Verfahrensgang
LG Bamberg (Urteil vom 16.12.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 16. Dezember 2003 dahin abgeändert, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 361 Fällen und exhibitionistischer Handlungen in 64 Fällen schuldig ist.
2. Im übrigen wird das Verfahren eingestellt.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Soweit das Verfahren eingestellt ist, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Im übrigen trägt der Angeklagte die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
Der Angeklagte hat an einem nicht mehr genau feststellbaren Tag im Frühjahr/Sommer 1993 sich vor der am 1. Juli 1985 geborenen Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin selbst befriedigt und dabei auch seinen Finger in ihre Scheide gesteckt. In der Folge nahm er bis zu ihrem 14. Geburtstag eine Vielzahl, ihrer Art nach im einzelnen geschilderter, unterschiedlicher sexueller Handlungen mit und vor der Geschädigten vor. Nach ihrem 14. Geburtstag hat er sie, wie teilweise auch schon zuvor, bis Sommer 2001 regelmäßig veranlaßt, ihm bei der Selbstbefriedigung zuzuschauen. Er wurde deshalb, hinsichtlich der Zahl der Fälle nach Maßgabe des Zweifelssatzes, wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 361 Fällen (§ 176 StGB in der jeweils anzuwendenden Fassung) und wegen exhibitionistischer Handlungen in 80 Fällen (§ 183 StGB) verurteilt. Die Strafkammer hat mit differenzierten Erwägungen gegen den erheblich, auch einschlägig, vorbestraften und während mehrerer Jahre innerhalb des Tatzeitraums auch bewährungsbrüchigen Angeklagten in den Mißbrauchsfällen Einzelstrafen zwischen 15 Monaten und acht Monaten und im übrigen von jeweils sechs Monaten verhängt (Gesamtsumme 3.715 Monate) und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren gebildet.
Die Revision des Angeklagten hat insoweit Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), als das Verfahren wegen Verjährung einzustellen ist, soweit der Angeklagte wegen exhibitionistischer Handlungen zwischen 1. Juli und 15. Oktober 1999 verurteilt worden ist. Im übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Revision sieht ein Verfahrenshindernis darin, daß die Angaben zu den einzelnen Taten in der unverändert zugelassenen Anklage weder datumsmäßig noch sonst genau genug seien. Die Anforderungen des Bundesgerichtshofs an die Konkretisierung derartiger Serientaten seien zu gering.
Das behauptete Verfahrenshindernis liegt aus den vom Generalbundesanwalt im Antrag vom 20. April 2004 zutreffend dargelegten Gründen nicht vor.
2. Die erste zur Unterbrechung der für Vergehen gegen § 183 StGB dreijährigen Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB) geeignete Handlung war der Erlaß eines Haftbefehls gegen den Angeklagten am 15. Oktober 2002 (§ 78 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Daher sind die zwischen 1. Juli und 15. Oktober 1999 begangenen Vergehen gemäß § 183 StGB verjährt.
Die Strafkammer geht davon aus, daß die genannten Taten jedenfalls einmal pro Woche stattgefunden haben. Aus im einzelnen dargelegten Gründen (z. B. Aufenthalten im Landschulheim) stellt sie im Hinblick auf den Zweifelssatz jedenfalls 40 derartiger Taten pro Jahr fest. Gebot der Zweifelssatz, beim Umfang der Verurteilung von so wenig Taten auszugehen, wie dies nach den Umständen in Betracht kommt, so gebietet er bei der Entscheidung darüber, wie viele der abgeurteilten Taten verjährt sind, von so vielen Taten auszugehen, wie dies nach den Umständen in Betracht kommt. Bei wöchentlich einer Tat und dem in Rede stehenden Zeitraum von etwas über 15 Wochen sind dies 16 Taten. In diesem Umfang stellt der Senat daher das Verfahren ein.
3. Die Strafkammer hat bei der Würdigung der Aussage der Geschädigten berücksichtigt, daß bei ihr typische Folgen langjährigen sexuellen Mißbrauchs vorlägen. Gestützt ist diese Annahme auf eine umfangreiche Beweisaufnahme zur Aussagegenese – die Polizei wurde zunächst nicht durch eine Strafanzeige auf den Vorgang aufmerksam, sondern weil sie von dritter Seite wegen akuter Suizidgefahr der Geschädigten alarmiert worden war – ebenso wie auf die Vernehmung zahlreicher Zeugen aus dem Umfeld der Geschädigten, z. B. ihrer Psychotherapeutin, und auf die Beobachtungen, die die Strafkammer bei der Vernehmung der Geschädigten selbst gemacht hat. Die Annahme der Revision, all dies spreche gegen sexuellen Mißbrauch und für eine planmäßige Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte, was ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Geschädigten bestätigt hätte, verdeutlicht unter diesen Umständen eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) nicht. Auch insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts, die durch die Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet werden.
Auch im übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung weder im Schuldspruch noch hinsichtlich der Einzelstrafen einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4. Die auch im übrigen ohne den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren kann trotz des Wegfalls von 16 Einzelstrafen von je sechs Monaten ebenfalls bestehen bleiben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dies bei Wegfall einer Einzelstrafe oder eines kleinen Teils von Einzelstrafen dann der Fall, wenn sich die Gesamtstrafe gleichwohl nach Sachlage, insbesondere im Hinblick auf Zahl und Höhe der übrigen Einzelstrafen ohne weiteres rechtfertigt, also ohne daß insoweit Raum für die Ausübung dem Tatrichter vorbehaltenen Ermessens durch das Revisionsgericht wäre (vgl. BGH, Beschl. vom 13. Februar 2004 – 1 StR 571/03; BGH wistra 1999 28, 29; w. N. b. Kuckein in KK 5. Aufl. § 353 Rdn. 21).
So verhält es sich hier. Dies ergibt sich schon aus den verbleibenden 425 (statt 441) Einzeltaten, für die 3.619 (statt 3.715) Monate Freiheitsstrafe verhängt wurden. Hinzu kommt, daß die Strafkammer – auch – bei der Bildung der Gesamtstrafe maßgeblich auf Gesichtspunkte abgestellt hat, die im wesentlichen das Gesamtgeschehen prägen und nicht von der exakten Anzahl der Einzelfälle gekennzeichnet sind. Dies gilt für den strafmildernd berücksichtigten Gewöhnungseffekt ebenso wie für die strafschärfend berücksichtigte erhebliche Traumatisierung der Geschädigten. Unter diesen Umständen ist im dargelegten
Sinne ausgeschlossen, daß die Strafkammer, die im übrigen aus Rechtsgründen nicht gehalten gewesen wäre, verjährtes Geschehen bei der Strafzumessung völlig außer Betracht zu lassen, eine niedrigere Gesamtstrafe verhängt hätte, wenn sie erkannt hätte, daß ein kleiner Teil der abgeurteilten exhibitionistischen Handlungen verjährt ist.
Unterschriften
Nack, Wahl, Boetticher, Schluckebier, Kolz
Fundstellen