Verfahrensgang
LG Osnabrück (Urteil vom 18.02.2016) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 18. Februar 2016, soweit es ihn betrifft und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 22 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
Während Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweisen, hat das Urteil keinen Bestand, soweit das Landgericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat. Die Strafkammer hat die Nichtanordnung damit begründet, es könne nicht sicher festgestellt werden, dass der Angeklagte den Hang habe, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Im Übermaß bedeute, dass der Täter berauschende Mittel in einem Umfang zu sich nehme, der seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtige; dies habe indes nicht positiv festgestellt werden können. Damit hat das Landgericht einen unzutreffenden Maßstab für die Annahme eines Hangs im Sinne von § 64 StGB angelegt.
Rz. 3
Der Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen. Das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indes nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus, der insbesondere bei Beschaffungskriminalität in Betracht kommt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210; Beschluss vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, juris Rn. 10). Dies hat die Strafkammer verkannt. Dabei liegen die vorstehenden Voraussetzungen eines Hangs angesichts der Feststellungen nahe, wonach bei ihm eine langjährige Betäubungsmittelabhängigkeit besteht (täglicher Konsum von 1 bis 2 g Marihuana; am Wochenende bis 3,5 g), die Taten überwiegend der Finanzierung seines Betäubungsmittelkonsums dienten, er die erste Tat bereits sechs Monate nach dem Tag beging, an dem die Berufung gegen seine Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verworfen worden war, und er während siebzehn Taten – nach zwischenzeitlich eingetretener Rechtskraft der Vorverurteilung – unter laufender Bewährung stand. Soweit die Strafkammer abschließend zwar das soziale Leben des Angeklagten trotz dessen Betäubungsmittelabhängigkeit als nicht gefährdet angesehen hat, weil dieser in einer langjährigen Beziehung lebe, die Beziehung zu seiner Familie intakt sei und er sein Verhalten so anpassen konnte, dass sein Konsum unentdeckt blieb, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Ungeachtet der erheblichen Freiheitsstrafe und der hiermit einhergehenden Folgen für den Angeklagten, zu denen sein Marihuanakonsum ihn trotz der nur kurze Zeit vor den Taten verhängten Bewährungsstrafe geführt hat, hat das Landgericht insoweit nicht berücksichtigt, dass die Maßregel des § 64 StGB in erster Linie dem Schutz der Öffentlichkeit vor gefährlichen Tätern dient (BGH, Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 328, 332; Beschluss vom 15. Mai 1996 – 1 StR 257/96, NStZ-RR 1996, 257) und deshalb – wie dargestellt – auch die Gefährlichkeit des Täters für das Merkmal des Hangs wesentlich ist.
Rz. 4
Da auch das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO, vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5); er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
Rz. 5
Der Senat schließt aus, dass die rechtsfehlerhafte Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB Einfluss auf den Strafausspruch gehabt hat. Dieser kann daher bestehen bleiben.
Rz. 6
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Einstellungsbeschluss des Landgerichts vom 10. Februar 2016 (Band VIII, Bl. 107) – entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts – den Fall 13 der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 9. Oktober 2015 nicht umfasst hat. Das Verfahren ist insoweit noch bei dem Landgericht anhängig.
Unterschriften
Becker, RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Gericke, Becker, Spaniol, Tiemann
Fundstellen