Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 12.09.2013) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. September 2013 mit den Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Geschehen und zum Tötungs- und Heimtückevorsatz (§ 349 Abs. 4 StPO).
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, mit Verfahrensrügen und der Beanstandung der Verletzung materiellen Rechts geführte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen erfuhr der Angeklagte am 13. Oktober 2012 von seiner Freundin, dass der gemeinsame Bekannte Z. sie missbraucht habe. Um sich an Z. zu rächen, lauerte er diesem einen Tag später auf, nachdem er dessen Fußweg in Erfahrung gebracht hatte. Der Angeklagte ging auf den Geschädigten Z. zu; als er vor ihm stand, setzte er unvermittelt, bewusst den Überraschungsmoment zur Ausschaltung von Gegenwehr ausnutzend, zu einem von oben geführten Stich auf den Kopf mit einem Schraubenzieher an. Der Geschädigte wurde oberflächlich an der Stirn getroffen und beugte sich nach vorn. Der Angeklagte holte erneut mit dem Schraubenzieher aus und stach dem gebückt stehenden Geschädigten in den Rücken. Der Stich drang vier bis fünf Zentimeter zwischen die Schulterblätter ein. Nachdem der Geschädigte zu Boden gegangen war, trat der Angeklagte noch mehrmals mit Füßen auf ihn ein. Der Geschädigte konnte schließlich aufstehen und fliehen. Der Angeklagte rief ihm nach, dass er ihn schon noch kriegen und umbringen werde. Der Geschädigte ging nach Hause, unterwegs trank er noch ein Bier. Durch die Verletzungen bildete sich bei ihm ein Pneumothorax, aufgrund dessen abstrakte Lebensgefahr bestand.
Rz. 3
2. Das Landgericht ist von einer heimtückischen Begehungsweise ausgegangen und hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Mordes mit der Begründung verneint, dass der Versuch fehlgeschlagen sei. Der Angeklagte habe erkannt, dass sein Tatplan gescheitert sei, als sich sein Opfer selbst befreit habe und geflohen sei. Dies gelte „insbesondere als der Geschädigte Richtung der ca. 50 Meter vom Tatort entfernten PI 23 geflüchtet” sei.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
1. Während die Verfahrensrügen aus dem vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgeführten Gründen versagen, hat die Sachrüge teilweise Erfolg. Zwar hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei vom Handeln des Angeklagten mit Tötungsvorsatz überzeugt, auch die Annahme einer heimtückischen Begehungsweise ist nicht zu beanstanden. Jedoch erweisen sich die Erwägungen, mit denen das Landgericht zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt vom Mordversuch verneint hat, als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Denn sie finden in den Feststellungen keine Grundlage.
Rz. 5
a) Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 4 StR 346/12, NStZ 2013, 156 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), so dass ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB ausscheidet.
Rz. 6
Mithin kommt es auf das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 13. November 2012 – 3 StR 411/12; BGH, Beschluss vom 29. September 2011 – 3 StR 298/11, NStZ 2012, 263; BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003 – 4 StR 8/03; BGH, Urteil vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273).
Rz. 7
b) Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht.
Rz. 8
Denn das Landgericht hat aus den getroffenen Feststellungen keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung gezogen. Hierzu ist lediglich festgestellt, dass der Geschädigte, welcher soeben noch mit Fußtritten vom Angeklagten traktiert wurde, aufstehen und fliehen konnte. Welche Vorstellungen der Angeklagte in diesem Moment des Entkommenlassens hatte, bleibt unerörtert. Aufgrund der hier festgestellten Tatumstände – der noch im Besitz des Tatwerkzeugs befindliche Angeklagte trat mit Füßen auf den am Boden liegenden Geschädigten ein, hielt den sich Befreienden aber weder fest noch setzte er ihm nach – versteht es sich auch nicht von selbst, dass sich die Befreiung und die Flucht des Geschädigten für den Angeklagten als unbezwingbar darstellten und er davon ausging, dass sein Plan in der konkreten Situation gescheitert war, zumal da auch zu den Kräfteverhältnissen zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten nichts weiter festgestellt ist.
Rz. 9
Dass der Angeklagte nach der erfolgreichen Flucht des Geschädigten in Richtung einer vom Tatort nur wenig entfernten Polizeidienststelle vom Scheitern seines Tatplans ausgegangen sein soll, ersetzt diese, einen zeitlich vorgelagerten Zeitpunkt betreffende Feststellung nicht. Denn anders als in der vom Landgericht für seine Rechtsauffassung zitierten Entscheidung (BGH, Urteil vom 14. Juli 1992 – 1 StR 243/92, NStZ 1993, 39 f.) war das Opfer nicht unbemerkt vom Angeklagten geflohen. Es hätte daher hier anhand von Rückschlüssen aus den festgestellten Tatumständen einer Auseinandersetzung mit dem Vorstellungsbild des Angeklagten bei der Situation des Entkommens seines Opfers bedurft.
Rz. 10
c) Auf der Grundlage der Feststellungen ist auch ein beendeter Versuch nicht belegt. Der Geschädigte hatte keine sichtbaren Beeinträchtigungen, als er die Flucht ergriff. Vielmehr ist festgestellt, dass auch die Frau des Geschädigten die Verletzung am Rücken zunächst nicht bemerkte. Dass der Angeklagte davon ausgegangen wäre, den Geschädigten bereits tödlich getroffen zu haben, ist nicht naheliegend und wäre auch mit seiner nachgerufenen Drohung nicht ohne weiteres zu vereinbaren.
Rz. 11
2. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Von der Aufhebung erfasst wird auch die für sich genommen nicht zu beanstandende tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Feststellungen zum objektiven Geschehen und zum Tötungs- und Heimtückevorsatz werden jedoch von dem Rechtsfehler nicht berührt und können bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen, etwa zur Kampfsituation bei Entkommen des Geschädigten treffen, solange sie den aufrechterhaltenen nicht widersprechen.
Unterschriften
Raum, Wahl, Graf, Cirener, Radtke
Fundstellen
Haufe-Index 6718704 |
NStZ 2014, 396 |
JA 2014, 547 |
NStZ-RR 2014, 201 |