Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 21.04.2005) |
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Angeklagte seine Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. April 2005 wirksam zurückgenommen hat.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten ist wirksam zurückgenommen worden.
Rz. 2
Hierzu hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
„1. Die am 25. April 2005 innerhalb der Frist des § 341 Abs. 1 StPO eingelegte Revision des Beschwerdeführers ist von seinem Wahlverteidiger Rechtsanwalt B. mit Schreiben vom 8. Juni 2005 wirksam zurückgenommen worden (§ 302 Abs. 1 StPO). Dabei lag die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Verteidigers durch den Beschwerdeführer, die keiner besonderen Form bedarf (vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 6), vor, wie sich aus dem Schreiben selbst ergibt.
2. Die Zurücknahme des Rechtsmittels war weder von Anfang an unwirksam noch ist sie durch den am 4. Juli 2005 beim Landgericht eingegangen Schriftsatz von Rechtsanwalt B. wirksam angefochten worden. Die Revisionsrücknahme ist ebenso wie der Rechtsmittelverzicht als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. BGHSt, 46, 257, 258; BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 6; Senat in StV 2001, 556; BGH, Beschluss vom 13. Mai 2003 – 4 StR 135/03 –). Nur in eng begrenztem Umfang erkennt die Rechtsprechung Ausnahmen an. In Betracht kommen insbesondere die Fälle schwerer Willensmängel (vgl. BGHSt 46, 257, 258). Die Rechtsmittelrücknahme ist daher ausnahmsweise dann unwirksam, wenn sie durch Drohung, durch Täuschung oder durch eine versehentlich unrichtige Auskunft veranlasst worden ist (vgl. BGHSt 45, 51, 53; Senat in StV 2001, 556; jeweils m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
Der Beschwerdeführer hat die Revision im Bewusstsein der Tragweite seines Tuns zurückgenommen. Ihm war auf Grund des von Rechtsanwalt B. mit dem Vorsitzenden der Strafkammer gesuchten Rechtsgesprächs bekannt, dass eine Außervollzugsetzung des gegen ihn bestehenden Haftbefehls auch gegen eine Kautionsleistung von 20.000 Euro wegen der fortbestehenden Fluchtgefahr nicht in Betracht kommen konnte, wenn nicht weitere neue Umstände hinzutreten würden, die gegen eine Flucht des Beschwerdeführers sprechen.
b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers wurde die Rechtsmittelrücknahme vom Gericht nicht mit unlauteren Mitteln erlangt. Eine unzulässige Beeinflussung der freien Willensbildung des Beschwerdeführers liegt nicht vor.
aa) Anhaltspunkte dafür, dass der Haftbefehl gegen ihn auch ohne Änderung der Sachlage außer Vollzug zu setzen gewesen wäre, bestehen nicht. Dass die bei der Urteilsfällung gemäß § 268b StPO zugleich getroffene Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtsfehlerhaft gewesen sei, behauptet auch der Beschwerdeführer nicht. Die auch in dem Haftverschonungsbeschluss zum Ausdruck kommende Auffassung des Landgerichts, die ernst gemeinte Ankündigung einer Rechtsmittelrücknahme könne bei einem bis dahin jegliche Tatbeteiligung bestreitenden Angeklagten (UA S. 59) einen neuen Umstand darstellen, der im Rahmen der gebotenen Abwägung der für und gegen eine Flucht sprechenden Umstände (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 112 Rdnr. 19) die Erwartung rechtfertigen könne, der Angeklagte werde sich der Strafvollstreckung nicht entziehen, weil er nun das Unrecht seines Tuns eingesehen habe (vgl. Boujong in KK, StPO, 5. Aufl., § 112 Rdnr. 22 zum Geständnis), ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Eine – wie die Revision behauptet – sachwidrige Verknüpfung von Haftverschonung und Revisionsrücknahme liegt darin nicht. Somit beruht die Rechtsmittelrücknahme weder auf einer Täuschung noch auf unrichtigen Auskünften des Gerichts.
bb) Der Beschwerdeführer wurde auch nicht durch eine unzulässige Drohung mit (rechtswidriger) Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu einer Rechtsmittelrücknahme genötigt. Bei unveränderter Sachlage bestand für das Landgericht kein rechtlicher Grund, eine von der gemäß § 268b StPO getroffenen Anordnung der Untersuchungshaft inhaltlich abweichende Entscheidung zu treffen und dem Angeklagten Haftverschonung zu gewähren. Im Übrigen ist auszuschließen, dass ein erfahrener Strafverteidiger wie Rechtsanwalt B. sich auf unlautere Absprachen mit dem Gericht einlassen würde. Vielmehr hätte er eine Haftbeschwerde eingelegt, wenn er die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft für unrechtmäßig gehalten hätte. Ebenso ist auszuschließen, der Vorsitzende Richter könnte mit der vorgeschlagenen Vorgehensweise beabsichtigt haben, das angefochtene Urteil einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zu entziehen. Für diese fern liegende Vermutung bestehen keine Anhaltspunkte, zumal das Urteil auch von den drei Mitangeklagten mit der Revision angefochten wurde und deshalb in jedem Fall dem Senat zur Überprüfung vorzulegen war.”
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Gerhardt, Raum
Fundstellen
Haufe-Index 2555566 |
NStZ-RR 2008, 66 |
StraFo 2006, 244 |