Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelung der elterlichen Sorge bei Uneinigkeit der Eltern über die religiöse Erziehung des Kindes
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, inwieweit die Uneinigkeit der Eltern über die religiöse Erziehung des Kindes die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil allein rechtfertigt.
Normenkette
BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
OLG Bamberg (Beschluss vom 14.01.2004; Aktenzeichen 2 UF 214/03) |
AG Forchheim |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 2. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Bamberg v. 14.1.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das OLG zurückverwiesen.
Wert: 3.000 EUR
Gründe
I.
Die Parteien streiten um die elterliche Sorge für ihren gemeinsamen Sohn M... S... H... H., geboren am 12.4.2002.
Die Mutter (Antragstellerin) ist deutsche Staatsangehörige und katholisch; der Vater (Antragsgegner) ist pakistanischer Staatsangehöriger und dem Islam zugehörig. Das AG hat durch Verbundurteil v. 17.7.2003 die Ehe der Parteien geschieden (insoweit rechtskräftig) und die elterliche Sorge für das Kind der Mutter übertragen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das OLG zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Vater sein Begehren, es bei der gemeinsamen Sorge für das Kind zu belassen, weiter.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
1. Nach Auffassung des OLG entspricht die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Mutter dem Wohl des Kindes am besten. Das OLG stützt sich dabei auf die tatsächlichen Feststellungen des AG, die unverändert fortgelten würden. Die Parteien seien heftig zerstritten; eine Kommunikation finde zwischen ihnen nicht mehr statt. Insbesondere seien die Parteien über die religiöse Erziehung des Kindes uneins. Während die Mutter das Kind taufen lassen und im christlich-katholischen Glauben erziehen möchte, wolle der Vater diese Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt dem Kind vorbehalten. Solange könne indes nicht zugewartet werden; denn die Vermittlung einer glaubensmäßigen Grundeinstellung sei eine der grundlegenden Erziehungsaufgaben der Eltern. Ethische Wertvorstellungen trügen wesentlich zur charakterlichen Entwicklung eines Kindes, insb. zu seinem Sozialverhalten, bei. Schon dies mache es notwendig, dass das Kind in diesem Bereich eine feste Orientierung erhalte. Deshalb sei es erforderlich, der Mutter das alleinige Sorgerecht zu übertragen, damit sie über die Religionszugehörigkeit des Kindes abschließend entscheiden könne. Insoweit sei zu beachten, dass das Kind M... in einem christlich geprägten Umfeld aufwachse und auch das Kind aus erster Ehe der Mutter, zu dem M... auf Grund eines von der Mutter an den Wochenenden ausgeübten Umgangsrechts Kontakt habe, katholisch erzogen werde.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Leben die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern, wie hier, nicht nur vorübergehend getrennt, ist gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB einem Elternteil auf seinen Antrag - auch ohne Zustimmung des anderen Elternteils - die elterliche Sorge allein zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Diese Regelung bedeutet nicht, dass dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge ein Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils eingeräumt wird. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame Sorge im Zweifel die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist. Einer solchen Regelung stünde, wie der Senat dargelegt hat, bereits entgegen, dass sich elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen lässt (BGH, Beschl. v. 29.9.1999 - XII ZB 3/99, MDR 2000, 31 m. Anm. Oelkers = FamRZ 1999, 1646 [1647]). Wenn sich die Eltern bei Fortbestehen der gemeinsamen Sorge fortwährend über die das Kind betreffenden Angelegenheiten streiten, kann dies zu Belastungen führen, die mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar sind. In solchen Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht "funktioniert" und es den Eltern nicht gelingt, zu Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen, ist, wie der Senat (BGH, Beschl. v. 29.9.1999 - XII ZB 3/99, MDR 2000, 31 m. Anm. Oelkers = FamRZ 1999, 1646 [1647]) weiter ausgeführt hat, der Alleinsorge eines Elternteils ggü. dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge der Vorzug zu geben. Die Übertragung der Alleinsorge setzt allerdings konkrete tatrichterliche Feststellungen voraus, aus denen sich ergibt, dass diese Voraussetzung vorliegt und die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil erfordert. Formelhafte Wendungen, nach denen den Eltern die Kontakt- und Kooperationsbereitschaft fehlt, können das Ergebnis solcher Feststellungen zwar zusammenfassen; sie können aber solche Feststellungen nicht ersetzen. Ebenso wenig entheben sie den Tatrichter der gebotenen Prüfung, ob dem Wohl des Kindes nicht in gleicher oder vergleichbarer Weise auch durch Maßnahmen Rechnung getragen werden kann, die weniger in das Elternrecht einschneiden als der mit der Übertragung der Alleinsorge auf den einen Elternteil einhergehende Entzug des Sorgerechts des anderen Elternteils.
b) Das OLG hat keine konkreten Tatsachen festgestellt, aus denen sich ergibt, dass die Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter im vorliegenden Fall geboten ist.
Der vom AG angeführte Umstand, dass die Parteien "tief zerstritten" seien, besagt noch nichts über deren Unfähigkeit, in Angelegenheiten ihres gemeinsamen Kindes zu gemeinsamen kindeswohlverträglichen Lösungen zu gelangen. Die Annahme des OLG, eine Kommunikation finde zwischen den Parteien (schlechthin) nicht mehr statt, wird durch die vom OLG in Bezug genommenen Feststellungen des AG nicht getragen und auch sonst durch keine konkreten Tatsachen belegt.
Auch die Meinungsverschiedenheit der Eltern über die religiöse Erziehung des Kindes ist - jedenfalls für sich genommen - nicht angetan, die Alleinsorge der Mutter als die für das Kindeswohl beste Lösung erscheinen zu lassen. Zwar ist es eine wichtige Aufgabe der Eltern, ihrem Kind ethische Wertvorstellungen zu vermitteln und es zu einem angemessenen Sozialverhalten zu erziehen. Dies kann, muss aber nicht notwendig durch eine frühzeitige und feste Orientierung in einem bestimmten Glauben oder an einer bestimmten Konfession erfolgen. Zudem könnte dem Anliegen, das Kind - etwa im Hinblick auf seine vom OLG betonte christlich-katholische Umgebung - bereits taufen zu lassen, durch eine Entscheidung nach § 1628 BGB Rechnung getragen werden. Dass der Vater sich darüber hinaus der Integration des Kindes in seine christliche Umgebung widersetzt, ist nicht festgestellt. Das amtsgerichtliche Urteil gibt insoweit nur bestrittene Behauptungen der Mutter wieder. Das gilt auch für das angebliche Verbot des Genusses von Schweinefleisch, das in der angefochtenen Entscheidung als unstreitig behandelt, in dem darin ausdrücklich in Bezug genommenen amtsgerichtlichen Urteil aber als streitig dargestellt wird (BGH, Urt. v. 9.3.2005 - VIII ZR 381/03, z.V.b.). Im Übrigen könnten auch solche weiter gehenden ("Alltags-") Probleme, die in der unterschiedlichen religiösen Ausrichtung der Eltern begründet sind, durch eine Teilübertragung des Sorgerechts gelöst werden. Einer generellen Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter bedarf es dazu nicht. Der Umstand, dass das Kind der Mutter aus erster Ehe, mit dem die Mutter am Wochenende Umgang hat und das deshalb auch zum Kind M... Kontakte unterhält, katholisch erzogen wird, rechtfertigt kein anderes Ergebnis.
Fundstellen
Haufe-Index 1378344 |
NJW 2005, 2080 |
BGHR 2005, 1194 |
FamRZ 2005, 1167 |
FamRZ 2005, 1533 |
MDR 2005, 1112 |
FF 2005, 268 |
FamRB 2005, 259 |
NJW-Spezial 2005, 395 |
ZFE 2005, 288 |
Kind-Prax 2005, 225 |
Kirche & Recht 2006, 87 |