Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Urteil vom 21.02.2019; Aktenzeichen 720 Js 579/16 25 Ks 1/18) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 21. Februar 2019 in den Aussprüchen über die Einzelstrafe im Fall IV.4. der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hatte den Angeklagten am 13. Juni 2017 wegen Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und Totschlags zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Der Gesamtstrafe hatten Einzelfreiheitsstrafen von neun Monaten für die Körperverletzung und von zwei Jahren für die gefährliche Körperverletzung sowie eine lebenslange Freiheitsstrafe zugrunde gelegen, auf die das Landgericht wegen des Totschlags erkannt hatte; die Strafkammer war vom Vorliegen eines besonders schweren Falls im Sinne des § 212 Abs. 2 StGB ausgegangen. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat das Urteil in den Aussprüchen über die im Fall des Totschlags verhängte Einzelstrafe und über die Gesamtstrafe aufgehoben, die jeweils zugehörigen Feststellungen jedoch aufrechterhalten; die weitergehende Revision hatte der Senat verworfen.
Rz. 2
Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten am 21. Februar 2019 wiederum zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Auch das neue Tatgericht hat das Vorliegen eines besonders schweren Falls des Totschlags bejaht und insoweit auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. Die dagegen gerichtete, auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Rz. 3
Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch. Der auf die Sachbeschwerde gebotenen Nachprüfung hält das Urteil in dem noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Strafausspruch betreffend den Totschlag (Fall IV.4. der Urteilsgründe) und im Ausspruch über die Gesamtstrafe demgegenüber nicht stand. Es verstößt gegen den Grundsatz der innerprozessualen Bindung an die nicht aufgehobenen Feststellungen des früheren Urteils.
Rz. 4
1. In diesem Urteil hatte das Landgericht die im Hinblick auf die Annahme eines besonders schweren Falls des Totschlags gebotene Gesamtabwägung auf Erwägungen gestützt, die sich nicht in jeder Hinsicht als rechtsfehlerfrei erwiesen hatten.
Rz. 5
a) Die Strafkammer hatte im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Rz. 6
Der Angeklagte lebte mit der ehemaligen Mitangeklagten und deren aus einer früheren Beziehung stammenden, am 4. April 2011 geborenen Sohn L. … zusammen. Am 5. Januar 2016 schlug er das Kind mindestens einmal kräftig mit der Hand ins Gesicht, wodurch L. … Hämatome davontrug. Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 3. und dem 5. April 2016 hielt der Angeklagte dem Kind ein brennendes Feuerzeug an den Rücken und fügte ihm dadurch eine Brandwunde zu. Schließlich tötete er L. … in den frühen Morgenstunden des 23. Oktober 2016 in dessen Kinderzimmer. Er brachte ihm zunächst durch sehr schwere, mehrfache stumpfe Gewalteinwirkungen Blutungen in verschiedenen Stellen des Bauchfettgewebes bei. Mindestens 20 bis 30 Minuten später verursachte er durch weitere stumpfe Gewalteinwirkungen gegen den Bauch des Kindes Verletzungen der Magenwand, die eine ausgeprägte Magenblutung zur Folge hatten. Außerdem übte er mehrfach erhebliche stumpfe Gewalt gegen den Hinterkopf des Kindes aus, die zu einer Blutung unter die harte Hirnhaut führte. Schließlich richtete er massive stumpfe Gewalt gegen den Hals des Kindes, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob er die gegen den Hals gerichtete, letztlich todesursächliche Gewalt allein durch eine jedenfalls einige Minuten umfassende Kompression der Halsweichteile mit der flachen Hand (Strangulation) ausübte oder ob er überdies den Mund- und Nasenbereich des Kindes bedeckte, so dass L. … keine Luft mehr bekam und erstickte.
Rz. 7
Das Vorliegen eines Mordmerkmals hatte die Strafkammer nicht festzustellen vermocht. Dazu hatte sie ausgeführt:
Rz. 8
Im Hinblick auf heimtückisches Handeln sei nicht sicher feststellbar, dass L. … zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz gegen ihn geführten Angriffs arglos gewesen sei. Nicht feststellbar sei auch, dass der Angeklagte das Kind grausam getötet habe. Er habe zwar insgesamt erhebliche, über das zur Tötung des Jungen erforderliche Maß hinausgehende stumpfe Gewalt angewendet. Zugunsten des Angeklagten sei jedoch davon auszugehen, dass er den Tötungsvorsatz erst zu dem Zeitpunkt gefasst habe, als er die zum Tode führende Gewalt gegen den Hals des Kindes ausgeübt habe, welche für sich genommen nicht als grausam zu werten sei. Niedrige Beweggründe seien ebenfalls nicht sicher feststellbar. Es sei zwar denkbar, dass bei der Tötung eine pädosexuelle Erregung des Angeklagten oder auch dessen sadistische Neigung eine Rolle gespielt hätten. Möglich sei aber auch, dass es zu einer wie auch immer gearteten Streitigkeit zwischen L. … und dem Angeklagten gekommen sei, die schließlich in die Tötungshandlung gemündet sei. Schließlich könne auch nicht von einem Verdeckungsmord ausgegangen werden, weil auch insoweit keine sicheren Feststellungen zu den Vorstellungen und Motiven des Angeklagten möglich gewesen seien.
Rz. 9
Der Annahme eines besonders schweren Falls des Totschlags im Sinne des § 212 Abs. 2 StGB hatten im Wesentlichen folgende Erwägungen der Strafkammer zugrunde gelegen:
Rz. 10
Die Tat weise eine Nähe zu vier Mordmerkmalen auf. Denn es kämen zahlreiche, nicht fernliegende Handlungsalternativen und Motivationslagen in Betracht, die Mordmerkmale erfüllten. Wenn auch angesichts der zahlreichen denkbaren Motive für die Tötungshandlung ein Handeln aus niedrigen Beweggründen nicht feststellbar sei, so sei doch davon auszugehen, dass der Angeklagte das Kind jedenfalls aus einem nichtigen Anlass heraus getötet habe. Zudem könne zwar grausames Handeln nicht festgestellt werden, weil zugunsten des Angeklagten anzunehmen sei, dass er zunächst nur mit Verletzungsvorsatz tätig geworden sei; es sei aber zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er L. … jedenfalls grausam misshandelt habe, bevor er den Tötungsentschluss gefasst habe. Überdies sei zu berücksichtigen, dass der Angeklagte zwar nicht heimtückisch gehandelt haben möge, dass er L. … aber nachts in dessen Kinderzimmer angegriffen habe, also an einem Ort, an dem und zu einer Zeit, zu der sich ein Kind geborgen fühlen solle. Schließlich habe der Angeklagte faktisch Fürsorge- und Erziehungsaufgaben wahrgenommen, so dass L. … in einem besonders nahen Verhältnis zu ihm gestanden habe.
Rz. 11
b) Diese Ausführungen waren auf durchgreifende rechtliche Bedenken gestoßen. Das Landgericht war zwar von einem zutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen; die der Annahme eines besonders schweren Falls des Totschlags zugrundeliegende Begründung hatte den danach bestehenden Anforderungen aber nicht genügt. Der Senat hatte dazu im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 12
Daraus, dass den Urteilsgründen zufolge „zahlreiche, nicht fernliegende Handlungsalternativen und Motivationslagen” in Betracht kämen, die Mordmerkmale erfüllten, ergebe sich noch keine Nähe zu diesen. Das gelte insbesondere in Bezug auf die subjektive Tatseite. Da die Strafkammer keine Feststellungen zu den „Vorstellungen und Motiven” des Angeklagten habe treffen können, fehle es an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme, dass eine Nähe zu den Mordmerkmalen der niedrigen Beweggründe oder der Verdeckungsabsicht bestehe. Entsprechendes gelte im Hinblick auf das Mordmerkmal der Heimtücke. Da die Strafkammer nicht habe ausschließen können, dass das Kind zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mehr arglos gewesen sei, könne nicht ohne Weiteres von einer Nähe zu heimtückischem Handeln ausgegangen werden.
Rz. 13
Eine Nähe zu Mordmerkmalen habe nach den Urteilsgründen allenfalls in Bezug auf grausames Handeln bestanden. Damit sei der Gesamtwürdigung des Landgerichts, auf die es die Annahme eines besonders schweren Falls des Totschlags gestützt habe, weitgehend die Grundlage entzogen.
Rz. 14
Der Senat hatte deshalb den Ausspruch über die im Fall des Totschlags verhängte lebenslange Freiheitsstrafe aufgehoben; das hatte die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge. Die den Aussprüchen über die Einzelstrafe für den Totschlag und die Gesamtstrafe zugrundeliegenden Feststellungen hatte der Senat indes aufrechterhalten; sie waren von dem Rechtsfehler nicht berührt, sondern rechtsfehlerfrei getroffen worden.
Rz. 15
2. Das neue Tatgericht hat die Annahme eines besonders schweren Falls des Totschlags unter Zugrundelegung der bisherigen Feststellungen zunächst auf folgende Erwägungen gegründet:
Rz. 16
Der Angeklagte habe sich über ein ihm bekanntes Kontaktverbot zu L. … hinweggesetzt. Er habe das Kind nachts zu Hause in dessen Bett angegriffen und im Kinderzimmer getötet, also an einem Ort, wo ein Kind sich geborgen und sicher fühlen solle. Darüber hinaus habe er L. … aufgrund seiner Beziehung zu dessen Mutter nahegestanden und – wenn auch unberechtigt – Erziehungsaufgaben wahrgenommen. Überdies sei das Vortatverhalten straferschwerend zu berücksichtigen, das zu den beiden rechtskräftig festgestellten Körperverletzungen des Kindes geführt habe. Weiter weise die Tat eine Nähe zum Mordmerkmal der Grausamkeit auf.
Rz. 17
Außerdem hat das Landgericht „im Gegensatz” zu der früher erkennenden Strafkammer angenommen, dass niedrige Beweggründe des Angeklagten festzustellen seien oder zumindest eine große Nähe dazu vorliege, weil er die Tat aus sadistischen Motiven begangen habe. Entgegen der Einschätzung des ersten Tatgerichts sei indes nicht zu berücksichtigen, dass es möglicherweise zu einer wie auch immer gearteten Streitigkeit zwischen L. … und dem Angeklagten gekommen sein könne, die schließlich in die Tötungshandlung gemündet sei und der Annahme eines Handelns aus niedrigen Beweggründen entgegenstünde. Denn für eine solche Streitigkeit hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben. Anders als vom Erstgericht angenommen, sei die Tatmotivation mithin nicht ungeklärt, sondern die Tat sei eindeutig sadistisch motiviert gewesen.
Rz. 18
Durch diese Erwägungen hat sich das Landgericht rechtsfehlerhaft in Widerspruch zu den bindenden Feststellungen des ersten, gegen den Angeklagten in dieser Sache ergangenen Urteils gesetzt. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
- „Der Senat hat mit Beschluss vom 7. August 2018 – 3 StR 47/18 – das erste Urteil des Landgerichts Mönchengladbach im vorliegenden Verfahren hinsichtlich des Beschwerdeführers in den Aussprüchen über die Einzelstrafe im Fall II.4. jener Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe aufgehoben, jedoch die jeweils zugehörigen Feststellungen ausdrücklich aufrechterhalten; die weitergehende Revision hat er verworfen.
- Das erste Tatgericht hat die unmittelbar vorherrschende Tatmotivation des Angeklagten bei Vornahme der an dem fünf Jahre alten L. … in der Nacht des 23. Oktober 2016 verübten Gewalt- und Tötungshandlungen ausweislich der Urteilsgründe nicht aufzuklären vermocht (Ersturteil UA S. 14 [‚aus nicht mehr aufklärbaren Gründen’], 48 [‚(…) Motivlage konnte (…) nicht geklärt werden’]). Die Tatmotivation war daher im ersten Verfahrensgang ‚nicht sicher festzustellen’ (Ersturteil UA S. 66). Dass die sadistische Neigung des Angeklagten (Ersturteil UA S. 62, 63) wie auch dessen mögliche pädosexuelle Erregung bei der Tötung ‚eine Rolle gespielt’ haben könnten, ist nach den Gründen des Ersturteils nur ‚denkbar’ (Ersturteil UA S. 67). Das Erstgericht konnte aber auch nicht ausschließen, dass dem Tatgeschehen eine ‚wie auch immer geartete Streitigkeit zwischen L. … und dem Angeklagten’ vorangegangen sein könnte, die ‚schließlich in die Tötungshandlung mündete’ (Ersturteil aaO), und hat seiner Entscheidung einen solchen Geschehensablauf zugrunde gelegt (Ersturteil aaO).
Diese tatsächlichen Grundlagen hätten der Neubemessung der wegen eines Wertungsmangels von der Teilaufhebung des Urteils umfassten Einzel- und Gesamtfreiheitsstrafe zugrunde gelegt werden müssen. Das Schwurgericht hat sich im zweiten Verfahrensgang jedoch in Widerspruch zu diesen Feststellungen gesetzt. Dies nötigt zur erneuten Aufhebung des Strafausspruchs.
- Über die Bestandswirkungen einer Teilaufhebung hinaus sind die Feststellungen des ersten Urteils durch den Beschluss des Senats vom 7. August 2018 – 3 StR 47/18 – auch aufrechterhalten worden, soweit diese ausschließlich zu den Aussprüchen über die Einzel- und Gesamtfreiheitsstrafe gehören. Den Feststellungen des Urteils des ersten Verfahrensgangs kommt damit innerprozessual umfassende Bindungswirkung zu. Eine Unterscheidung zwischen denjenigen Feststellungen, die nur den in Rechtskraft erwachsenen Teil des Urteils tragen oder die als sogenannte doppelrelevante Tatsachen erhalten bleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 1 StR 458/16 –, juris Rdn. 11, 16; Senat, Urteil vom 12. Juni 2014 – 3 StR 139/14 –, juris Rdn. 14; Senat, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 3 StR 124/02 –, juris Rdn. 4; BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1971 – 2 StR 522/71 –, juris Rdn. 5; KK/Gericke StPO 8. Aufl. § 353 Rdn. 31) und denjenigen Tatsachen, die sich ausschließlich auf die Strafzumessung beziehen, ist entbehrlich.
- An aufrechterhaltene Feststellungen ist das zweite Tatgericht stets gebunden; diese bilden ‚die unantastbare Grundlage für das weitere Verfahren und (den) wesentlichen Teil des abschließenden Urteils’ (Senat, Urteil vom 12. Juni 2014 – 3 StR 139/14 –, juris Rdn. 15). Dies folgt aus dem notwendigen Grundsatz der inneren Einheit und Widerspruchsfreiheit der Entscheidung, der unabhängig davon Gültigkeit beansprucht, ob ein Urteil über die Schuld- und Straffrage gleichzeitig entscheidet oder ob nach rechtskräftigem Schuldspruch die Strafe aufgrund einer zum Strafausspruch erfolgreichen Revision neu festgesetzt wird (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 1 StR 458/16 –, juris Rdn. 13). Zwar darf das neue Tatgericht ergänzende Feststellungen treffen, diese dürfen jedoch nicht in Widerspruch zu den bisherigen stehen. Daher sind etwa Beweiserhebungen, die darauf abzielen, aufrechterhaltene und damit bindende Feststellungen in Zweifel zu ziehen, bereits unzulässig. Erfolgen sie dennoch, haben Beweisergebnisse, die im Widerspruch zu bindenden Feststellungen stehen, außer Betracht zu bleiben (Senat aaO; BGH aaO; BGH, Urteil vom 14. Januar 1982 – 4 StR 642/81 –, juris Rdn. 11; KK/Gericke StPO 8. Aufl. § 353 Rdn. 31, 34; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 353 Rdn. 20a).
- In Widerspruch zu den bindenden Feststellungen des Ersturteils setzt sich das Tatgericht des zweiten Verfahrensganges auch dann, wenn es auf Grundlage ergänzender Erkenntnisse oder sonst durch abweichende Würdigung in tatsächlicher Hinsicht bestehende Zweifel des ersten Tatgerichts überwindet. Denn der Umfang der Bindungswirkung aufrechterhaltener Feststellungen erstreckt sich auch auf solche Sachverhalte, die das Erstgericht den Urteilsgründen zufolge nicht aufgeklärt hat oder nicht in vollem Umfang hat aufklären können, und die deshalb allein aufgrund der Anwendung des Zweifelsgrundsatzes durch bestimmte – für den Angeklagten günstige – Tatsachen gekennzeichnet sind (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1987 – 2 StR 345/87 –, juris Rdn. 3; BGH, Urteil vom 9. Juli 1998 – 4 StR 521/97 –, juris Rdn. 8; BGH, Beschluss vom 17. November 1998 – 4 StR 528/98 –, juris Rdn. 4; KK/Gericke aaO; LR/Franke StPO 26. Aufl. 2012 § 353 Rdn. 30). Dies gilt auch dann, wenn der neue Tatrichter den zweifelhaften Sachverhalt aufklären (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1987 – 2 StR 345/87 –, juris Rdn. 3; LR/Franke aaO mwN) oder sonst Zweifel des Erstrichters überwinden könnte. Insbesondere geht das Tatgericht des ersten Verfahrensgangs nicht allein dadurch, dass es eine Tatsache nicht zweifelsfrei aufklärt oder aufklären kann, von einem insoweit unvollständigen Sachverhalt aus, der widerspruchsfrei durch eine sichere Tatsachenfeststellung ergänzt werden könnte. Denn mit der Anwendung des Zweifelsgrundsatzes hinterlässt das Erstgericht in den Urteilsgründen rechtlich keine Feststellungslücke, sondern stellt – ob ausdrücklich oder nicht – notwendig gerade einen bestimmten Lebenssachverhalt fest, und zwar den für den Angeklagten jeweils günstigsten (BGH aaO). So liegt der Fall auch hier. Das Erstgericht hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt und damit zugleich festgestellt, dass der Angeklagte weder aus pädosexueller Erregung noch aus sadistischer Neigung, sondern wegen eines vorangegangenen Streits, dessen Inhalt und Ablauf unklar geblieben ist, getötet hat (Ersturteil UA S. 67).
- Auf die Sachrüge hin beachtlich (vgl. insoweit BGH aaO, juris Rdn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 353 Rdn. 22; MK/Knauer/Kudlich StPO § 353 Rdn. 49) hat das Landgericht Mönchengladbach gegen diese innerprozessuale Bindung an die Feststellungen des Ersturteils verstoßen. Die Gründe des angegriffenen Urteils stehen in einem tatsächlich unauflösbaren Widerspruch zu den bindenden Feststellungen des ersten Urteils dieses Verfahrens. Ausdrücklich ‚im Gegensatz’ zu den Feststellungen des ersten Tatgerichts ist das Schwurgericht nunmehr ‚von einer eindeutig sadistischen Tatmotivation’ des Angeklagten ausgegangen (UA S. 23, 25) und hat angenommen, dieser habe bei der Tat ‚in deutlicher Prägung sadistische Motive ausgelebt’ (UA S. 24). Hingegen lässt das Schwurgericht den vom ersten Tatgericht seiner Entscheidung als Tatanlass zugrunde gelegten Streit zwischen dem Angeklagten und dem späteren Tatopfer (Ersturteil UA S. 67) ausdrücklich unberücksichtigt (UA S. 24).
- Es ist nicht auszuschließen, dass der Einzel- und Gesamtstrafenausspruch auf der wegen Verstoßes gegen die Bindungswirkung rechtsfehlerhaften Annahme einer ‚sadistisch motivierten Tat’ (UA S. 23) beruht. Denn das Schwurgericht hat die Strafrahmenbestimmung nicht lediglich auf Grundlage einer Neubewertung der bereits festgestellten strafzumessungsrelevanten Gesichtspunkte vorgenommen, sondern gerade der eigenen, von den bindenden Feststellungen des Ersturteils abweichenden Tatsachenfeststellung zum Tatmotiv besondere Bedeutung zugemessen (UA S. 23 – 25).”
Rz. 19
Dem schließt sich der Senat an.
Rz. 20
3. Die Strafe im Fall IV.4. der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe sind deshalb abermals – auf der Grundlage der bereits festgestellten Tatsachen – erneut zu bemessen. Das neue Tatgericht kann nach wie vor ergänzende Feststellungen treffen, aber nur soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Rz. 21
Der Senat sieht keinen Anlass, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Sache an ein anderes zu demselben Land gehörendes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO).
Unterschriften
Schäfer, Gericke, Spaniol, Tiemann, Hoch
Fundstellen
Haufe-Index 13678734 |
NStZ-RR 2020, 119 |