Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 16.10.2001) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16. Oktober 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und besonders schwerer Brandstiftung zu zwölf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Es sah den Angeklagten als überführt an, eine von ihm als Pfleger betreute 91jährige Altenheiminsassin heimtückisch und zur Befriedigung des Geschlechtstriebes getötet und anschließend das Bett mit der Leiche in Brand gesetzt zu haben, um Spuren zu vernichten und vorzutäuschen, das Opfer sei mit brennender Zigarette eingeschlafen. Das Schwurgericht stellte bei dem Angeklagten eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit infolge Epilepsie und daraus folgender psychischer Beeinträchtigungen fest.
Die Revision des Angeklagten führt mit einer Verfahrensrüge im Zusammenhang mit der Ablehnung eines Beweisantrags zur Aufhebung des Urteils.
1. Der Verteidiger hatte die Vernehmung eines Brandsachverständigen zum Beweis der Tatsache rückstandslosen Verbrennens von Windeln beantragt. Der Beweisantrag war eine Reaktion auf einen rechtlichen Hinweis betreffend eine mögliche Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes zur Befriedigung des Geschlechtstriebes. Der Verteidiger wollte damit den – unter Umständen auf die Auffindesituation der teilweise verbrannten Leiche zu stützenden – Nachweis entkräften, daß die Frau in der Tatsituation am Unterleib entblößt gewesen war.
Das Schwurgericht hat den Beweisantrag wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung abgelehnt. Ein sexueller Tathintergrund sei auch für den Fall nicht ausgeschlossen, daß das Opfer eine Windel getragen habe; der Angeklagte könne „einen sexuellen Tatanreiz auch bei geschlossener Windel bekommen haben”.
Die damit zugesagte Unerheblichkeit der Beweisbehauptung hat das Schwurgericht im Urteil nicht eingehalten. Es hat seine Überzeugung vom Vorhaben des Angeklagten, mit der anschließend getöteten Frau geschlechtlich zu verkehren, auf eine Gesamtbetrachtung der – freilich unter Hinweis auf Erinnerungsmängel lückenhaften – Einlassung des kein Tatmotiv angebenden Angeklagten, des Verletzungsbildes des Opfers und seiner Auffindesituation gestützt (UA S. 21 bis 23). Als Auffindesituation hat es die Stellung der Leiche schräg im Bett, nicht in normaler Schlafposition, mit gespreizten Beinen verwertet; ergänzend hat es ausgeführt, aus Lichtbildern ergebe sich „auch der Anschein, daß das Opfer nicht bekleidet war, also keine Windel und kein Nachthemd trug” (UA S. 23). Die so begründete Beweiswürdigung und die mit dem erwähnten „Anschein” übereinstimmende Feststellung, daß das Opfer keine Windel – freilich im Widerspruch hierzu ein Nachthemd – getragen habe (UA S. 8), belegt – begründet jedenfalls mindestens die Besorgnis –, daß das Schwurgericht im Rahmen seiner Gesamtbetrachtung zur Feststellung der Tatmotivation auch eine Entblößung des Unterleibs der getöteten Frau in der Tatsituation mitverwertet hat. Dies steht im Widerspruch zur Begründung der tatsächlichen Bedeutungslosigkeit bei der Ablehnung des Beweisantrags; hierin liegt ein Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 22 m. w. N.).
2. Dieser widersprüchlichen Verwertung mag zwar im Rahmen der Beweiswürdigung keine vorrangige Bedeutung zuzumessen sein. Angesichts einer insgesamt außerordentlich knappen Beweisdecke als Grundlage für die Annahme des Mordmerkmals der Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebes läßt sich gleichwohl ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß nicht ausschließen. Wegen des engen Zusammenhangs des gesamten Tatgeschehens und einer möglichen Relevanz sämtlicher Feststellungsdetails für den gesamten Schuldspruch zieht der Verstoß auch die umfassende Aufhebung des Urteils nach sich.
3. Auf die von der Revision vorgetragenen sachlichrechtlichen Bedenken gegen die Beweiswürdigung, das Mordmerkmal „zur Befriedigung des Geschlechtstriebes” betreffend, wird der neue Tatrichter Bedacht zu nehmen haben. Als Motivationsvariante wird möglicherweise auch eine Tötung im Rahmen einer Überforderungssituation des Angeklagten bei der pflegerischen Versorgung des Opfers zu erwägen sein; dies ließe ebenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen, daß der Angeklagte einen derartigen Tatanlaß nicht eingestehen wollte oder – auch begründet in seiner psychischen Situation – nicht eingestehen konnte.
Mit Recht erachtet die Revision zudem die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke als problematisch. Es versteht sich ohne nähere Begründung nicht unbedingt von selbst, daß eine überraschende sexualbezogene Attacke des Angeklagten gegen sein in dieser Situation ahnungsloses Opfer derart schnell in den vorsätzlich tödlichen Angriff umschlug, daß der maßgebliche Überraschungseffekt dabei noch andauerte (so BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3; vgl. hingegen aaO 4, 6, 13, 16, 22, 27).
Der Senat weist schließlich auf die von der Revision und im Terminsantrag des Generalbundesanwalts zum Ausdruck gebrachten Bedenken gegen die Beurteilung der Schuldfähigkeit auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens hin. Trotz der für sich nicht bedenklichen gesicherten Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB erscheint nicht ganz zweifelsfrei, ob das Schwurgericht mit Hilfe des gehörten Sachverständigen sämtliche in Betracht zu ziehenden schwierigen Probleme im Zusammenhang mit der Epilepsieerkrankung des Angeklagten – mit der denkbaren Folge einer noch stärkeren psychischen Beeinträchtigung bei Tatbegehung – hinreichend bedacht hat (vgl. dazu nur BGH StV 1992, 503; BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 10 m. w. N.; Bleuler, Lehrbuch der Psychiatrie 15. Aufl. S. 379, 404; Rasch, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 209 f.). Die neu erkennende Strafkammer wird zu erwägen haben, ob sie sich der Hilfe eines auf dem Gebiet epileptischer Anfallsleiden besonders erfahrenen Sachverständigen versichern sollte (vgl. BGH StV 1992, 503). Jedenfalls wird es sich, wie von der Revision im Rahmen von Verfahrensrügen angesprochen, anbieten, vorhandene diagnostische Erkenntnisse behandelnder Ärzte des Angeklagten in Erfahrung zu bringen und mitzuverwerten.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen