Leitsatz (amtlich)
Stellt der Berufungsbeklagte nach Begründung des Rechtsmittels und vor einer Entscheidung des Gerichts über dessen mögliche Zurückweisung durch Beschluss einen Sachantrag, sind die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren notwendige Kosten der Rechtsverteidigung.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1, § 522 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des OLG Oldenburg v. 8.5.2003 aufgehoben und unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Klägers der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Aurich v. 5.11.2002 wiederhergestellt.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerdeinstanz wird auf 929,85 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten darum, ob der Beklagte für das Berufungsverfahren trotz Rücknahme des Rechtsmittels die Erstattung der vollen anwaltlichen Prozessgebühr verlangen kann.
Der Kläger hatte gegen das Urteil des LG Berufung eingelegt und diese begründet. Kurz darauf stellte der Beklagte einen Berufungszurückweisungsantrag. Nachdem das Gericht den Kläger auf die fehlenden Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels aufmerksam gemacht und eine Zurückweisung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO angekündigt hatte, nahm dieser seine Berufung zurück.
Das LG hat auf Antrag des Beklagten die für dessen Rechtsanwälte angefallene volle Prozessgebühr nach §§ 11, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO festgesetzt. Das Beschwerdegericht hat auf Rechtsmittel des Klägers lediglich eine halbe Gebühr nach § 32 Abs. 2 BRAGO zuerkannt. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Beklagten. Eine zuvor beim Beschwerdegericht eingelegte Gegenvorstellung ist erfolglos geblieben.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Wiederherstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des LG.
1. Das Beschwerdegericht meint, der Antrag auf Zurückweisung der Berufung sei zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung i. S. v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO unmittelbar nach Berufungsbegründung noch nicht erforderlich gewesen. Der Beklagte habe nach Rechtsmitteleinlegung einen Anwalt mit seiner Vertretung in zweiter Instanz beauftragen dürfen. Vor Stellung eines Sachantrages habe er aber das Ergebnis der vom Gericht von Amts wegen anzustellenden Prüfung nach § 522 Abs. 2 ZPO abwarten müssen, ob die Berufung ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen ist. Im Übrigen habe sich die kurz nach dem Zurückweisungsantrag eingereichte Stellungnahme des Beklagten in einer zustimmenden Äußerung zu der beabsichtigten Vorgehensweise des Gerichts sowie einem Hinweis auf einen bereits in erster Instanz ausreichend dargelegten Gesichtspunkt erschöpft.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Richtig ist allerdings, dass bei einer nur zur Fristwahrung eingelegten Berufung ein die volle Prozessgebühr auslösender Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels im erstattungsrechtlichen Sinne nicht notwendig ist, solange ein Berufungsantrag nicht gestellt und eine Begründung nicht eingereicht worden ist (BGH, Beschl. v. 17.12.2002 - X ZB 27/02, MDR 2003, 414 = BGHReport 2003, 355 = NJW 2003, 1324; Beschl. v. 3.6.2003 - VIII ZB 19/03, BGHReport 2003, 1115 = MDR 2003, 1140 = BB 2003, 1754). Ein solcher Fall lag nicht vor; die Berufung war bereits begründet, als der Beklagte deren Zurückverweisung beantragte.
b) Bis zu einer Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO musste der Beklagte mit der Stellung eines Sachantrags nicht abwarten.
aa) Der BGH hat dem Rechtsmittelbeklagten, der einen Sachantrag vor Begründung des Rechtsmittels stellen lässt, die Erstattung der vollen Prozessgebühr versagt, weil er sich inhaltlich nicht mit dem Antrag und der Begründung auseinander setzen und das Verfahren durch einen entsprechenden Gegenantrag fördern könne (BGH, Beschl. v. 3.6.2003 - VIII ZB 19/03, BGHReport 2003, 1115 = MDR 2003, 1140 = BB 2003, 1754). Diese Erwägung trägt nach Einreichung der Berufungsbegründung auch dann nicht mehr, wenn das Berufungsgericht noch nicht über eine mögliche Zurückweisung der Berufung durch Beschluss entschieden hat. Nach Begründung des Rechtsmittels hat der Berufungsbeklagte ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern und eine vom Berufungsgericht beabsichtigte Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern. An einer Entscheidung im Beschlusswege hat der Berufungsbeklagte nicht nur wegen der damit regelmäßig verbundenen Beschleunigung, sondern auch wegen der durch § 522 Abs. 3 ZPO angeordneten Unanfechtbarkeit ein besonderes Interesse. Wäre die Auffassung des Beschwerdegerichts richtig, so müsste der Berufungsbeklagte bis zu einer Antragstellung und Erwiderung zunächst die Terminierung abwarten; ihm würde dadurch die Chance genommen, in seinem Sinne auf die Entscheidung des Gerichts nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO einzuwirken.
bb) Ob die vom Beklagten gegen die Berufung vorgebrachten Gesichtspunkte neu waren oder sich die zur Rechtfertigung des Zurückweisungsantrags vorgebrachten Argumente in bloßen Wiederholungen erschöpften, ist kostenrechtlich ohne Belang. Die Ausgestaltung der anwaltlichen Gebühren als im Wesentlichen streitwertabhängige Pauschalen verbietet eine Prüfung, welcher Aufwand mit der Stellung des Gegenantrages und der Begründung für den Anwalt verbunden war.
c) Der Beklagte kann die Erstattung der vollen Prozessgebühr nach §§ 11, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO auch dann verlangen, wenn seinem Bevollmächtigten der Hinweis des Berufungsgerichts auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege bei Antragstellung bereits bekannt gewesen sein sollte. Der Hinweis gab nur eine vorläufige Auffassung des Gerichts wieder, eine Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege war bei seiner Erteilung nicht sicher. Der Beklagte musste deshalb nicht zunächst abwarten, ob der Kläger seine Berufung zurücknehmen oder das Gericht sie entsprechend seiner Absicht zurückweisen würde.
d) Die Erstattungsfähigkeit der vollen Prozessgebühr scheitert auch nicht daran, dass der Kläger den Prozessbevollmächtigten des Beklagten bei Berufungseinlegung gebeten hatte, von Gegenanträgen abzusehen, bis das Berufungsgericht Erwiderungsfrist gesetzt oder Verhandlungstermin anberaumt hat.
aa)Dass der Beklagte sich zu einem diesem Wunsch entsprechenden Verhalten ausdrücklich verpflichtet hätte, macht der Kläger nicht geltend. Aus dessen Schweigen durfte der Kläger nicht schließen, dass dieser mit einer Antragstellung unter Zurückstellung seiner eigenen Interessen tatsächlich bis zu einer Terminierung oder Fristsetzung warten werde.
bb) Ob, wie es der Kläger behauptet hat, sämtliche im Bezirk des OLG O. tätigen Rechtsanwälte zugesagt haben, vor einem Beschluss nach § 522 ZPO oder Terminierung keinen Antrag auf Berufungszurückzuweisung zu stellen, kann dahingestellt bleiben. Sollte die damit behauptete anwaltliche Übung tatsächlich bestehen, so wäre diese für den Beklagten nicht bindend. Dieser ist durch eine unter Anwälten bestehende Übung nicht gehindert, seine eigenen Interessen durch eine Antragstellung nach Begründung der Berufung zu wahren.
Fundstellen
Haufe-Index 1059037 |
NJW 2004, 73 |
BGHR 2004, 69 |
BauR 2004, 114 |
FamRZ 2004, 99 |
JurBüro 2004, 196 |
ZAP 2004, 115 |
MDR 2004, 115 |
Rpfleger 2004, 123 |
ZfBR 2004, 151 |
AGS 2004, 124 |
NZBau 2004, 40 |
RENOpraxis 2004, 95 |
RVGreport 2004, 75 |
BRAGO prof. 2004, 6 |
KammerForum 2004, 58 |
ProzRB 2004, 29 |