR 1749/01, BVerfGE 108, 52 ff. = FamRZ 2003, 1370 [1373]).
b) Allerdings ist damit noch nichts darüber gesagt, ob das sächliche Existenzminimum in den neuen und den alten Bundesländern in gleicher Höhe bemessen werden muss. Solches ergibt sich jedenfalls nicht aus der einheitlichen Höhe des Kindergeldes nach § 6 BKGG. Denn das Kindergeld kann die Unterhaltslast der Eltern allenfalls mindern; Rückschlüsse auf die Höhe des sächlichen Existenzminimums und damit auch auf die Frage, ob dieses in den neuen Bundesländern gleich hoch ist wie im Übrigen Bundesgebiet, lassen sich daraus nicht ziehen. Gegen ein einheitliches sächliches Existenzminimum spricht vielmehr der Inhalt der nach § 1612a Abs. 3 bis 5 BGB erlassenen und in § 1612b Abs. 5 BGB in Bezug genommenen Regelbetrag-VO, die auf der Grundlage der durchschnittlich verfügbaren Arbeitsentgelte, die letztlich auch zu unterschiedlichen Lebenshaltungskosten führen, für die neuen Bundesländer und das übrige Bundesgebiet unterschiedliche Regelbeträge festlegt. Entsprechend verweist § 1612b Abs. 5 BGB, der einen Barunterhalt i.H.v. 135 % des Regelbetrags der ersten Einkommensstufe abzgl. halben Kindergeldes sicherstellen will, nicht ausdrücklich auf einen der Regelbeträge in den §§ 1 und 2 der Regelbetrag-VO. Vielmehr erklärt § 1612b Abs. 5 BGB nach seinem Wortlaut die Vorschriften der Regelbetrag-VO allgemein für anwendbar, ohne sich auf die Regelbeträge nach dessen § 1 oder § 2 zu beschränken. Auch aus systematischer Sicht spricht dieser allgemeine Verweis deswegen für die Anwendbarkeit des jeweils geschuldeten Regelbetrags bei der Anrechnung des Kindergeldes nach § 1612b Abs. 5 BGB.
Letztlich würde es auch zu unbilligen Ergebnissen führen, wenn der Antragsgegner Unterhalt zwar nur nach den geringeren Regelbeträgen des § 2 der Regelbetrag-VO schuldet, nach § 1612b Abs. 5 BGB das ihm zustehende hälftige Kindergeld aber einsetzen müsste, um Kindesunterhalt i.H.v. 135 % nach den höheren Regelbeträgen des § 1 der Regelbetrag-VO sicherzustellen. Deswegen wird auch in der Literatur ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Anrechnung des Kindergeldes nach § 1612b Abs. 5 BGB im Rahmen einer Unterhaltsverpflichtung nach § 2 der Regelbetrag-VO nur insoweit unterbleibt, wie der Unterhaltspflichtige außer Stande ist, Unterhalt i.H.v. 135 % nach § 2 der Regelbetrag-VO zu leisten (Wendl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 2 Rz. 510; FA-FamR/Gerhardt, 4. Aufl., 6. Kap. Rz. 151a; Scholz/Stein/Erdrich, Praxishandbuch Familienrecht, Teil I Rz. 35; Weinreich/Klein, Kompaktkommentar Familienrecht, § 1612b Rz. 46; Schwab/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts, 5. Aufl., Teil IV Rz. 1109). Entsprechend sieht auch die als Vortabelle zur Düsseldorfer Tabelle auf der Grundlage der Regelbeträge (Ost) erstellte Berliner Tabelle (FamRZ 2003, 906 [908]) eine eigenständige Kindergeldabzugstabelle für solche Fälle vor, in denen Unterhalt nach den Regelbeträgen für die neuen Bundesländer (§ 2 Regelbetrag-VO) geschuldet wird.
Der Antragsgegner schuldet deswegen nach § 1612b Abs. 5 BGB nur einen Zahlbetrag i.H.v. 135 % nach § 2 der Regelbetrag-VO abzgl. des hälftigen Kindergeldes, also i.H.v. 171 EUR (248 EUR - 77 EUR). Der anerkannte Tabellenbetrag nach § 2 der Regelbetrag-VO, der mit dem Betrag der ersten Einkommensgruppe der Berliner Tabelle übereinstimmt, beläuft sich hingegen auf 183 EUR monatlich. In Höhe der Differenz von monatlich 12 EUR (183 EUR - 171 EUR) kann der Antragsgegner deswegen nach § 1612b Abs. 1, 5 BGB das Kindergeld auf seine Unterhaltspflicht während der ersten Altersstufe anrechnen, so dass sich ein Zahlbetrag i.H.v. monatlich 171 EUR für den Zeitraum v. 7.8.2003 bis zum 30.9.2005, um den es hier allein geht, ergibt.
Fundstellen
NJW 2005, 1495 |
BGHR 2005, 793 |
FamRZ 2005, 611 |
FamRZ 2007, 425 |
FuR 2005, 251 |
FPR 2005, 527 |
MDR 2005, 814 |
NJ 2005, 309 |
FamRB 2005, 164 |
ZFE 2005, 167 |