Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 10.02.2010) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 10. Februar 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 4. Oktober 2010 bemerkt der Senat:
Soweit das Landgericht neben den Mordmerkmalen der Habgier und des Ermöglichens einer Straftat auch das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt angesehen hat, hält dies der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dieser Rechtsfehler lässt aber im Ergebnis sowohl den Schuldspruch als auch den Strafausspruch unberührt. Der Angeklagte ist daher hierdurch nicht beschwert.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt heimtückisch, wer das Opfer unter bewusster Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit tötet (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 mwN). Für die Annahme von Arglosigkeit kommt es auf den Beginn der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung an. Rechnet das Tatopfer aufgrund einer vorangegangenen tätlichen Auseinandersetzung mit einem schweren oder doch erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit, entfällt seine Arglosigkeit (BGH, Urteil vom 24. Februar 1999 – 3 StR 520/98, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 27 mwN).
So liegt der Fall auch hier: Als der Angeklagte damit begann, der Geschädigten gegen den Kopf zu treten, und dabei nach den Feststellungen des Landgerichts erstmals mit Tötungsvorsatz handelte, war die Geschädigte nicht mehr arglos. Den Tritten war ein nicht mit Tötungsvorsatz geführter Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit vorausgegangen. Der Angeklagte, der die ihm unbekannte Geschädigte gemeinsam mit dem Mitangeklagten I. auf ihrem Nachhauseweg ausrauben wollte, hatte ihr einen kräftigen Schlag gegen die rechte Schläfe versetzt und sie hierdurch zu Boden gebracht. Entgegen den Erwartungen der beiden Angeklagten gelang es ihnen aber anschließend zunächst nicht, den Rucksack der Geschädigten zu entreißen. Sie setzte sich hiergegen heftig zur Wehr und hielt den Rucksack mit beiden Händen an seinen Riemen fest. Außerdem fragte sie die beiden an ihrem Rucksack zerrenden Angeklagten, warum sie dies täten, sie habe ihnen doch nichts getan. Erst in dieser Situation entschloss sich der Angeklagte S., der Geschädigten mehrere heftige Tritte in das Gesicht zu versetzen, um auf diese Weise in den Besitz des Rucksacks zu gelangen, wobei er auch ihren Tod billigend in Kauf nahm.
Eine Arglosigkeit der Geschädigten als Voraussetzung der Annahme von Heimtücke lag zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vor. Sie hatte wegen des vorausgegangenen Angriffs und der anschließenden körperlichen Auseinandersetzung um den Rucksack die ihr drohende Gefahr erkannt, was auch durch ihre Äußerungen im Rahmen des Tatgeschehens belegt wird. Der Umstand, dass sie bei dem Schlag gegen die Schläfe noch nicht mit einem Angriff gerechnet hatte, ist insoweit ohne Belang, da der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt nach den Feststellungen des Landgerichts noch nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt hatte (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1964 – 1 StR 105/64, BGHSt 19, 321, 322).
Entgegen der Ansicht des Landgerichts liegt hier auch kein Fall vor, bei dem der Körperverletzungsvorsatz derart schnell in einen Tötungsvorsatz umgeschlagen ist, dass dem Opfer keine Zeit blieb, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2004 – 1 StR 145/04; BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502 jew. mwN). Zwischen dem ersten Angriff – dem Schlag gegen die Schläfe – und den mit Tötungsvorsatz ausgeführten Tritten in das Gesicht der Geschädigten lag eine deutliche zeitliche Zäsur, nämlich die Auseinandersetzung um den Rucksack. Bei dieser Auseinandersetzung wurde deutlich, dass die Geschädigte durchaus zur Gegenwehr fähig war, indem sie trotz des heftigen Zerrens der beiden Angeklagten nicht nur den Rucksack mit beiden Händen festhielt, sondern auch noch versuchte, an das Gewissen der beiden Angeklagten zu appellieren, um diese damit zu bewegen, von der weiteren Tatausführung Abstand zu nehmen.
2. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes ist durch die fehlerhafte Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke nicht betroffen, da das Landgericht rechtsfehlerfrei von dem Vorliegen weiterer Mordmerkmale – Habgier und Ermöglichen einer Straftat – ausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. August 1995 – 1 StR 393/95, BGHSt 41, 222).
3. Auch der Strafausspruch hat Bestand. Denn das Landgericht hat das von ihm angenommene Vorliegen von Heimtücke nicht strafschärfend gewertet. Es hat lediglich bei der Bemessung der Jugendstrafe allgemein auf das Vorliegen von „mehreren” Mordmerkmalen abgestellt. Der für die Strafzumessung bedeutsame Umstand, dass der Angeklagte mehr als nur ein Mordmerkmal verwirklicht hat, ist im Hinblick auf die vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Mordmerkmale der Habgier und des Ermöglichens einer Straftat aber auch ohne das Mordmerkmal der Heimtücke gegeben. Im Übrigen hat das Landgericht bei der Bemessung der schuldangemessenen und erzieherisch gebotenen Jugendstrafe auch gewichtige andere Umstände in den Blick genommen, nämlich die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen für die Geschädigte und die hartnäckige Verfolgung des Plans durch den Angeklagten, an jenem Tag einen Raub zu begehen. Der Senat kann daher ausschließen, dass der Strafausspruch auf der fehlerhaften Annahme von Heimtücke beruht.
Unterschriften
Nack, Wahl, Graf, Jäger, Sander
Fundstellen