Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs für Rechtsanwälte in Celle vom 8. Februar 1999 aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß der von der Antragsgegnerin in ihrem Gutachten vom 26. August 1998 angeführte Versagungsgrund nicht vorliegt.
Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100.000,– DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der 1944 geborene Antragsteller war von 1977 bis 1988 als Rechtsanwalt bei dem Landgericht Aurich zugelassen, seit 1981 war er Notar. Im Zusammenhang mit einem gegen ihn geführten Strafverfahren verzichtete er auf die Zulassung, die daraufhin durch Verfügung vom 15. März 1988 widerrufen wurde. Am 31. Oktober 1989 verurteilte ihn das Amtsgericht Emden wegen Untreue in zwölf Fällen, davon in einem Fall fortgesetzt handelnd, zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Zugleich wurde ein Berufsverbot von zwei Jahren ausgesprochen. Die Strafe wurde nach Ablauf der Bewährungszeit am 22. November 1993 erlassen. Die Bewährungsauflage, den entstandenen Schaden nach besten Kräften wieder gutzumachen, hatte der Antragsteller, der zu jener Zeit Sozialhilfe bezog, nicht erfüllt.
Der Antragsteller beantragte erstmals mit Schriftsatz vom 4. Dezember 1995, ihn erneut zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen. Den gegen das ablehnende Gutachten der Rechtsanwaltskammer, die den Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO geltend gemacht hatte, gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung nahm er unter dem 8. November 1996 zurück.
Mit Antrag vom 22. Dezember 1997 beantragte der Antragsteller wiederum, zur Rechtsanwaltschaft zugelassen zu werden. In ihrem Gutachten vom 26. August 1998 machte die Antragsgegnerin geltend, dem Antragsteller sei die Zulassung zu versagen, da die Verurteilung aus dem Jahre 1989 der erneuten Zulassung gemäß § 7 Nr. 5 BRAO weiterhin entgegenstehe. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen und in den Gründen der Entscheidung festgestellt, daß der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO vorliege. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO) und hat auch in der Sache Erfolg. Das Rechtsschutzinteresse für den gegen das Gutachten gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nicht dadurch entfallen, daß die Antragsgegnerin nunmehr allein für die Zulassungsentscheidung zuständig geworden ist (vgl. Senatsbeschluß vom 10. Juli 2000 – AnwZ(B) 55/99).
1. Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen läßt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Der Unwürdigkeitsvorwurf und die jedenfalls zeitweilige Einschränkung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheit der Berufswahl sind danach gerechtfertigt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände – wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung – nach seiner Gesamtpersönlichkeit zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung für den Anwaltsberuf (noch) nicht tragbar erscheinen läßt (st. Rspr.) Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen.
2. Von diesen Grundsätzen ist auch der Anwaltsgerichtshof ausgegangen. Angesichts der Schwere der Verfehlungen des Antragstellers und der Tatsache, daß er in den vergangenen Jahren keine Schadenswiedergutmachung, auch nicht hinsichtlich der geringeren veruntreuten Beträge, geleistet habe, hat der Anwaltsgerichtshof den Unwürdigkeitsvorwurf noch für begründet erachtet. Dem vermag sich der Senat – insbesondere unter Berücksichtigung des weiteren Zeitablaufs nach der angefochtenen Entscheidung – nicht anzuschließen. Vielmehr ist gegenwärtig nicht mehr festzustellen, daß der Antragsteller für den Anwaltsberuf untragbar ist.
a) Allerdings wiegen die strafrechtlichen Verfehlungen des Rechtsanwalts in der Vergangenheit – wie der Anwaltsgerichtshof zu Recht hervorgehoben hat – schwer. Auch wenn zugunsten des Antragstellers zu berücksichtigen ist, daß er die Taten in einer schwierigen Lebenssituation begangen und selbst zur Anzeige gebracht hat, fällt zu seinen Lasten ins Gewicht, daß er nicht nur „den Dingen ihren Lauf gelassen hat”, so daß Gläubiger auf die auf seinen Geschäftskonten eingehenden Fremdgelder Zugriff nehmen konnten, sondern selbst – im Zusammenwirken mit dem Kreditnehmer – von seinem Notaranderkonto ihm treuhänderisch überlassene Geldbeträge in erheblicher Höhe abgehoben und 55.000,– DM davon für sich verwendet hat.
b) Andererseits liegen die Taten mehr als zwölf Jahre zurück. Die Bewährungszeit ist nahezu sieben Jahre abgelaufen. Bis auf eine Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr im Jahre 1990 hat er sich nichts mehr zuschulden kommen lassen. Er hat nach langen Jahren der Arbeitslosigkeit seit 1996 als Dozent in der Erwachsenenbildung eine neue Tätigkeit gefunden und auch seine persönlichen Verhältnisse – soweit ersichtlich – geordnet.
c) Diese Umstände machen in ihrer Gesamtheit deutlich, daß unter Berücksichtigung der Ausstrahlung und Bedeutung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG dem Interesse des Antragstellers an seiner beruflichen Wiedereingliederung ein erhebliches Gewicht beigemessen werden muß. Dem steht hier letztlich auch nicht entgegen, daß der Antragsteller bis auf eine Zahlung im Jahre 1997 keine weiteren Zahlungen an die von ihm Geschädigten vorgenommen hat. Dieses Verhalten ist vor dem Hintergrund der wirtschaftlich beengten Lage des Antragstellers zu sehen, der bis 1996 Sozialhilfe bezog und der nach seinen Angaben von seinen Arbeitseinkünften monatliche Raten von derzeit 500,– DM an frühere Gläubiger (Finanzamt, Landesarbeitsamt, DAK) leistet. Der bisher nicht erfolgten Schadenswiedergutmachung kommt – auch unter Berücksichtigung der Anhörung seines Beraters Augustat in der mündlichen Verhandlung – unter diesen Umständen nicht das von der Antragsgegnerin beigemessene Gewicht zu.
Eine Gesamtabwägung führt mithin zu dem Ergebnis, daß gegenwärtig nicht mehr festgestellt werden kann, der Antragsteller sei für den Anwaltsberuf noch untragbar.
Ob die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 7 Nr. 9 BRAO entgegenstehen könnten, hat der Senat nicht zu prüfen. Auf diesen Versagungsgrund hat sich die Antragsgegnerin in ihrem Gutachten nicht berufen.
Unterschriften
Deppert, Fischer, Terno, Otten, Schott, Körner, Wüllrich
Fundstellen
Haufe-Index 539932 |
BRAK-Mitt. 2000, 306 |