Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 06.11.2014) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 6. November 2014 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass er im Fall II. 2 der Urteilsgründe lediglich wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt ist und dass fünf Jahre der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen vor der Vollstreckung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollziehen sind. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Einbeziehung von Strafen aus zwei anderen Urteilen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls (Fall II. 1 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und gegen ihn wegen erpresserischen Menschenraubes in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung (Fall II. 2 der Urteilsgründe), in einem Fall in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung (Fall II. 4 der Urteilsgründe) und in einem Fall in Tateinheit mit Raub (Fall II. 3 der Urteilsgründe) eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verhängt. Es hat außerdem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und ausgesprochen, dass fünf Jahre der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen „vor der Vollstreckung der freiheitsentziehenden Maßregeln zu vollziehen” sind. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Schuldspruchänderung und der Klarstellung des Maßregelausspruchs.
Rz. 2
1. Die Verurteilung wegen erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB im Fall II. 2 der Urteilsgründe hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 3
a) Des erpresserischen Menschenraubes macht sich schuldig, wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung gemäß § 253 StGB auszunutzen, oder wer die durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich klassischer Delikte mit Nötigungselementen wie § 177, §§ 249 ff., §§ 253 ff. StGB ist der Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB im Zwei-Personen-Verhältnis allerdings, insbesondere für Fälle des Sichbemächtigens, einschränkend auszulegen. Der Täter muss durch eine Entführung oder in sonstiger Weise die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewinnen, dadurch eine stabile Bemächtigungslage schaffen und entweder von vornherein beabsichtigen, diese Lage zu einer Erpressung auszunutzen, oder die zu anderen Zwecken hergestellte Verfügungsgewalt über das Opfer zu einer Erpressung ausnutzen. Dabei muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen. Damit ist – insbesondere in Abgrenzung zu den Raubdelikten – indes lediglich gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weiter gehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben muss. Der erforderliche funktionale Zusammenhang liegt insbesondere dann nicht vor, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und Nötigungsmittel zusammenfallen (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 2006 – 3 StR 246/06, NStZ 2007, 32 mwN; Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 385/11, NStZ-RR 2012, 173, 174).
Rz. 4
b) Die Strafkammer konnte im Fall II. 2 der Urteilsgründe keine sicheren Feststellungen zum Tathergang treffen, weil der Geschädigte J. bei der Tat schwer verletzt wurde und eine retrograde Amnesie mit fast komplettem Gedächtnisverlust bezüglich des Tatgeschehens erlitt. Er wurde mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen, höchstwahrscheinlich, um von ihm die PIN zu der von den Tätern vorgefundenen ec-Karte zu erfahren oder eventuell auch erst, nachdem er die PIN offenbart hatte, um ihn handlungsunfähig zu machen und zu gewährleisten, dass er nicht zeitnah die Polizei verständigen oder die ec-Karte sperren lassen konnte. Bei der rechtlichen Würdigung hat das Landgericht hierzu ausgeführt, der Angeklagte und möglicherweise ein Mittäter hätten sich des Geschädigten in Erpressungsabsicht bemächtigt, indem sie in sein Haus eindrangen und dem Geschädigten eine Flucht aufgrund seiner Gehbehinderung und seiner körperlichen Unterlegenheit nicht möglich gewesen sei. Der Täter habe dem Zeugen J. sodann unter dem Eindruck nicht näher bekannter Mittel – eventuell habe bereits die von der Bemächtigungslage ausgehende Gefahr und die dadurch begründete Sorge des Zeugen J. um Leib und Leben ausgereicht – klar gemacht, dass er nun jedenfalls Auskunft über die PIN geben müsse, was der Zeuge dann auch getan habe. Dies habe dem Tatplan entsprochen, so dass der Täter vorsätzlich und mit der Absicht gehandelt habe, die Bemächtigungslage und die Sorge des Zeugen J. um sein Wohl für die Erpressung auszunutzen.
Rz. 5
c) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des erpresserischen Menschenraubes werden von diesen Feststellungen und Annahmen nicht hinreichend belegt. Es besteht danach zwar die Möglichkeit, dass sich die Täter entsprechend ihrem allgemeinen Tatplan zunächst des Zeugen durch einfache körperliche Überlegenheit bemächtigt haben; sicher festgestellt ist dies jedoch nicht. Denn der allgemeine Tatplan wurde nicht in allen Fällen umgesetzt; im Fall II. 1 der Urteilsgründe ist es bei einem Wohnungseinbruchsdiebstahl verblieben, obwohl die Geschädigte L. zum Tatzeitpunkt anwesend war. Es bleibt sonach offen, ob die Täter sich zunächst des Zeugen J. bemächtigt haben und aufgrund dieser Bemächtigungslage die PIN für die ec-Karte preisgegeben wurde, oder ob sie ihn sofort durch den Einsatz von Schlägen genötigt haben, die PIN mitzuteilen. Zwar hatten die Täter spätestens durch die massive Gewaltanwendung eine andauernde physische Herrschaft über ihr Opfer erlangt. Die Preisgabe der PIN erfolgte bei dieser Sachverhaltsvariante jedoch möglicherweise bereits im unmittelbaren, engen Zusammenhang mit der Begründung der Beherrschungssituation, so dass eine stabile Bemächtigungslage als Basis einer Erpressung zu diesem Zeitpunkt noch nicht hergestellt war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2014 – 4 StR 522/13).
Rz. 6
2. Der Senat lässt die Verurteilung wegen erpresserischen Menschenraubes im Fall II. 2 der Urteilsgründe entfallen, weil eine neue Verhandlung keine weitere Aufklärung verspricht.
Rz. 7
Die Einzelstrafe kann trotz der Änderung des Schuldspruchs bestehen bleiben. Ausweislich der (insoweit zutreffenden) rechtlichen Würdigung durch die Strafkammer hat sich der Angeklagte in diesem Fall der besonders schweren räuberischen Erpressung nach §§ 255, 253, 250 Abs. 2 Nr. 3a StGB schuldig gemacht. Der Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB entspricht dem des § 239a StGB. Die Verwirklichung von zwei Tatbeständen hat das Landgericht dem Angeklagten nicht erschwerend angelastet.
Rz. 8
3. Der Maßregelausspruch war dahin klarzustellen, dass sich der Vorwegvollzug der Gesamtfreiheitsstrafen lediglich auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bezieht (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB).
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Cierniak, Franke, Quentin
Fundstellen
Haufe-Index 8574630 |
NStZ-RR 2015, 336 |