Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 16.10.2017) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 16. Oktober 2017 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
1. Der Senat bemerkt ergänzend zur Verfahrensrüge des Angeklagten, mit welcher er einen Widerspruch zwischen den Urteilsfeststellungen und dem Inhalt eines verlesenen Sektionsprotokolls beanstandet (Inbegriffsrüge nach § 261 StPO, S. 111 – 150 der Revisionsbegründung):
Rz. 2
a) Das Landgericht hat bezüglich beider Tatopfer jeweils die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe als erfüllt angesehen (§ 211 Abs. 2 StGB). Nach der Überzeugung des Tatgerichts sprach für einen überraschenden Angriff des Angeklagten auf das erste Tatopfer W. u.a. „das Fehlen jeglicher Abwehrverletzungen”. Dies widerspricht dem Inhalt des rechtsmedizinischen Sektionsprotokolls vom 6. Januar 2015, in welchem der Privatdozent Dr. med. A. und der Assistenzarzt J. eine Schnittverletzung an W.s linkem Unterarm als passive Abwehrverletzung sowie eine scharfrandige Verletzung am Daumen und Zeigefinger ihrer linken Hand als eine aktive Abwehrverletzung werteten. Zu diesen beiden Punkten verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
Rz. 3
b) Ohne Verstoß gegen das Rekonstruktionsverbot hat der Beschwerdeführer mit seiner Verfahrensrüge damit einen Widerspruch zwischen dem Wortlaut einer verlesenen Urkunde und dem Urteilsinhalt aufgezeigt (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 – 4 StR 401/10, StV 2012, 67, 68; vom 19. August 2008 – 3 StR 252/08, NStZ 2009, 404; vom 22. November 1988 – 1 StR 559/88, BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 15). Auf diesem Verfahrensmangel beruht das Urteil indes nicht (§ 337 Abs. 1 StPO); denn nach den im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen würde sich an der Bewertung des Vorgehens des Angeklagten gegen die beiden Tatopfer als heimtückisch (§ 211 Abs. 2 2. Gruppe 1. Merkmal StGB) auch dann nichts ändern, wenn das Tatopfer W. noch in der Lage gewesen sein sollte, mit bloßen Händen Abwehrversuche gegen die Messerstiche des Angeklagten zu unternehmen.
Rz. 4
aa) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein „heimliches” Vorgehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (siehe nur BGH, Urteil vom 3. September 2015 – 3 StR 242/15, NStZ 2016, 340, 341; Beschluss vom 28. Juni 2016 – 3 StR 120/16, NJW 2016, 2899, jeweils mwN). Ein solcher Fall ist zum Beispiel anzunehmen, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken (siehe nur BGH, Urteil vom 17. Januar 1968 – 2 StR 523/67, BGHSt 22, 77, 79 f.; Beschlüsse vom 7. April 1989 – 3 StR 83/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 8; vom 24. Januar 2017 – 2 StR 459/16, juris Rn. 11). Mithin stehen Abwehrversuche, die der überraschte und in seinen Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkte Geschädigte im letzten Moment unternimmt, in solchen Konstellationen der Annahme von Heimtücke nicht entgegen (st. Rspr.; siehe BGH, Urteile vom 22. August 1995 – 1 StR 393/95, NJW 1996, 471 [insoweit in BGHSt 41, 222 nicht abgedruckt]; vom 16. Juni 1999 – 2 StR 68/99, NStZ 1999, 506, 507; vom 3. September 2002 – 5 StR 139/02, NStZ 2003, 146, 147; vom 11. Oktober 2005 – 1 StR 250/05, NStZ 2006, 96).
Rz. 5
bb) So liegt es hier. Der Angeklagte lockte sowohl seine Ehefrau als auch deren Freundin W. in die Familienwohnung im 5. Stock, indem er beide darüber belog, er wolle ein Versöhnungsgespräch führen. Tatsächlich fasste er bereits zuvor den Tötungsvorsatz und schloss, um beiden Opfern jegliche Möglichkeit zur Flucht oder zum Hilferuf zu nehmen, die Wohnungstür ab und zog den Stecker des Telefonanschlusses. Derart in eine Falle gelockt, waren beide Tatopfer, die beim Messerangriff des Angeklagten auf dem Ecksofa saßen, zu diesem Zeitpunkt überrascht und dem Angriff ausgeliefert. Die im rechtsmedizinischen Gutachten aufgezeigten kleineren Abwehrverletzungen ändern demnach nichts an der heimtückischen Vorgehensweise des Angeklagten.
Rz. 6
2. Soweit der Angeklagte innerhalb dieser Verfahrensrüge weiter beanstandet, dass sich das Urteil nicht mit einem verlesenen Bericht über die Untersuchung von am Tatort aufgefundenen Kleidungsstücken, namentlich eines abgerissen Knopfs, einer aufgefundenen Stofflasche und eines Oberhemds mit Stoffdefekten, auseinandersetze, gelten die obigen Ausführungen entsprechend.
Unterschriften
Becker, Gericke, Tiemann, Hoch, Leplow
Fundstellen
Haufe-Index 12033624 |
NStZ 2019, 6 |
ZAP 2018, 1161 |
NStZ-RR 2018, 6 |
StraFo 2019, 38 |