Verfahrensgang
LG Bochum (Entscheidung vom 29.06.2022; Aktenzeichen II-KLs 21/22) |
Tenor
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 29. Juni 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Das Landgericht Bochum hatte die Angeklagte im ersten Rechtsgang wegen „unerlaubter Verabreichung von Betäubungsmitteln durch eine Person über 21 Jahre an Personen unter 18 Jahren in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie gefährlicher Körperverletzung in 14 weiteren Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 17. März 2022 fasste der Senat den Schuldspruch nach Verfahrensbeschränkungen gemäß § 154a Abs. 2 StPO dahingehend neu, dass die Angeklagte der Verabreichung von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren in zwei Fällen sowie der gefährlichen Körperverletzung in 14 Fällen schuldig ist. Zudem hob er das angefochtene Urteil unter Verwerfung der weitergehenden Revision der Angeklagten im Strafausspruch mit den Feststellungen auf.
Rz. 3
Das Landgericht hat die Angeklagte nunmehr wegen der Betäubungsmitteldelikte unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sowie wegen der Körperverletzungstaten zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.
II.
Rz. 4
Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Strafkammer die aufgehobenen Feststellungen des im ersten Rechtsgang ergangenen Urteils zu den (fehlenden) Voraussetzungen des § 21 StGB rechtsfehlerhaft als bindend angesehen und insoweit keine eigene Prüfung vorgenommen hat.
Rz. 5
1. Wird bei einer teilaufhebenden Revisionsentscheidung der Schuldspruch rechtskräftig, jedoch der Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben, so ist der neue Tatrichter nur an den Schuldspruch selbst und diejenigen Feststellungen gebunden, die ausschließlich oder ‒ als sogenannte doppelrelevante Tatsachen ‒ auch den nunmehr rechtskräftigen Schuldspruch betreffen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. Januar 1982 - 4 StR 642/81, BGHSt 30, 340, 342 ff.; Beschluss vom 17. Dezember 1971 - 2 StR 522/71, BGHSt 24, 274, 275). Dagegen ist der Strafausspruch mit den ausschließlich ihn betreffenden Feststellungen aufgehoben und nicht mehr existent. Dazu gehört nicht nur die Strafzumessung im engeren Sinn, vielmehr hat der neue Tatrichter auch die Voraussetzungen und die Anwendbarkeit des § 21 StGB ‒ ohne jede Bindung an das insoweit nicht mehr existente erste Urteil ‒ zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 - 4 StR 610/19 Rn. 6; Beschluss vom 12. Dezember 2012 - 2 StR 481/12 Rn. 3; Beschluss vom 4. November 2008 - 3 StR 336/08 Rn. 2; Beschluss vom 16. Februar 2000 - 3 StR 24/00 Rn. 4 f.).
Rz. 6
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Denn die Strafkammer hat im zweiten Rechtsgang keine Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB vorgenommen. Sie hat vielmehr die insoweit aufgehobenen Feststellungen aus dem ersten Urteil zu dem seinerzeit angenommenen Ausschluss einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit der Angeklagten schlicht übernommen und dieses Ergebnis ungeprüft ihrer Strafzumessung zugrunde gelegt.
Rz. 7
Der Senat kann ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht sicher ausschließen. Der neue Tatrichter wird deshalb in prozessordnungsgemäßer Weise insoweit eigene Feststellungen zu treffen und auch über eine Einschränkung der Schuldfähigkeit der Angeklagten erneut zu entscheiden haben.
Quentin |
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Bartel |
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Sturm |
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Maatsch |
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Scheuß |
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Fundstellen
Haufe-Index 15462198 |
NStZ-RR 2023, 64 |
StRR 2023, 2 |