Leitsatz (amtlich)
Zu den an einen Rechtsanwalt zu stellenden Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich der Bezeichnung des Empfangsgerichts im besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA), wenn der Rechtsanwalt die Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes über das beA selbst ausführt.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 05.07.2022; Aktenzeichen 63 S 142/22) |
AG Berlin-Schöneberg (Entscheidung vom 28.04.2022; Aktenzeichen 107 C 48/22) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin - Zivilkammer 63 - vom 5. Juli 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 22.723,76 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Beklagte ist Mieter einer Wohnung der Klägerin in Berlin. Die Klägerin nimmt ihn auf Zahlung rückständiger Miete sowie auf Nachzahlung von Betriebskosten in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage überwiegend abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin am 28. April 2022 zugestellt worden.
Rz. 2
Mit einem an das Landgericht Berlin adressierten Schriftsatz hat die Klägerin Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt. Dieser Schriftsatz ist als elektronisches Dokument über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Amtsgericht versandt worden, wo er am 30. Mai 2022 (Montag) - dem letzten Tag der Rechtsmittelfrist - eingegangen ist. Beim (zuständigen) Landgericht ist der Berufungsschriftsatz - nach Weiterleitung durch das Amtsgericht - am 9. Juni 2022 eingegangen. Nach einem Hinweis des Landgerichts auf das Versäumen der Frist zur Einlegung der Berufung hat die Klägerin (erneut) Berufung eingelegt und mit im Wesentlichen folgender Begründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt:
Rz. 3
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe die Berufungsschrift am Vormittag des Tags des Fristablaufs (30. Mai 2022) diktiert und nach Vorlage des Diktats und Kontrolle des Schriftsatzes eigenhändig unterschrieben. Sie habe anschließend eine in der Kanzlei beschäftigte Mitarbeiterin angewiesen, die Berufungsschrift sofort in das beA der Prozessbevollmächtigten der Klägerin für den Versand einzustellen. Gegen 14 Uhr habe die Kanzleimitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt, die beA-Nachricht sei mit Ausnahme der qualifizierten elektronischen Signatur sofort versandfertig an das Berufungsgericht. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe sich sofort in ihren beA-Account eingeloggt, die Berufungsschrift sowie die Anlage jeweils einzeln mit ihrer qualifizierten elektronischen Signatur versehen und den "Senden-Button gedrückt". Anschließend habe sie die Akte wieder an die Angestellte mit der Anweisung übergeben, den Versand zu überprüfen. Auf spätere Nachfrage habe die Angestellte versichert, der Versand sei ordnungsgemäß erfolgt. Tatsächlich aber sei durch ein unerklärliches Versehen der Mitarbeiterin beim Einstellen der beA-Nachricht in das Postfach der Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei der Auswahl des Empfängers über die globale Adressliste das Amtsgericht Schöneberg anstelle des Landgerichts Berlin ausgesucht worden, obwohl die Berufungsschrift (richtig) an das Landgericht adressiert gewesen sei.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen und deren Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 5
Die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht fristgerecht (§ 517 ZPO) eingegangen sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unbegründet, da die Voraussetzungen des § 233 ZPO nicht vorlägen. Die Klägerin sei nicht ohne ihr Verschulden gehindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Dabei habe sie sich das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten zurechnen zu lassen. Ein solches liege vor. Ein Rechtsanwalt müsse sich bei Unterzeichnung eines fristwahrenden Schriftsatzes von der richtigen Angabe des Empfangsgerichts überzeugen. Das gelte nicht nur hinsichtlich der Adressierung in der Berufungsschrift, sondern auch beim elektronischen Versand des Schriftsatzes, den er nach Signierung an das Gericht veranlasse. Wenn er ein Programm benutze, bei dem der Adressat von Schriftsätzen auszuwählen sei, müsse er stets prüfen, ob das richtige Empfangsgericht ausgewählt worden sei. Das habe die Prozessbevollmächtigte der Klägerin versäumt. Sie könne diese Prüfung nicht delegieren, genauso wenig, wie sie im Falle des Versands eines papiergebundenen Schriftsatzes die Bezeichnung des zuständigen Empfangsgerichts dem Büropersonal hätte überlassen dürfen.
Rz. 6
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 7
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte und den Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
Rz. 8
1. Soweit die Rechtsbeschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) geltend macht, ist sie nicht entsprechend den gesetzlichen Vorgaben begründet worden und daher unzulässig (§ 577 Abs. 1 ZPO).
Rz. 9
a) Gemäß § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muss die Begründung der Rechtsbeschwerde im Fall des § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, mithin wenn die Rechtsbeschwerde - wie vorliegend - aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung statthaft ist, eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO enthalten. Danach ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der Beschwerdeführer muss den Zulassungsgrund beziehungsweise die Zulassungsvoraussetzungen nicht nur benennen, sondern auch zu den jeweiligen Voraussetzungen substantiiert vortragen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. März 2010 - V ZB 159/09, NJW-RR 2010, 784 Rn. 5; vom 1. Juli 2013 - IX ZR 226/12, juris Rn. 3 [zu § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO aF]; vom 9. Januar 2020 - I ZB 41/19, juris Rn. 13; vom 14. April 2020 - VI ZB 64/19, NJW-RR 2020, 762 Rn. 4).
Rz. 10
Um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; vom 9. Februar 2021 - VIII ZR 316/19, juris Rn. 7; vom 9. November 2021 - VIII ZR 362/19, NJW-RR 2022, 336 Rn. 12; vom 25. April 2023 - VIII ZR 184/21, juris Rn. 9; jeweils mwN) ordnungsgemäß darzutun, ist es erforderlich, die durch die angefochtene Entscheidung aufgeworfene Rechtsfrage konkret zu benennen sowie auf ihre Entscheidungserheblichkeit, Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung einzugehen. Insbesondere sind Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite die betreffende Rechtsfrage umstritten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 138; vom 3. April 2019 - VII ZB 59/18, juris Rn. 28; vom 2. Juli 2019 - VIII ZR 74/18, NJW-RR 2019, 1202 Rn. 10; vom 9. Juni 2020 - VIII ZR 315/19, NJW 2020, 3312 Rn. 9; jeweils mwN).
Rz. 11
b) Diesen Anforderungen genügt die Rechtsbeschwerde nicht.
Rz. 12
aa) Sie formuliert zwar die aus ihrer Sicht eine Grundsatzbedeutung aufzeigende (Rechts-)Frage, ob es die anwaltliche Sorgfaltspflicht bei der Versendung einer (fristgebundenen) Berufungsschrift über das beA erfordere, dass der Rechtsanwalt das durch sein bislang stets gewissenhaftes und geschultes Büropersonal im Programm ausgewählte Empfängergericht vor Versenden des Schriftsatzes in jedem Einzelfall auf seine Übereinstimmung mit dem im Schriftsatz aufgeführten Gericht überprüfe, obwohl nach der Anweisung des Rechtsanwalts gegenüber dem Büropersonal eine eigenständige Überprüfung durch das Büropersonal vor und nach der Absendung zu erfolgen habe und der Rechtsanwalt bei fehlender Übereinstimmung sofort zu informieren sei.
Rz. 13
Es fehlt jedoch an der Darlegung, inwieweit diese Frage umstritten und damit klärungsbedürftig ist. Die Rechtsbeschwerde verweist lediglich auf eine aus ihrer Sicht fehlende höchstrichterliche Entscheidung, zeigt aber insbesondere nicht auf, dass die vorgenannte Frage von den Instanzgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder diesbezüglich in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden.
Rz. 14
bb) Eine andere Beurteilung ist im vorliegenden Fall auch nicht im Hinblick darauf angezeigt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Darlegung einer konkreten klärungsbedürftigen und klärungsfähigen Rechtsfrage keine besonderen Anforderungen zu stellen sind, wenn die zu beantwortende Rechtsfrage sowie ihre Entscheidungserheblichkeit sich unmittelbar aus dem Prozessrechtsverhältnis ergeben, und die Darlegung eines Meinungsstreits entbehrlich ist, wenn der entscheidungserheblichen Rechtsfrage bereits wegen ihres Gewichts für die beteiligten Verkehrskreise grundsätzliche Bedeutung zukommt (BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, aaO; vom 2. Juli 2019 - VIII ZR 74/18, aaO Rn. 16; jeweils mwN).
Rz. 15
Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfrage zu den Sorgfaltsanforderungen des Rechtsanwalts bezüglich der Angabe des Empfangsgerichts bei der eigenhändigen Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes über das beA bereits wegen ihres Gewichts für die beteiligten Verkehrskreise grundsätzliche Bedeutung zukäme. Denn die Beantwortung dieser Rechtsfrage ergibt sich ohne Weiteres aus den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax, welche auf den Versand mittels beA in gleicher Weise Anwendung finden.
Rz. 16
2. Hinsichtlich des von der Rechtsbeschwerde weiter geltend gemachten Zulassungsgrunds der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) aufgrund vermeintlich überspannter Sorgfaltsanforderungen an einen Prozessbevollmächtigten bei der Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes ist die Rechtsbeschwerde zwar entsprechend den gesetzlichen Vorgaben begründet worden, sie ist aber gleichwohl - auch insoweit - unzulässig.
Rz. 17
Denn die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung ablehnenden und die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (siehe nur Senatsbeschlüsse vom 10. Januar 2023 - VIII ZB 41/22, NJW-RR 2023, 427 Rn. 10; vom 7. Februar 2023 - VIII ZB 55/21, NJW 2023, 1812 Rn. 14; vom 21. März 2023 - VIII ZB 80/22, juris Rn. 13; jeweils mwN), sind nicht erfüllt. Indem das Berufungsgericht ein der Klägerin zuzurechnendes Verschulden (§ 85 Abs. 2 ZPO) ihrer Prozessbevollmächtigten deshalb angenommen hat, weil diese, als sie die Berufungsschrift selbst über das beA versandte, nicht geprüft hat, ob die beA-Nachricht an das zuständige - zuvor von ihrer Kanzleimitarbeiterin im beA ausgewählte - Berufungsgericht gerichtet ist, hat es die Klägerin - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - nicht in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt.
Rz. 18
a) Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 10. Januar 2023 - VIII ZB 41/22, aaO Rn. 12 mwN; vom 7. Februar 2023 - VIII ZB 55/21, aaO Rn. 16 mwN; vom 21. März 2023 - VIII ZB 80/22, aaO Rn. 16).
Rz. 19
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht den Zugang der Klägerin zu der Berufungsinstanz nicht in unzumutbarer Weise dadurch erschwert, dass es - was alleiniger Gegenstand der Rüge der Rechtsbeschwerde ist - ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am Versäumen der Berufungsfrist (§ 517 ZPO) angenommen hat. Diese hätte, als sie die Berufungsschrift selbst über das beA versandte, ohne Weiteres und rechtzeitig die Fehlerhaftigkeit der zuvor von ihrer Mitarbeiterin getroffenen Auswahl des Amtsgerichts als Empfänger der Nachricht erkennen können und korrigieren müssen.
Rz. 20
aa) Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2021 - VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 44; vom 15. Juni 2022 - IV ZB 30/21, juris Rn. 8; vom 21. März 2023 - VIII ZB 80/22, aaO Rn. 18). Entschließt er sich - wie vorliegend die Prozessbevollmächtigte der Klägerin -, einen fristgebundenen Schriftsatz selbst bei Gericht einzureichen, hat er auch in diesem Fall geeignete Maßnahmen zu treffen, um einen fristgerechten Eingang zu gewährleisten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2017 - XII ZB 335/17, NJW-RR 2018, 312 Rn. 13; vom 23. Oktober 2018 - III ZB 54/18, VersR 2019, 187 Rn. 9; vom 21. Februar 2023 - VIII ZB 17/22, juris Rn. 31).
Rz. 21
Übermittelt ein Rechtsanwalt - wie hier - einen fristgebundenen Schriftsatz per beA, entsprechen seine Sorgfaltspflichten dabei denjenigen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax (BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2021 - VIII ZB 9/20, aaO Rn. 21; vom 24. Mai 2022 - XI ZB 18/21, NJW-RR 2022, 1069 Rn. 10; vom 21. März 2023 - VIII ZB 80/22, aaO Rn. 20). In diesen Fällen gehört - neben der Verwendung eines funktionsfähigen Sendegeräts und dem rechtzeitigen Beginn des Übermittlungsvorgangs - die korrekte Eingabe der Empfängernummer zu seinen Sorgfaltsanforderungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. August 2019 - VIII ZB 19/18, NJW 2019, 3310 Rn. 16; vom 15. September 2020 - VI ZB 60/19, NJW-RR 2021, 54 Rn. 9; vom 21. Februar 2023 - VIII ZB 17/22, aaO Rn. 33; jeweils mwN).
Rz. 22
bb) Hiervon ausgehend war die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die den Versand der Berufungsschrift über das beA selbst vorgenommen hatte, verpflichtet, sich darüber zu vergewissern, dass der - von ihr durchgeführte - Sendevorgang an das zuständige Berufungsgericht als dem richtigen Empfangsgericht adressiert ist. Dies hat sie nicht mit der gebotenen Sorgfalt getan.
Rz. 23
(1) Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin konnte beim Versand der Berufungsschrift aus der beA-Webanwendung den Adressaten ihrer Nachricht - ähnlich einer E-Mail - dem deutlich sichtbaren Empfängerfeld entnehmen (vgl. hierzu etwa https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Verfahrensarten/Elektronischer Rechtsverkehr/flyer.pdf? blob=publicationFile&v=6). Für sie war somit - noch deutlicher als bei einer Faxübersendung - erkennbar, wohin sie die beA-Nachricht schickt, wenn sie, wie von ihr ausgeführt, auf den "Senden-Button gedrückt" hat. Es musste ihr ohne Weiteres auffallen, dass es sich bei dem ausgewählten Amtsgericht nicht um das zuständige Gericht für die Einlegung einer Berufung handeln konnte (§ 23 GVG; vgl. Senatsbeschluss vom 10. Januar 2023 - VIII ZB 41/22, NJW-RR 2023, 427 Rn. 28 mwN).
Rz. 24
(2) Die Rechtsbeschwerde kann zur Begründung eines fehlenden Verschuldens der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht mit Erfolg darauf verweisen, die Auswahl einer Fax-Nummer sei eine auf das zuverlässige Büropersonal übertragbare, nicht vom Rechtsanwalt selbst vorzunehmende und zu kontrollierende Aufgabe, so dass dieser im hiermit vergleichbaren Fall der elektronischen Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes über das beA ebenfalls nicht verpflichtet sei, das vom Büropersonal zuvor ausgewählte Empfangsgericht zu kontrollieren.
Rz. 25
Zwar kann ein Rechtsanwalt, anders als es im Berufungsurteil anklingt, die Einstellung des Empfangsgerichts im beA auf der Grundlage des im Schriftsatz angegebenen Gerichts - ähnlich wie das Heraussuchen einer Fax-Nummer - auf geschulte und zuverlässige Kanzleimitarbeiter übertragen (vgl. zum Heraussuchen und Eingeben der Faxnummer BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2010 - IX ZB 34/10, NJW 2011, 312 Rn. 6; vom 9. Juni 2015 - VIII ZB 100/14, juris Rn. 9; vom 14. Mai 2020 - V ZB 162/16, juris Rn. 6). Im Berufungsschriftsatz war das Empfangsgericht mit dem zur Entscheidung über die Berufung zuständigen Landgericht Berlin korrekt angegeben. Daher steht - anders als das Berufungsgericht gemeint hat - nicht die seitens des Prozessbevollmächtigen nicht delegierbare eigentliche Bezeichnung des zuständigen Empfangsgerichts im fristwahrenden Schriftsatz in Rede (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 5. März 2009 - V ZB 153/08, NJW 2009, 1750 Rn. 8 f.; vom 22. Januar 2013 - VIII ZB 46/12, NJW-RR 2013, 699 Rn. 11; vom 14. Mai 2020 - V ZB 162/16, aaO Rn. 9; vom 26. Januar 2023 - I ZB 42/22, NJW 2023, 1969 Rn. 15; jeweils mwN), sondern lediglich dessen Auswahl ("Eingabe") im beA im Rahmen des Versandvorgangs.
Rz. 26
Jedoch ist zur Beurteilung des Verschuldens im Sinne des § 233 ZPO im vorliegenden Fall maßgebend, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Berufungsschriftsatz selbst versendet hat, so dass es gerade ihr oblag - vergleichbar mit dem eigenhändigen Fax-Versand beziehungsweise dem eigenhändigen Einwurf eines beschrifteten Briefumschlags - sicherzustellen, dass der Empfänger korrekt angegeben und der von ihr durchgeführte Versandvorgang an den - für sie im beA erkennbaren - zutreffenden Empfänger gerichtet ist und diesen der Schriftsatz damit fristgerecht erreichen wird.
Rz. 27
Zudem muss - anders als die Rechtsbeschwerde meint - ein Rechtsanwalt, auch soweit er sich grundsätzlich auf seine Mitarbeiter verlassen kann, selbst tätig werden und für die ordnungsgemäße Erfüllung der betreffenden Aufgabe Sorge tragen, wenn für ihn bei gehöriger Aufmerksamkeit und Sorgfalt erkennbar ist, dass seinem Büropersonal im Rahmen des ihm übertragenen Aufgabenkreises Fehler unterlaufen sind oder es Anweisungen nicht beachtet hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. November 2007 - NotZ 99/07, NJW 2008, 924 Rn. 12 mwN; vom 2. Februar 2016 - II ZB 8/15, juris Rn. 9; vom 14. Mai 2020 - V ZB 162/16, aaO Rn. 8 mwN). Dies ist - wie aufgezeigt - vorliegend hinsichtlich des von der Kanzleimitarbeiterin im beA ersichtlich unzutreffend ausgewählten erstinstanzlichen Gerichts als Adressat für die Berufungsschrift der Fall. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte ohne weiteres - insbesondere ohne Abgleich mit dem Schriftsatz - und rechtzeitig erkennen können, dass ihre Mitarbeiterin nicht das richtige Gericht im Empfängerfeld der beA-Nachricht ausgewählt hatte, und hätte dies vor dem Absenden korrigieren müssen.
Rz. 28
c) Ob die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Versagung einer Wiedereinsetzung in die Berufungseinlegungsfrist möglicherweise deshalb im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO verfahrensfehlerhaft ist, weil es das Vorbringen der Klägerin in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch zu den allgemeinen Anweisungen ihrer Prozessbevollmächtigten an deren Büropersonal bezüglich der Ausgangskontrolle nach der Versendung eines (fristgebundenen) Schriftsatzes beziehungsweise der entsprechenden Einzelanweisung zur Überprüfung des vorliegend in Rede stehenden Versands der Berufungsschrift - in Form der Kontrolle der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 11. Mai 2021 - VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 21, 24 mwN) - nicht berücksichtigt hat (Art. 103 Abs. 1 GG) und damit die Frage einer unter Umständen fehlenden Kausalität des Verschuldens der Prozessbevollmächtigten an dem Fristversäumnis (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2013 - VIII ZB 46/12, NJW-RR 2013, 699 Rn. 12; vom 28. Januar 2021 - III ZB 86/19, NJW-RR 2021, 503 Rn. 10; vom 27. Juli 2021 - XI ZR 333/21, NJW-RR 2022, 135 Rn. 16; jeweils mwN) nicht geprüft hat, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn einen solchen (möglichen) Verfahrensfehler rügt die Rechtsbeschwerde nicht (§ 577 Abs. 2 Satz 3, § 575 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b ZPO).
Rz. 29
3. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erfordert schließlich auch nicht deshalb eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts - wie die Rechtsbeschwerde rügt - "aus [den] genannten Gründen auch objektiv willkürlich" sei. Insoweit ist bereits dem Darlegungserfordernis des § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO im Hinblick auf einen vermeintlichen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot nicht genügt (vgl. hierzu etwa BGH, Beschlüsse vom 25. März 2010 - V ZB 159/09, NJW-RR 2010, 784 Rn. 5 ff.; vom 19. Juli 2022 - XI ZB 32/21, WM 2022, 1684 Rn. 29). Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, aus welchen Gründen die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auf sachfremden Erwägungen beruhen soll. Solche liegen im Hinblick darauf, dass das Berufungsgericht - wie ausgeführt ohne Verletzung der oben genannten Verfahrensgrundrechte - einen Sorgfaltspflichtverstoß der Prozessbevollmächtigten der Klägerin hinsichtlich der Auswahl des Empfängergerichts der beA-Nachricht angenommen hat, auch nicht vor.
Rz. 30
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Bünger |
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Dr. Schmidt |
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Wiegand |
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Dr. Matussek |
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Dr. Böhm |
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Fundstellen
Haufe-Index 16079625 |
BB 2023, 2817 |