Entscheidungsstichwort (Thema)
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Fehlende Eintragung der Berufungsbegründungsfrist in Fristenkalender. Verschulden des Prozessbevollmächtigten
Leitsatz (redaktionell)
Bei Vorlage der Berufungsschrift und bei Vorlage der Gerichtsakten kann der Prozessbevollmächtigte verpflichtet sein, die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Eine allgemeine Anweisung an das Büropersonal, die Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfrist einzutragen, reicht in risikoträchtigen Fällen nicht aus.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 2, § 574 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 17. Oktober 2002 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 45.786,29 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I. Gegen das am 25. Juli 2002 zugestellte Urteil des Landgerichts vom 19. Juli 2002 legte die Klägerin am Montag, dem 26. August 2002, Berufung ein, die sie am 26. September 2002 begründete.
Wegen Versäumung der Frist für die Berufungsbegründung beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trug die Klägerin vor:
Ihr Prozeßbevollmächtigter habe seine ansonsten zuverlässige Büroleiterin sowohl vor als auch nach dem Inkrafttreten des neuen Zivilprozeßrechts am 1. Januar 2002 auf die Rechtsänderungen bei der Frist zur Begründung der Berufung hingewiesen. Nach der Zustellung des Urteils des Landgerichts habe ihr Prozeßbevollmächtigter seiner Büroleiterin wie üblich die Anweisung erteilt, die Fristen für die Berufung und die Berufungsbegründung im Fristenkalender zu notieren. Entgegen dieser Weisung habe die Büroleiterin die Frist für die Berufungsbegründung zunächst nicht notiert, sondern dies erst unmittelbar vor Einlegung der Berufung nachgeholt. Dabei sei die Berufungsbegründungsfrist unzutreffenderweise vom Zeitpunkt der Einlegung der Berufung an berechnet worden, wie dies früherem Recht entsprochen habe. Eine vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist notierte Vorfrist sei vom Personal des Prozeßbevollmächtigten ebenfalls übersehen worden.
Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Es hat angenommen, der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hätte sich nach Vorlage der Berufungsschrift und nach Vorlage der Gerichtsakten davon überzeugen müssen, daß seiner Anweisung, die Frist zur Begründung der Berufung zu notieren, ordnungsgemäß nachgekommen worden sei.
Entscheidungsgründe
II. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
1. Der Rechtsbeschwerde kommt entgegen der Meinung der Klägerin keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine entscheidungserhebliche und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, NJW 2002, 3029).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die im Streitfall maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geklärt sind und die Annahme des Berufungsgerichts, der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hätte bei Vorlage der Berufungsschrift und der Gerichtsakten die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist selbst überwachen müssen, eine nach den Gesamtumständen auf den konkreten Einzelfall bezogene Feststellung ist.
Ein Rechtsanwalt darf ein Empfangsbekenntnis über die Zustellung eines Urteils erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in der maßgeblichen Handakte der Ablauf der Rechtsmittelfrist vermerkt und die Frist notiert ist (vgl. BGH, Beschl. v. 26.3.1996 – VI ZB 1 und 2/96, NJW 1996, 1900, 1901; Urt. v. 16.7.1998 – VII ZR 409/97, NJW 1998, 3125; Urt. v. 22.4.1999 – IX ZR 364/98, NJW 1999, 2120, 2121). Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß diese Verpflichtung den Rechtsanwalt nach Zustellung der gerichtlichen Entscheidung auch hinsichtlich der Begründungsfrist für das Rechtsmittel trifft, nachdem die zweimonatige Begründungsfrist gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils zu laufen beginnt.
Allerdings kann der Prozeßbevollmächtigte, sofern er die erforderlichen Eintragungen in der Handakte und dem Fristenkalender nicht selbst vornimmt, diese durch eine besondere Einzelanweisung an sein Büropersonal veranlassen (vgl. BGH, Beschl. v. 26.9.1995 – XI ZB 13/95, NJW 1996, 130; Beschl. v. 31.10.2002 – III ZB 23/02, NJW-RR 2003, 276 f.). Ob die Anweisung des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin die Voraussetzungen erfüllte, die an eine Einzelanweisung zu stellen sind, erscheint vorliegend zweifelhaft, weil die Anweisung, die maßgeblichen Fristen zu notieren, der üblichen Verfahrensweise in der Praxis des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin entsprach. Dann ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß die Eintragung der Fristen in einem Einzelfall unterbleibt. Die Frage kann aber auf sich beruhen.
Jedenfalls konnte das Berufungsgericht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes davon ausgehen, bei Vorlage der Berufungsschrift und bei Vorlage der Gerichtsakten sei der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin verpflichtet gewesen, die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Die von ihm erteilte Anweisung zur Eintragung der Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfrist enthielt nicht die Angabe des konkreten Zeitpunktes, zu dem der Lauf der Frist endete. Sah der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin aber davon ab, vor Unterzeichnung und Rückgabe des Empfangsbekenntnisses die maßgeblichen Fristen selbst zu vermerken und erteilte er nur eine der üblichen Verfahrensweise entsprechende allgemeine Anweisung zur Notierung der Frist, so kam bei Vorlage der Berufungsschrift und der Gerichtsakten eine entsprechende Verpflichtung des Prozeßbevollmächtigten in Betracht, sich von dem ordnungsgemäßen Eintrag der Berufungsbegründungsfrist zu überzeugen. Die Berechnung des Endes einer Rechtsmittel- und einer Rechtsmittelbegründungsfrist ist eine besonders wichtige Aufgabe. Sie kann, wenn es sich um eine routinemäßige Fristberechnung handelt, vom Rechtsanwalt seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen werden. Der Rechtsanwalt muß durch geeignete allgemeine Anweisungen auf einen verläßlichen, Fristversäumnisse möglichst vermeidenden Geschäftsgang hinwirken (vgl. BGH, Beschl. v. 13.6.1996 – VII ZB 7/96, NJW 1996, 2514; Beschl. v. 21.11.2000 – VIII ZB 11/00, BGH-Rep 2001, 141). In zweifelhaften oder risikoträchtigen Fällen muß der Rechtsanwalt die Berechnung der Frist allerdings kontrollieren (vgl. BGH, Beschl. v. 9.7.1982 – V ZB 10/82, VersR 1982, 974; vgl. auch BGH, Beschl. v. 11.3.1980 – X ZB 4/80, NJW 1980, 1846).
Es handelt sich vorliegend um die Entscheidung eines Einzelfalls. Er ist nach der Beurteilung des Berufungsgerichts durch ein Nebeneinander der Berechnung von Rechtsmittelbegründungsfristen nach § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. und § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. sowie dadurch gekennzeichnet, daß anders als bei der Berufungsfrist, die an einem Montag ablief (§ 222 Abs. 2 ZPO), eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht eintrat.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Altern. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung ist eine Einzelfallentscheidung, die mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Einklang steht.
III. Die Rechtsbeschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
Unterschriften
Ullmann, Starck, Bornkamm, Büscher, Schaffert
Fundstellen
Haufe-Index 936513 |
NJOZ 2003, 2185 |