Leitsatz (amtlich)
Zu den Sorgfaltsanforderungen eines Rechtsanwalts, der während des Laufs der Berufungsbegründungsfrist gegenüber seinem Auftraggeber die Niederlegung des Mandats erklären will.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 21 U 24/98) |
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2/19 O 418/97) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. Mai 1998 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gründe
I.
Das Urteil des Landgerichts, durch das der Beklagte zur Herausgabe eines Pkw De Tomaso Guara Coupé verurteilt worden ist, ist seinem Prozeßbevollmächtigten am 13. Januar 1998 zugestellt worden. Die am 3. Februar 1998 ordnungsgemäß eingelegte Berufung ist jedoch erst mit einem am 23. März 1998 bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet worden. Der Beklagte hat um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung nachgesucht, sein zweitinstanzlicher Bevollmächtigter, Rechtsanwalt Dr. H., habe mit Schreiben vom 17. Februar 1998 das Mandat niedergelegt und ihn hierüber am folgenden Tag dadurch unterrichten wollen, daß er die bei ihm tätige Rechtsreferendarin C. zu seiner, des Beklagten, Büroadresse geschickt habe, wo Frau C. ihn indessen nicht angetroffen, sondern das Schreiben dem Vermieter G. zur Weiterleitung an ihn überlassen habe. Da G. ihm das Schreiben versehentlich nicht ausgehändigt habe, sei es erst am 10. März 1998 in seinen Besitz gelangt.
Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde des Beklagten.
II.
Die formell unbedenklich sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten mit Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt, weil er die Wahrung der Berufungsbegründungsfrist nicht ohne eigenes bzw. ihm zuzurechnendes Verschulden seines früheren Prozeßbevollmächtigten versäumt hat, wie dies § 233 ZPO voraussetzt.
Im Ausgangspunkt zutreffend und von dem Beschwerdeführer auch nicht angegriffen hat das Berufungsgericht angenommen, der damalige Prozeßbevollmächtigte des Beklagten sei befugt gewesen, seinen Auftraggeber von der Niederlegung des Mandats durch ein formloses Schreiben zu unterrichten. Dies steht ebenso in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung wie die weitere Annahme, der Anwalt sei grundsätzlich nicht verpflichtet, bei seinem Mandanten Nachfrage zu halten, ob er ein derart versandtes Schreiben erhalten habe (vgl. BGH, Urt. v. 30. September 1958 - VIII ZR 133/57, VersR 1958, 789; Beschl. v. 23. Januar 1963 - VIII ZB 19/62, LM ZPO § 233 [Fc] Nr. 23; Beschl. v. 14. November 1984 - VIII ZR 184/84, VersR 1985, 90; Beschl. v. 13. November 1991 - VIII ZB 29/91 [juris] m.w.N.). Zutreffend ist ferner die Auffassung des Berufungsgerichts, daß ein Anwalt für einfache Botengänge sein als zuverlässig erkanntes Büropersonal einsetzen kann (vgl. BAG NJW 1972, 887; Zöller/Greger, ZPO, 20. Aufl. § 233 Rdn. 23 „Büropersonal”). Gleichwohl ist der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten – legt man den durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemachten Sachverhalt der Beurteilung zugrunde – im vorliegenden Fall den an einen sorgfältig handelnden Rechtsanwalt zu stellenden Anforderungen nicht gerecht geworden.
Hätte Rechtsanwalt Dr. H. das Schreiben mit der Nachricht von der Mandatsniederlegung dem Beklagten an seine ihm bekannte Privatanschrift in B. oder an das in F. angemietete Geschäftslokal mit der normalen Post versandt, hätte er nach den Maßstäben der oben genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgehen dürfen, daß diese Briefe den Beklagten so rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist erreichten, daß dieser selbst für seine weitere Vertretung und die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist oder die fristgerechte Vorlage des Schriftsatzes Sorge tragen könnte. Nach dem Vorbringen des Beklagten hielt er sich nämlich im Raum F. auf und hätte zumindest bei einem Aufsuchen seines von Herrn G. angemieteten Geschäftslokals den von der Post eingelieferten Brief rechtzeitig vorgefunden. Entsprechendes gilt, sofern Dr. H. das genannte Schreiben dem Beklagten in dessen weiteren, in seiner, des Prozeßbevollmächtigten, Kanzlei bestehenden Büro zugeleitet hätte.
Demgegenüber war die Übermittlung des Schreibens per Boten, die obendrein nicht einmal durch einen besonderen Zeitdruck veranlaßt war, mit erheblichen Risiken verbunden: Als freie Mitarbeiterin gehörte die eingesetzte Botin ihrer Stellung nach schon nicht zu der Gruppe der Angestellten eines Anwalts, die sich in der Vergangenheit als zweifelsfrei zuverlässig auch bei der Erledigung solcher Angelegenheiten erwiesen haben, bei denen wegen der Wahrung von Fristen besondere Sorgfalt erforderlich ist; daß sie die notwendige Zuverlässigkeit in anderer Weise unter Beweis gestellt hätte, ist nicht glaubhaft gemacht. Vor allem war die Übermittlung des Schreibens per Boten an die Geschäftsadresse am K. platz in F. auch deswegen mit besonderen Unsicherheiten verbunden, weil nicht sichergestellt war, daß die Botin C. den Beklagten am 18. Februar 1998 um die Mittagszeit dort antreffen werde. Aus allen diesen Gründen liegt, wie das Oberlandesgericht im Ergebnis mit Recht angenommen hat, einer der Ausnahmefälle vor, bei denen der Anwalt sich nicht auf den Versand eines wichtigen Schreibens beschränken darf, sondern weitere Maßnahmen ergreifen muß (vgl. BGH, Beschl. v. 23. Januar 1963 aaO; Beschl. v. 26. September 1985 - VII ZB 14/85, VersR 1986, 36). Wenn Rechtsanwalt Dr. H. zunächst auch nicht verpflichtet war, bei dem Beklagten selbst nachzufragen, ob er sein Schreiben erhalten habe, so mußte er sich doch bei seiner freien Mitarbeiterin C. nach ihrer Rückkehr erkundigen, ob und in welcher Weise sie seinen Auftrag ausgeführt hatte und ob demgemäß sichergestellt war, daß der Beklagte das Schreiben erhalten hatte. Wäre er dementsprechend vorgegangen, hätte er erfahren, daß die Botin den Beklagten nicht angetroffen, sondern die Nachricht nur dessen Vermieter zur Weiterleitung überlassen hatte. Dann wäre er gehalten gewesen, in anderer Weise dafür zu sorgen, daß der Beklagte keinen Rechtsverlust erleiden konnte.
Ein dem Beklagten zuzurechnendes Anwaltsverschulden läge aber auch dann vor, wenn – wie die Klägerin unter Vortrag einer großen Zahl von Einzelumständen behauptet hat – der Beklagte „untergetaucht” war und dies seinem Prozeßvertreter bekannt war. Dann war der Übermittlungsversuch per Boten, selbst wenn man in Rechnung stellt, daß der Beklagte mit der Rechtsreferendarin C. in einer auch privaten Beziehung stand, von vornherein mit dem besonders hohen Risiko versehen, daß die Mitteilung den Empfänger nicht fristgerecht erreichte. Um so mehr war Rechtsanwalt Dr. H. gehalten, sich durch Rückfrage bei Frau C. zu vergewissern, daß sie das Schreiben dem Beklagten tatsächlich, wenn auch nicht unbedingt in seinem Büro am K. platz ausgehändigt hatte.
Sollte demgegenüber der Beklagte „untergetaucht” sein, ohne dies seinem Anwalt mitzuteilen, so träfe ihn selbst ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden.
Unterschriften
Röhricht, Hesselberger, Goette, Kapsa, Kurzwelly
Fundstellen
Haufe-Index 539763 |
BB 1998, 2495 |
DStR 1998, 1726 |
NJW 1998, 3783 |
Nachschlagewerk BGH |
AnwBl 1999, 55 |
VersR 1999, 1122 |
MittRKKöln 1998, 239 |
BRAK-Mitt. 1999, 23 |