Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 07.12.1992) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 27. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. Dezember 1992 wird nicht angenommen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Gründe
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und das Rechtsmittel verspricht im Ergebnis keinen Erfolg (§ 554 b ZPO). Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht angenommen, der Beklagte habe dadurch, daß er nicht für einen Zugang der Willenserklärung des Versicherungsnehmers über die Änderung des Bezugsrechts bei dem Versicherer noch während der Geschäftsstunden am Freitag, dem 7. Juli 1989, Sorge trug, seine (auch) der Klägerin gegenüber bestehenden Amtspflichten schuldhaft verletzt. Nach den vertraglichen Vereinbarungen mußte der Widerruf, um wirksam zu sein, dem Versicherer vor dem Tode des Versicherungsnehmers zugehen.
Dies ist auch dann nicht geschehen, wenn das Schreiben des Beklagten an die Bezirksdirektion Kassel dieser am 8. Juli 1989 vor dem Todeszeitpunkt (18.00 Uhr) zugetragen worden sein sollte. Nach den Gepflogenheiten des Geschäftslebens kann nicht davon ausgegangen werden, daß an einem Samstag oder Sonntag in der Hauptstelle oder einer Bezirksdirektion eines Versicherungsunternehmens größeren Zuschnitts Mitarbeiter mit Zuständigkeit für die Kenntnisnahme von Geschäftspost anwesend sind. Das hat zur Folge, daß der Zugang eines außerhalb der Geschäftsstunden zugetragenen Schriftstücks grundsätzlich nicht vor Beginn der Geschäftsstunden am nächsten Arbeitstag (hier: 10. Juli 1989) anzunehmen ist (vgl. RGZ 90, 20, 23; RG WarnRspr. 1921 Nr. 131 = S. 158, 160; Erman/Brox, BGB 9. Aufl. § 130 Rdn. 7, 8; MünchKomm-BGB/Förschler, 3. Aufl. § 130 Rdn. 12; Soergel/Hefermehl, BGB 12. Aufl. § 130 Rdn. 11; Staudinger/Dilcher, BGB 12. Aufl. § 130 Rdn. 30). Das gilt jedenfalls dann, wenn es – wie hier – auf die Rechtzeitigkeit des Zugangs ankommt.
§ 130 Abs. 2 BGB ändert an der Verspätung des Widerrufs nichts. Diese Vorschrift dient dem Schutz des Erklärungsempfängers (vgl. BGB-Motive I S. 159). Sie bestimmt nicht, daß eine Erklärung als zu Lebzeiten des Erklärenden zugegangen gilt, wenn er nach ihrer Abgabe, aber vor dem Zugehen gestorben ist (RGZ 142, 402, 405 f). Deshalb konnte dem Mitgesellschafter Szemenik, der mit dem Tode des Versicherungsnehmers endgültig bezugsberechtigt geworden war (vgl. BGH, Urt. v. 14. Juni 1993 – IV ZR 242/92, VersR 1993, 1219), die Berechtigung mit dem verspäteten Zugang des Widerrufs nicht mehr zugunsten der Klägerin genommen werden. Dies entspricht der ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. OLG Hamm VersR 1980, 739; VersR 1981, 228; OLG Frankfurt am Main VersR 1993, 171; Benkel/Hirschberg, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung 1990 § 13 ALB Rdn. 43; Bruck/Möller/Winter, VVG 8. Aufl. Bd. V/2 1988 Anm. H 154; Prölss/Martin, VVG 25. Aufl. ALB § 15 Anm. 2 A a; Glauber VersR 1993, 938; a.A. LG Freiburg VersR 1952, 256; Roth NJW 1992, 791).
Bei dieser Rechtslage hätte der Beklagte, der die Übermittlung des Widerrufs an den Versicherer übernommen hatte, dafür Sorge tragen müssen, daß der Widerruf dem Versicherer noch während der Geschäftsstunden am 7. Juli 1989 zuging. Bei dem ihm bekannten Krankheitsbild des Versicherungsnehmers mußte er in Rechnung stellen, daß dieser vor Beginn der Geschäftsstunden am 10. Juli 1989 verstarb.
Durch die dem Beklagten zur Last fallende schuldhafte Amtspflichtverletzung hat er den geltend gemachten Schaden verursacht. Bei rechtzeitigem Zugang der Willenserklärung des Versicherungsnehmers hätte der Klägerin als neuer Bezugsberechtigter der Anspruch auf die Versicherungssumme zugestanden. Daß die Stadt Kassel die Forderung der Klägerin gegen den Versicherer ebenfalls gepfändet hätte, ist nicht unstreitig (vgl. GA 193, § 138 Abs. 3 ZPO). Einer möglichen Pfändung durch die Stadt Kassel wegen Steuerschulden der Gesellschaft, die zwischen ihrem Ehemann und Szemenik bestanden hatte, hätte die Klägerin zudem – ähnlich wie ihr gegenüber erhobenen Ansprüchen von Szemenik – mit einer Beschränkung ihrer Haftung als Erbin auf den Nachlaß begegnen können (vgl. Bl. 59, 123 der Akten 7 O 2557/90 LG Kassel). Da der Anspruch auf die Versicherungssumme der Klägerin im Fall eines Bezugsrechts nicht als Erbin, sondern originär zugestanden hätte (vgl. Prölss/Martin aaO ALB § 15 Anm. 2 B b m.w.N.), wäre sie grundsätzlich in der Lage gewesen, einer Pfändung des Anspruchs wegen Nachlaß schulden entgegenzutreten.
Daß die Klägerin durch die Zahlung der Versicherungssumme an die Stadt Kassel und an Szemenik von Verbindlichkeiten entlastet worden wäre, hat der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht hinreichend dargetan. Insbesondere fehlt es an der Vorlage einer Auseinandersetzungsbilanz der Gesellschaft (vgl. auch Urt. des LG Kassel v. 14. Mai 1991 in dem Rechtsstreit 27 O 2557/90).
Auf einen anderweitigen Ersatzanspruch gegen Szemenik braucht die Klägerin sich im Streitfall nicht verweisen zu lassen. Ob ihr aus dem Valutaverhältnis ein Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung gegen Szemenik zusteht und ob sie einen solchen Anspruch beweisen könnte, ist gänzlich ungewiß. Der Beklagte hat sich selbst darauf berufen, daß die Versicherungssumme der Tilgung von Gesellschaftsverbindlichkeiten dienen sollte. Auch könnte Szemenik geltend machen, der Ehemann der Klägerin habe ihm das Bezugsrecht und damit die Versicherungssumme schenkweise zugewandt (vgl. Prölss/Martin aaO ALB § 15 Anm. 5). Darüber hinaus ist kaum damit zu rechnen, daß aus einem gegen Szemenik erwirkten Titel mit Erfolg vollstreckt werden könnte. Er hat – wenn auch vor 10 bis 15 Jahren – die eidesstattliche Offenbarungsversicherung abgegeben und hat noch im Juni 1989 bei dem Sohn der Klägerin um ein Darlehen nachgesucht (vgl. Bl. 54, 58 der Akten 7 O 2557/90 LG Kassel). Unter diesen Umständen ist von der Klägerin ein Vorgehen gegen Szemenik nicht zu verlangen (vgl. BGB-RGRK, 12. Aufl. § 839 Rdn. 504).
Unterschriften
Brandes, Schmitz, Kreft, Kirchhof, Fischer
Fundstellen