Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 12. Mai 2011
- im Schuldspruch dahin geändert, dass dieser Angeklagte und der frühere Mitangeklagte B. jeweils des Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort schuldig sind,
- hinsichtlich des Angeklagten D. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten D. und den nicht revidierenden früheren Mitangeklagten B. jeweils wegen gemeinschaftlichen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort oder Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der gegen den Mitangeklagten verhängten Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten D.. Das Rechtsmittel hat, auch hinsichtlich des früheren Mitangeklagten B., in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Das Landgericht konnte nicht feststellen, wer bei dem Rammen des Fahrzeugs des Zeugen H. und der sich anschließenden Flucht den Lastkraftwagen steuerte und wer auf dem Beifahrersitz saß, bei einem Halt ausstieg und den Zeugen bedrohte, um ihn von weiterer Verfolgung abzuhalten. Zugunsten beider Angeklagter ist es davon ausgegangen, dass der jeweilige Angeklagte sich auf dem Beifahrersitz befand und der andere den Lastkraftwagen gesteuert hat. Bei der rechtlichen Würdigung ist die Strafkammer zugunsten beider Angeklagter davon ausgegangen, dass der jeweils andere als Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort anzusehen ist, wozu dann der jeweilige Angeklagte Beihilfe geleistet hat. Sie hat beide auf wahldeutiger Grundlage als Täter oder Gehilfen der Verkehrsunfallflucht verurteilt.
Rz. 3
Die Verurteilung wegen Täterschaft oder Beihilfe auf wahldeutiger Grundlage hat keinen Bestand. Kann der Tatrichter einen Tatvorgang nicht eindeutig aufklären und muss er mehrere mögliche Geschehensabläufe in Rechnung stellen, ist das Verhältnis dieser mehreren möglichen, das Tatgeschehen bildenden Verhaltensweisen zueinander dafür maßgebend, ob und aufgrund welcher Strafvorschrift der Angeklagte zu verurteilen ist. Stehen die zu beurteilenden Verhaltensweisen in einem Stufenverhältnis im Sinne eines „Mehr oder Weniger”, so ist nach dem Grundsatz, dass im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist, nach dem milderen Gesetz zu verurteilen. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch in Fällen von Beihilfe und Täterschaft bejaht worden (Urteile vom 16. Dezember 1969 – 1 StR 339/69, BGHSt 23, 203; vom 28. Oktober 1982 – 4 StR 480/82, BGHSt 31, 136, 138; Beschluss vom 18. August 1983 – 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 57; Urteile vom 14. Dezember 1988 – 3 StR 170/88, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Unterlassen 2; vom 7. Mai 1996 – 1 StR 168/96, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 26). Der Schuldspruch muss deshalb – auch bezüglich des früheren Mitangeklagten B. (§ 357 Satz 1 StPO) – dahin geändert werden, dass der Angeklagte nur wegen tateinheitlicher Beihilfe zur Verkehrsunfallflucht verurteilt ist.
Rz. 4
Der Senat schließt aus, dass die Strafaussprüche durch die Wahlfeststellung beeinflusst worden sind. Das Landgericht hat die Strafen dem Strafrahmen des § 244 Abs. 1 StGB entnommen. Soweit es das tateinheitliche Zusammentreffen mehrerer Tatbestände berücksichtigt hat, ist angesichts der mehrfachen Erwähnung des Zweifelsgrundsatzes im Urteil auszuschließen, dass es den Angeklagten jeweils eine täterschaftliche Verwirklichung der Verkehrsunfallflucht angelastet haben könnte.
Rz. 5
2. Das Urteil hält außerdem rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit eine Entscheidung über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt:
Rz. 6
„…Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte seit etwa zwei Jahren vor der Straftat am 18.05.2010 Drogen konsumiert, weil er ‚mit seiner Gesamtsituation nicht zurecht komme’ (UA S. 5). Er konsumierte insbesondere regelmäßig Amphetamin und bisweilen Marihuana. Seit der Tat habe er – so der Angeklagte – keine Drogen mehr eingenommen (S. 12, 13). Dem Angeklagten fiel es schwer, den Drogenkonsum mit seinen legalen Einkünften zu finanzieren (UA S. 13). Am Tattag selbst hatte der Angeklagte etwa 5 g Amphetamin konsumiert…
Es liegt nahe, dass die abgeurteilte Tat auf einen Hang des Angeklagten zurückgeht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Heilungserfolg, der die Maßregelanordnung entbehrlich machen könnte, bereits dadurch eingetreten ist, dass der Angeklagte nach seinen eigenen Angaben seit der Tat bis zur Hauptverhandlung keine Betäubungsmittel mehr konsumiert hat. Einer solchen Annahme ist das Gericht schon bei der Prüfung der Frage, ob die Strafe gegen den Angeklagten zur Bewährung ausgesetzt werden kann, offensichtlich nicht gefolgt (UA S. 31). Jedenfalls beruhte diese nicht auf einem Laborbefund oder einem Gutachten eines Sachverständigen.
Die Änderung des § 64 StGB von einer Muss- in eine Sollvorschrift macht dessen Prüfung durch den Tatrichter nicht entbehrlich. Dieser muss vielmehr das Ermessen tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar machen (Senat vom 19.02.2008 – 4 StR 36/08 Rdn. 5). Da der Beschwerdeführer die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen hat, kann die Unterbringungsanordnung nachgeholt werden (BGHSt 37, 5). Der neue Tatrichter hat über die Anordnung nach § 64 unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) zu entscheiden…”
Rz. 7
Dem kann sich der Senat nicht verschließen.
Rz. 8
Die Aufhebung wegen der unterbliebenen Anordnung nach § 64 StGB lässt den Strafausspruch unberührt. Denn der Senat schließt hier einen Zusammenhang zwischen der Straffestsetzung und einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB aus.
Unterschriften
Mutzbauer, Roggenbuck, Cierniak, Franke, RiBGH Bender ist infolge, Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer
Fundstellen
Haufe-Index 2744575 |
RÜ 2011, 714 |