Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 22.12.2009) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. Dezember 2009, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unterblieben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Einbeziehung einer früheren Strafe aus einem Strafbefehl wegen „gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem schweren Raub, wegen Diebstahls, wegen Körperverletzung sowie wegen versuchter Nötigung” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und von dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Seine auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision hat nur in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
Rz. 2
1. Die Verfahrensrüge greift aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 15. April 2010 nicht durch; Schuld und Strafausspruch des angefochtenen Urteils weisen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf; gleiches gilt, soweit die Strafkammer von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. Insoweit ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 3
2. Das Urteil kann jedoch nicht bestehen bleiben, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterblieben ist.
Rz. 4
a) Das Landgericht hat sachverständig beraten festgestellt, dass bei dem Angeklagten eine ausgeprägte dissoziale Fehlentwicklung sowie daraus resultierend eine Alkoholabhängigkeit vorliege. Aufgrund einer akuten Alkoholintoxikation sei der Angeklagte bei Begehung der hier abgeurteilten Taten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen im Sinne des § 21 StGB (UA 43 und 45). Dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB komme jedoch u.a. deshalb nicht in Betracht, weil Hauptursache der Kriminalität nicht die Alkoholabhängigkeit sondern die Dissozialität des Angeklagten sei, die durch Alkohol und Drogen verstärkt werde. Diese ausgeprägte – allerdings nicht krankhafte – Dissozialität sei primär und in erster Linie für die Begehung der Straftaten ursächlich (UA 54).
Rz. 5
b) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift dazu ausgeführt:
Rz. 6
„Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet allerdings, dass sich das Landgericht mit der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht befasst hat. Das Landgericht hat sich mit dieser Maßregel ersichtlich deshalb nicht auseinandergesetzt, weil die für die verfahrensgegenständlichen Taten angenommene erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) jeweils durch die hochgradige Tatzeitalkoholisierung des Angeklagten bewirkt wurde. Dies schloss eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB indes noch nicht von vorneherein aus. Zwar kommt die Anwendung des § 63 StGB nur bei Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen ist (BGHSt 34, 22, 27). In Fällen, in denen die Verminderung der Schuldfähigkeit letztlich auf Alkoholgenuss zurückzuführen ist, kann § 63 StGB aber ausnahmsweise angewendet werden, wenn der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist (BGHSt 34, 313, 314; BGHR StGB § 63 Zustand 9)….
Rz. 7
Anlass zur Prüfung geben die Ausführungen des Sachverständigen zur dissozialen Fehlentwicklung des Angeklagten. Danach steht die Dissozialität des Angeklagten für die Delinquenz des Angeklagten zwar im Vordergrund (UA S. 40); sie ist in erster Linie für die Straftaten des Angeklagten ursächlich (UA S. 54). Nach den Ausführungen des gehörten Sachverständigen hat der Angeklagte aufgrund seiner dissozialen Fehlentwicklung und der damit einhergehenden Haltschwäche aber immer wieder einmal zum überbordenden Konsum psychotroper Substanzen geneigt (UA S. 40/42); aufgrund der dissozialen Entwicklung habe sich beim Angeklagten ein regelwidriger Umgang mit Alkohol sekundär realisiert (UA S. 40). Diese Feststellungen legen nahe, dass die dissoziale Fehlentwicklung des Angeklagten nicht nur für die Straftaten, sondern auch für den Alkoholkonsum des Angeklagten ursächlich ist und diese dazu geführt hat, dass er die abgeurteilten Straftaten im Zustand alkoholbedingter erheblich verminderter Schuldfähigkeit beging. Die weiteren Ausführungen des gehörten Sachverständigen, wonach der Angeklagte im Zustand des Alkoholrausches zu aggressiver Enthemmung neige (UA S. 54), bestätigen dies. Anhaltspunkte dafür ergeben sich zudem aus den Anlasstaten und den Vorverurteilungen des Angeklagten vom 20. November 2007 und vom 4. August 2008 (UA S. 12/13); zu den Tatzeitpunkten war der Angeklagte jeweils erheblich alkoholisiert….
Rz. 8
Die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen einer die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigenden krankhaften Alkoholsucht war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Landgericht – dem Sachverständigen folgend – die „Persönlichkeitsbesonderheit der Dissozialität” des Angeklagten als bloße „Fehlentwicklung” (UA S. 40), nicht aber als Krankheit gewertet hat (UA S. 42). Auch wenn diese Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten in ihrer Ausprägung noch nicht den Grad erreicht hat, der bereits für sich genommen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit geführt hat und die vom Landgericht angenommene Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten letztlich erst durch seine jeweils aktuelle Alkoholintoxikation herbeigeführt worden ist, kann darin nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein Zustand gesehen werden, der die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen vermag (BGHSt 44, 338; BGH NStZ-RR 2007, 138).”
Rz. 9
c) Dem folgt der Senat, weil nicht sicher auszuschließen ist, dass die Strafkammer nach sachverständiger Beratung bei Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hätte. Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO steht nicht entgegen.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Fischer, Roggenbuck, Appl, Bender
Fundstellen