Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 09.01.1992; Aktenzeichen 7 U 61/91) |
Tenor
Die Revisionen der Parteien gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 9. Januar 1992 – 7 U 61/91 – werden nicht angenommen.
Die Kosten des Revisionsrechtszuges werden gegeneinander aufgehoben.
Streitwert: 60.548 DM.
Gründe
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 554 b ZPO). Die Revisionen haben im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg (BVerfGE 54, 277).
1. Die Revision des Klägers:
Der Kläger wendet sich dagegen, daß die Vorinstanzen den geltend gemachten Amtshaftungsanspruch dem Grunde nach verneint haben. Die Vorinstanzen haben indessen zu Recht entschieden, daß der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bei der Schaffung der Bestimmung des § 6 Abs. 6 MGVO, aus deren Rechtswidrigkeit die streitgegenständlichen Ansprüche hergeleitet werden, keine drittgerichteten Amtspflichten zu Lasten des Klägers verletzt hat.
a) In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß Verordnungen – ebenso wie Gesetze – durchweg generelle und abstrakte Regelungen enthalten; daher nimmt der Verordnungsgeber in der Regel ausschließlich Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit wahr, denen ein Drittbezug zu Lasten einzelner Betroffener mangelt (Senatsurteile BGHZ 102, 350, 367; 56, 40, 44/45; Boujong in Festschrift für Willi Geiger [1989] S. 430, 439 f; jeweils m.w.N.).
b) Nur ausnahmsweise, nämlich bei Verordnungen, die inhaltlich dem Regelungsgehalt von Maßnahme- oder Einzelfallgesetzen entsprechen, kann etwas anderes in Betracht kommen und können Belange bestimmter einzelner unmittelbar berührt werden, so daß sie als „Dritte” im Sinne des § 839 BGB angesehen werden können (vgl. Senatsurteil vom 7. Juli 1988 – III ZR 198/87 = NJW 1989, 101 m.w.N.). Um eine solche Regelung handelte es sich indessen bei § 6 Abs. 6 MGVO nicht. Die dort festgelegte „Kappungsgrenze” galt für alle von § 6 MGVO betroffenen Milcherzeuger in gleicher Weise. Die einzelnen dort aufgeführten Gruppen von Investoren waren nach abstrakt-generellen Merkmalen bestimmt. Es läßt sich auch nicht feststellen, daß diese Bestimmung aus einem konkreten Anlaß geschaffen worden ist und der Verwirklichung eines konkreten, begrenzten Zweckes diente (vgl. zu diesen Merkmalen des Maßnahmegesetzes: Ronellenfitsch, DÖV 1991, 771, 776). Die Regelung war vielmehr in die allgemeine Zielsetzung der Verordnung eingebettet, eine Begrenzung der Überproduktion von Milch zu erreichen. Unerheblich ist, daß durch die „Kappungsgrenze” tatsächlich möglicherweise nur eine begrenzte Zahl von Milcherzeugern betroffen wurde. Dieser Umstand ändert nichts daran, daß der Kreis der Betroffenen nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift ausschließlich nach abstrakt-generellen Merkmalen bestimmt wurde. Es fehlt daher eine besondere räumliche und/oder sachliche Individualisierung der Rechtsadressaten, die eine besondere Beziehung zwischen dem Rechtsetzungsakt und den geschützten Interessen bestimmter Betroffener hätte schaffen können, wie sie der Senat etwa für Bebauungspläne bejaht hat, bei denen eine Ähnlichkeit mit einem Maßnahmegesetz angenommen worden ist (Senatsurteile BGHZ 84, 292, 300; 92, 34, 51 ff; 106, 323, 330 ff). Ebensowenig läßt sich der vorliegende Sachverhalt mit demjenigen vergleichen, der dem Senatsurteil BGHZ 63, 319 zugrundegelegen hatte, wo es um die Weisung eines Bundesministers an eine nachgeordnete Verwaltungsstelle gegangen war, über die Anträge eines überschaubaren Kreises bestimmter Personen in bestimmter Weise zu entscheiden, und wo eine Amtspflicht des Bundesministers gegenüber diesen Antragstellern bejaht worden ist, die Bindung der Verwaltungen das Gesetz zu beachten.
c) Die Drittbezogenheit läßt sich auch nicht mit der Erwägung begründen, daß der Bundesminister hier ein absolut geschütztes Rechtsgut des Klägers im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB verletzt habe. Es trifft zwar zu, daß jeder Amtsträger die Amtspflicht hat, deliktische Eingriffe in die durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten absoluten Rechte zu unterlassen (vgl. Senatsurteile BGHZ 78, 274, 279; 69, 128, 138; MünchKomm/Papier, 2. Aufl. 1986 § 839 Rn. 196). Damit ist indessen gemeint, daß es dem Amtsträger verboten ist, rechtswidrige Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen, Sachbeschädigungen oder dergleichen gegenüber individualisierbaren Rechtsträgern zu begehen. Diese Grundsätze passen nicht auf den vorliegenden Fall. Hier geht es um die Auswirkungen einer nach abstrakt-generellen Kriterien vorgenommenen normativen Regelung auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (s. unten 2. b). Dieses Recht ist ein Rechtsinstitut des einfachen Rechts (BVerfG NJW 1992, 36/37) und ist daher grundsätzlich einer normativen Ausgestaltung zugänglich. Die Drittgerichtetheit eines derartigen Rechtsetzungsaktes muß nach den vorstehend wiedergegebenen allgemeinen Kriterien ermittelt werden. Das gleiche gilt für etwaige Verstöße gegen die Grundrechte aus Art. 2 oder Art. 12 GG (vgl. Senatsurteil vom 7. Juli 1988 a.a.O.).
2. Die Revision der Beklagten:
Die Beklagte wendet sich dagegen, daß die Vorinstanzen dem Kläger dem Grunde nach einen Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs zuerkannt haben.
a) Insoweit ist eine Haftung der Beklagten nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Schaffung der rechtswidrigen Bestimmung des § 6 Abs. 6 MGVO „normatives” Unrecht war. Vielmehr bildet das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs eine geeignete Grundlage für eine Staatshaftung für rechtswidrige untergesetzliche Normen, die an eigenen, nicht auf die Ermächtigungsnorm zurückgehenden Nichtigkeitsgründen leiden. Rechtsverordnungen und Satzungen gehören nicht zur Gesetzgebung im formellen Sinn, sondern sind der vollziehenden Gewalt zuzuordnen. Es ist anerkannt, daß sich das Haftungsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs auch auf Eingriffe durch derartige rechtswidrige Rechtsetzungsakte bezieht (Senatsurteil BGHZ 111, 349, 352/353 m.w.N.). Das Erfordernis, daß die rechtswidrige Norm an einem eigenen Nichtigkeitsgrund leiden muß, ist hier erfüllt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 8. Dezember 1988 (BVerwGE 81, 49) festgestellt, daß § 6 Abs. 6 MGVO unmittelbar gegen Art. 14 GG verstoße. Prüfungsmaßstab für die Gültigkeit des § 6 Abs. 6 MGVO waren die deutschen Grundrechte; denn eine Begrenzung des Vertrauensschutzes, wie sie § 6 Abs. 6 MGVO statuierte, war vom Recht der europäischen Gemeinschaften, auf dem die MGVO letztlich beruhte, nicht vorgegeben (a.a.O. S. 50).
b) Als eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition, in die § 6 Abs. 6 MGVO eingegriffen haben könnte, hat das Bundesverwaltungsgericht zunächst den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht gezogen, die Frage, inwieweit der Betrieb als solcher durch Art. 14 GG geschützt sei, jedoch im Ergebnis offengelassen (a.a.O. S. 54). Vielmehr hat es auf das Eigentum der Milcherzeuger an der jeweils erzeugten Milch und vor allem an den Betriebsgegenständen, dem Stall, den Kühen und etwaigen Melkanlagen abgestellt (S. 55). Es hat ausgeführt, das Vermarktungsverbot stelle sich als eine unzulässige Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums der Milcherzeuger an diesen Gegenständen dar. Das Berufungsgericht hat demgegenüber darauf hingewiesen, daß weder die Substanz noch der Wert dieser Sachen unmittelbar betroffen werde, sondern deren Nutzbarkeit im Rahmen des durch den Betrieb hergestellten Funktionszusammenhangs, Sodann hat das Berufungsgericht im einzelnen die vom Bundesverwaltungsgericht offengelassene Frage erörtert und bejaht, ob der Gewerbebetrieb als solcher verletzt sei. In diese Prüfung hat es die Senatsrechtsprechung, insbesondere das Urteil BGHZ 111, 39 (Kakaoverordnung) einbezogen. Diese Würdigung läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Das Berufungsgericht hat insbesondere beachtet, daß dem betroffenen Kläger keineswegs ein unbeschränkter Anspruch auf Fortbestand der früheren, ihm günstigen Absatzbedingungen zustand. Eigentumsmäßig geschützt war vielmehr nur das Vertrauen darauf, daß bei etwaigen Änderungen die berechtigten Belange der betroffenen Milcherzeuger angemessen berücksichtigt wurden und eine schonende, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Übergangsregelung geschaffen wurde.
c) Bei der hier gegebenen Fallkonstellation bestehen keine Bedenken dagegen, wegen der die Grenzen einer zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung überschreitenden Beeinträchtigung des Eigentums nach den Grundsätzen des enteignungsgleichen Eingriffs eine Entschädigung wegen der trotz Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes verbleibenden Nachteile zuzuerkennen. Zwar hat der Senat in BGHZ 111, 349, 357 entschieden, daß die dort in Rede stehende Inhalts- und Schrankenbestimmung auch bei Rechtswidrigkeit tatbestandsmäßig eine Inhaltsbestimmung geblieben sei und nicht etwa nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen zu einer Entschädigung nach Art. 14 Abs. 3 GG geführt habe. Dies betraf aber eine Fallgestaltung, bei der die Rechtswidrigkeit gerade nicht aus der Einwirkung auf die eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition, sondern aus einem nicht mit der Eigentumsverletzung als solcher zusammenhängenden Grund (dort: einem Verstoß gegen Art. 12 des Grundgesetzes) hergeleitet worden war. In einem solchen Fall kommt der Rechtswidrigkeit des staatlichen Vorgehens allein eine enteignungsgleiche Wirkung nicht zu (Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung [1987] Rn. 416; Krohn, Enteignung, Entschädigung, Staatshaftung, 1993, Rz. 32 ff; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 78, 41, 44). Hier dagegen besteht die Rechtswidrigkeit gerade darin, daß die Grenzen zulässiger Sozialbindung überschritten worden waren und in den geschützten Kernbereich des Eigentums eingegriffen worden war. Dies ist ausreichend (und erforderlich), um einen Entschädigungsanspruch zu begründen. Hierdurch wird auch nicht etwa in unzulässiger Weise eine verfassungswidrige Inhaltsbestimmung in eine Enteignung umgedeutet und der Verfassungsverstoß durch Zubilligung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Entschädigung „geheilt” (vgl. Senatsurteil BGHZ 100, 136, 144 m.w.N.). Vielmehr geht es gerade um den Ersatz derjenigen Schäden, die durch die vom Verordnungsgeber vorgenommene rückwirkende Behebung des Verfassungsverstoßes (nämlich durch die Neufassung des § 6 Abs. 6 MGVO) nicht ausgeglichen worden sind und nicht ausgeglichen werden konnten.
d) Das Berufungsgericht hat ferner mit zutreffenden Erwägungen eine für den Erlaß eines Grundurteils ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür bejaht, daß das weitere Verfahren einen Entschädigungsanspruch des Klägers in bestimmter Höhe ergeben werde. Es hat dabei insbesondere beachtet, daß entschädigungsfähig nicht etwa die dem Kläger entgangenen Subventionen sind, sondern lediglich die im eigentumsmäßig geschützten Vertrauen getätigten Aufwendungen, die sich infolge der rechtswidrigen Regelung – zeitweise – als „unrentierlich” erwiesen hatten. Die Mehrbelastung mit solchermaßen unrentierlichen Investitionen wird sich rechnerisch am ehesten durch eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals erfassen lassen. Die bei der Entschädigung außerdem noch zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind vom Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt worden.
3. Eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung kommt den in diesem Rechtsstreit aufgeworfenen Fragen nicht zu. Der Verordnungsgeber hat inzwischen durch die Neufassung des § 6 Abs. 6 MGVO die Folgerungen aus der Verfassungswidrigkeit der ursprünglichen Bestimmung gezogen. Insoweit handelt es sich also um einen abgeschlossenen Sachverhalt ohne Fortwirkungen. Die rechtliche Würdigung des Falles liegt auf der Linie der bisherigen Senatsrechtsprechung.
Unterschriften
Krohn, Engelhardt, Rinne, Wurm, Deppert
Fundstellen