Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 12.07.1995) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluß des 2. Familiensenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juli 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der weiteren Beschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: bis 2.000 DM.
Tatbestand
I.
Die Parteien haben am 26. Februar 1965 geheiratet. Am 5. November 1992 ist der Ehefrau (Antragsgegnerin) der Scheidungsantrag des Ehemannes (Antragsteller) zugestellt worden.
In der Ehezeit (1. Februar 1965 bis 31. Oktober 1992, § 1587 Abs. 2 BGB) haben beide Parteien Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA – weitere Beteiligte zu 1) erworben, und zwar der Ehemann in Höhe von monatlich 1.993,58 DM, die Ehefrau in Höhe von monatlich 95,92 DM. Ferner haben beide Parteien Versorgungsanrechte bei berufsständischen Versorgungen erlangt, der Ehemann beim Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen (LÄK – weitere Beteiligte zu 2), die Ehefrau bei der Erweiterten Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (EHV – weitere Beteiligte zu 3).
Das Amtsgericht – Familiengericht – hat durch Verbundurteil die Ehe der Parteien geschieden und den Versorgungsausgleich in der Weise geregelt, daß es im Wege des Splittings Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung des Ehemannes in Höhe von monatlich 948,83 DM auf das Versicherungskonto der Ehefrau bei der BfA übertragen und ferner zu Lasten der Versorgungsanrechte des Ehemannes bei der LÄK für die Ehefrau Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung bei der BfA in Höhe von monatlich 119,52 DM begründet hat. Dabei hat es die Anrechte der Ehefrau bei der EHV als volldynamisch angesehen und ohne Umrechnung in den Ausgleich einbezogen.
Gegen die Regelung des Versorgungsausgleichs zum Quasisplitting hat die Ehefrau Beschwerde eingelegt, mit der sie geltend gemacht hat, daß ihre Anrechte bei der EHV zu Unrecht als volldynamisch beurteilt worden seien. Das Oberlandesgericht hat ihr Rechtsmittel zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene weitere Beschwerde der Ehefrau, mit der sie ihre Beanstandung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
II.
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Das Oberlandesgericht hat die strittige Frage, ob die von der Ehefrau erworbenen Versorgungsanrechte bei der EHV als volldynamisch zu beurteilen und damit ohne Umrechnung in den Augleich einzubeziehen sind, unter Bezugnahme auf die Entscheidung des 5. Senats für Familiensachen desselben Gerichts vom 12. Juli 1991 (5 UF 268/85 – NJW-RR 1992, 649) bejaht, ohne eigene Feststellungen zu der seither eingetretenen Entwicklung der Verhältnisse zu treffen. Darin ist ein Verstoß gegen die aus § 12 FGG folgende Amtsermittlungspflicht zu sehen, zumal die aktuellen Gesetze zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen insoweit zu einer gewissen Umbruchsituation geführt haben, wie die weitere Beschwerde mit Recht geltend macht.
a) Sowohl im Anwartschafts- als auch im Leistungsstadium bestimmen sich die Anrechte bei der EHV nach einem Prozentsatz der durchschnittlichen Einkommen aus kassenärztlicher Tätigkeit aller im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen niedergelassenen Ärzte, also nach einem überindividuellen Maßstab. Ob ihr Wert in gleicher oder wenigstens nahezu gleicher Weise steigt wie derjenige der kraft Gesetzes volldynamischen Versorgungen (§ 1587a Abs. 3 Nr. 3 BGB), kann daher rechtsbedenkenfrei aus der Entwicklung der maßgeblichen Durchschnittshonorare der betreffenden Ärzte abgeleitet werden. In der vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Entscheidung vom 12. Juli 1991 ist dazu folgendes festgetellt worden:
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EHV Durchschnittshonorare |
Steigerungssätze EHV |
1971 |
97.386,50 DM |
20,80 % |
1972 |
103.717,95 DM |
6,50 % |
1973 |
112.750,38 DM |
8,70 % |
1974 |
126.591,83 DM |
12,30 % |
1975 |
134.139,32 DM |
6,00 % |
1976 |
138.347,22 DM |
3,10 % |
1977 |
141.035,28 DM |
1,90 % |
1978 |
145.395,58 DM |
3,10 % |
1979 |
151.502,68 DM |
4,20 % |
1980 |
154.925,82 DM |
2,30 % |
1981 |
159.624,55 DM |
3,03 % |
1982 |
157.117,84 DM |
- 1,57 % |
1983 |
157.628,62 DM |
0,33 % |
1984 |
159.959,36 DM |
1,48 % |
1985 |
162.792,57 DM |
1,77 % |
1986 |
163.273,49 DM |
0,30 % |
1987 |
163.286,80 DM |
0,01 % |
1988 |
169.937,11 DM |
4,07 % |
1989 |
169.180,47 DM |
- 0,45 % |
1990 |
176.624,41 DM |
4,40 % |
Danach ergab sich im Zeitraum 1971 bis 1990 bei der EHV ein durchschnittlicher jährlicher Steigerungssatz von 4,11 %, bei der Beamtenversorgung ein solcher von 4,49 %, wenn deren Steigerungssätze nach der Tabelle FamRZ 1997, 793 zugrundegelegt werden. Eine Differenz von lediglich 0,38 % rechtfertigte die Annahme, daß in dem fraglichen Zeitraum der Vergangenheit eine „nahezu” gleiche Steigerung der Anrechte wie in der Beamtenversorgung stattgefunden hat und damit insoweit die Volldynamik zu bejahen war. Hinsichtlich der für die künftige Entwicklung anzustellenden Prognose (vgl. Senatsbeschluß BGHZ 85, 194, 203 ff.) ist in der in Bezug genommenen Entscheidung vom 12. Juli 1991 im wesentlichen ausgeführt, daß die Eingriffe des Gesetzgebers in das Gesundheitswesen zum Zwecke der Kostendämpfung schon seit geraumer Zeit gegriffen hätten, ohne daß die fragliche Ärzteschaft den Anschluß zur allgemeinen Einkommensentwicklung verloren habe. Allerdings lasse sich die künftige Entwicklung weder für die Anrechte der EHV noch derjenigen der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung zuverlässig voraussagen, so daß letztlich die für die Vergangenheit festgestellten Verhältnisse zugrunde gelegt werden müßten.
c) Als das Oberlandesgericht vorliegend seine Entscheidung getroffen hat (12. Juli 1995), hätte es die tatsächliche Entwicklung der maßgebenden Durchschnittshonorare nicht nur bis 1990, sondern bis 1993, möglicherweise bis 1994 berücksichtigen können; zu entsprechenden Ermittlungen war es aufgrund von § 12 FGG auch verpflichtet, da es sich um entscheidungserhebliche Umstände handelte. Weiter war es gehalten, auf der Grundlage dieser Ermittlungen eine eigene Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung, die Aufgabe des Tatrichters ist (vgl. Senatsbeschluß vom 20. September 1995 – XII ZB 86/94 – FamRZ 1996, 97), anzustellen. Eine – unterstellt – zutreffende Beurteilung der Dynamik einer Versorgung in einer zeitlich zurückliegenden gerichtlichen Entscheidung kann das später mit der gleichen Frage befaßte Gericht insbesondere nicht der Prüfung entheben, ob die damals getroffene Prognose mit der seitherigen Entwicklung in Einklang zu bringen ist (Beispiel für eine deshalb notwendig gewordene Korrektur: Senatsbeschluß vom 25. September 1996 – XII ZB 226/94 – FamRZ 1997, 161). Da Prognosen stets mit Unsicherheiten behaftet sind, ist im Falle des Fehlgehens sogar in derselben Sache ein Abänderungsverfahren gemäß § 10 a VAHRG möglich (vgl. Senatsbeschluß vom 5. Oktober 1994 – XII ZB 129/92 – FamRZ 1995, 88, 92). Der angefochtene Beschluß kann nach allem keinen Bestand haben.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin: Soweit sich die weitere Beschwerde im Schrifttum geäußerte Bedenken gegen die Volldynamik der Anrechte bei der EHV zu eigen macht (vgl. Held FamRZ 1989, 1281, 1282), dürften diese jedenfalls teilweise überholt sein. Der in diesem Zusammenhang angeführte § 85 SGB V ist zwischenzeitlich mehrfach geändert worden. Eine „Abwanderung zu den Ersatzkassen” hat keine Bedeutung mehr, wenn die im Verfahren der weiteren Beschwerde gemachte Mitteilung des Versorgungsträgers zutrifft, daß die maßgebenden Durchschnittshonorare der hessischen Kassenärzte nunmehr unter Einbeziehung auch der Umsätze aus dem Bereich der Ersatzkassen errechnet werden. Der Zunahme der beteiligten Kassenärzte und einem damit verbundenen Absinken des maßgebenden Durchschnittshonorars ist zwischenzeitlich dadurch entgegengewirkt worden, daß gemäß § 103 SGB V in überversorgten Gebieten Zulassungsbeschränkungen eingeführt wurden. Auch bewegen sich die aktuellen Steigerungsraten der zum Vergleich heranzuziehenden Beamtenversorgung derzeit auf einem niedrigen Niveau; so ist im Jahre 1996 von einer Anhebung ganz abgesehen worden. Das Oberlandesgericht wird gehalten sein, die tatsächliche Entwicklung der von der EHV zugrunde gelegten Durchschnittshonorare bis in die jüngste Zeit festzustellen, um für seine Beurteilung die bestmögliche Grundlage zu schaffen.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Zysk, Hahne, Weber-Monecke
Fundstellen
Haufe-Index 1383887 |
FamRZ 1998, 424 |
NJW-RR 1998, 76 |