Leitsatz (amtlich)
Die Gebührenerhöhung gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO kommt in entsprechender Anwendung auch einem Armenanwalt zugute, der mehrere Auftraggeber hinsichtlich verschiedener Gegenstände vertritt, wenn und soweit durch die Häufung der verschiedenen Gegenstände wegen der Streitwertbegrenzung des § 123 BRAGO eine Erhöhung des für die Berechnung der Gebühr maßgeblichen Streitwertes nicht eintritt.
Normenkette
BRAGO §§ 6, 123 (bis 31.12.80 gültg. Fassg.)
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG |
LG Lübeck |
Tenor
Auf die Erinnerung des Rechtsanwalts Dr. M… wird der Festsetzungsbeschluß des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, des Bundesgerichtshofs vom 20. Mai 1980 teilweise geändert. Die dem Rechtsanwalt aus der Bundeskasse zu gewährende Vergütung wird auf insgesamt 1.589,51 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Erinnerungsführer war im Revisionsverfahren den Klägern und Revisionsbeklagten als Armenanwalt beigeordnet. Seine Mandanten (Mutter und minderjähriger Sohn) hatten im Rechtsstreit je einzeln Schadensersatzansprüche aus ihren jeweiligen Körperverletzungen anläßlich eines dem Rechtsvorgänger der Beklagten zur Last gelegten Gebäudebrandes hergeleitet.
Bei der Festsetzung der Armenanwalts-Gebühren des Erinnerungsführers geht der Urkundsbeamte (in Übereinstimmung mit jenem und sachlich richtig) davon aus, daß ihm – neben Auslagen und Umsatzsteuer – eine Prozeßgebühr von 750 DM (§§ 11 Abs. 1 Satz 3, 31 Abs. 1 Nr. 1, 123 BRAGO) und eine Verhandlungsgebühr von 487,50 DM (§§ 11 Abs. 1 Satz 2, 31 Abs. 1 Nr. 2, 123 BRAGO) zusteht. Der Erinnerungsführer meint aber, daß er über den festgesetzten Betrag hinaus weitere 225 DM zuzüglich darauf entfallender Umsatzsteuer deshalb verlangen kann, weil er zwei Kläger vertreten hat.
II.
Die Erinnerung, für deren Beurteilung die bis zum 31. Dezember 1980 bestehende Rechtslage maßgeblich ist, hat Erfolg.
1. a) Soweit sich aus den ff 121 ff. BRAGO nichts anderes ergibt, sind auf die Vergütung des im Armenrecht beigeordneten Anwalts die allgemeinen Vorschriften dieses Gesetzes anzuwenden. Daß damit die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO gleichfalls anwendbar ist, vermag indessen das Begehren des Erinnerungsführers jedenfalls unmittelbar nicht zu rechtfertigen. Diese Vorschrift greift nach ihrem Wortlaut nur ein, wo der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit für mehrere Auftraggeber derselbe ist. Das trifft hier nicht zu, denn Mutter und Sohn haben im Rechtsstreit jeweils eigene, sich nicht überschneidende Ansprüche verfolgt.
b) Auch die Vorschrift des § 7 Abs. 2 BRAGO kann dem Erinnerungsführer nicht zum Erfolg verhelfen. Sie trifft zwar gerade den Fall, daß der Rechtsanwalt bezüglich mehrerer Streitgegenstände tätig ist, sei es für denselben, sei es für mehrere durch einfache Streitgenossenschaft verbundene Auftraggeber. Daß diese Vorschrift dem Erinnerungsführer nicht zugute kommt, beruht auf § 123 BRAGO. Danach kann der Armenanwalt dann, wenn der Wert des Gegenstandes 20.000 DM übersteigt, nur die dort vorgesehene Höchstgebühr beanspruchen. Dies führt auch dann nicht zu einer höheren Vergütung, wenn er mehrere Auftraggeber hinsichtlich verschiedener Streitgegenstände vertritt, aber schon der nur einen Auftraggeber betreffende Streitgegenstand die Höchstgebühr auslöst. Daß der Armenanwalt daneben noch andere Streitgenossen hinsichtlich weiterer Gegenstände vertritt, bliebe demnach entgegen dem Grundsatz des § 7 Abs. 2 BRAGO ohne Auswirkung.
Begnügte man sich mit diesem jedenfalls dem Wortlaut des Gesetzes entsprechenden Ergebnis, dann müßte der daran ausgerichtete Festsetzungsbeschluß Bestand haben.
2. Dieses Ergebnis kann jedoch nicht hingenommen werden.
a) Soweit ein Armenanwalt mehrere Auftraggeber hinsichtlich desselben Gegenstandes vertritt, erhält er ebenso wie ein von den Mandanten unmittelbar bestellter Anwalt in Form einer erhöhten Gebühr eine Entschädigung für die Mehrarbeit, die mit der Vertretung mehrerer Parteien nach der Vorstellung des Gesetzgebers regelmäßig verbunden ist. Diese Mehrarbeit ist regelmäßig noch größer, in keinem Falle aber geringer dann, wenn der Armenanwalt mehrere Auftraggeber hinsichtlich verschiedener Streitgegenstände vertritt. Indessen soll der Armenanwalt gerade in diesem Fall sich mit der einfachen Gebühr begnügen müssen, sofern die Höchstgebühr schon durch den hinsichtlich eines einzelnen Auftraggebers verfolgten Anspruch ausgelöst wird.
Die diesem Ergebnis zugrunde liegenden Vorschriften sind für den Regelfall des nicht im Armenrecht beigeordneten, sondern im Rahmen eines freien Mandats tätigen Anwaltes sinnvoll. Bei ihm genügte es, die mit der Betreuung mehrerer Parteien bei einheitlichem Streitgegenstand verbundene Mehrarbeit durch eine pauschale Erhöhung der Gebühr zu entschädigen. Denn soweit es sich um verschiedene Streitgegenstände handelt, ergibt sich für ihn ohnehin keine Benachteiligung, weil die Streitwerte addiert werden, er also – wenn man die Gebührendegression außer Betracht läßt – ohnehin so steht, als ob er in mehreren selbständigen Rechtssachen tätig wäre. Nur für den Fall den einheitlichen Streitgegenstandes bedurfte es einer Regelung, die eine Entschädigung der Mehrarbeit durch die Tätigkeit für mehrere Auftraggeber gewährleistet.
Für den Armenanwalt dagegen fehlt bei Verschiedenheit der Streitgegenstände jede Entschädigung für die gleichzeitige Vertretung mehrerer Auftraggeber, wenn bzw. soweit die höchste für ihn erreichbare Prozeßgebühr schon durch den einen einzigen Auftraggeber betreffenden Streitgegenstand ausgelöst wird.
b) Geht man davon aus, daß die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO auch für den Armenanwalt anwendbar ist (und daran scheint in der Praxis zurecht kein Zweifel zu bestehen), – dann erscheint dieses Ergebnis ungereimt. Bei solcher Lage ist der Richter schon nach den Grundsätzen des einfachen Rechts zu einer Ergänzung aufgerufen, die in einem vom Gesetzgeber, offensichtlich nicht bedachten Teilbereich ein der Gesamtregelung widersprechendes Ergebnis vermeidet., Wo das möglich ist, erübrigt sich die Prüfung, ob sonst nicht mit Rücksicht auf eine höherrangige Norm (hier etwa Art. 3 Abs. 1 GG) dem Gesetz die Gefolgschaft, verweigert werden müßte.
Eine solche ergänzende Auslegung, die das der Gesamtregelung widerstrebende Ergebnis vermeidet, ist hier im Sinne der vom Erinnerungsführer für richtig gehaltenen Lösung möglich und geboten. Sie geht dahin, daß dem Armenanwalt, der für mehrere Auftraggeber tätig ist auch bei Verschiedenheit der Gegenstände die erhöhte Gebühr des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO zugute kommt, wenn oder soweit sich die Kumulation der Streitwerte wegen der Vorschrift des § 123 BRAGO nicht zu seinen Gunsten auswirkt.
Gegen diese Lösung läßt sich nicht einwenden, daß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO einerseits und § 7 Abs. 2 andererseits allerdings von zwei verschiedenen, notwendig schematischen Bewertungen der zu vergütenden Anwaltstätigkeit ausgehen, und daß das für den Erinnerungsführer unbillig erscheinende Ergebnis demnach als Folge dieser doppelten Schematisierung hingenommen werden müsse. Zwar erreicht die zweite Vorschrift eine im Regelfall als angemessen vorgestellte Vergütung des Anwalts, der mehrere Parteien vertritt, durch die Kumulierung der Streitwerte, die trotz Degression regelmäßig zu einer Gebührenerhöhung führt. Insoweit ist dem Armenanwalt eine gebührenerhöhende Streitwertkumulation über den Wert von 20.000 DM hinaus durch die Vorschrift des § 123 BRAGO, die allerdings nicht in erster Linie die Kumulation von Ansprüchen mehrerer Mandanten, sondern allgemein die Streitwerthöhe als Bemessungsgrundlage für die Gebühr im Auge hat, bewußt verschlossen. Daraus könnte man auf einen Willen des Gesetzgebers schließen, den Armenanwalt mit Rücksicht auf die soziale Zielsetzung seines Einsatzes in jedem Fall auf eine nicht erhöhte Gebühr aus einen Streitwert von höchstens 20.000 DM zu beschränken. Die ganz allgemeine Praxis hat aber diesen Schluß, für den sich auch im übrigen keine Anhaltspunkte feststellen lassen, nicht gezogen; sie gewährt vielmehr dem Armenanwalt ebenso wie dem frei mandierten Anwalt dann, wenn er mehrere Parteien in derselben Angelegenheit ohne Streitwertkumulation vertritt, den nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO erhöhten Gebührensatz auch dann, wenn der Streitwert die Höchstgrenze von 20.000 DM erreicht.
Dann aber erscheint es nicht vertretbar, den Armenanwalt von eben dieser Erhöhung dann auszuschließen, wenn er mehrere Parteien hinsichtlich verschiedener Gegenstände vertritt, ohne daß ihm die Streitwertkumulation zugute kommt. Die vom Gesetzgeber vorausgesetzte typische Mehrbelastung ist in diesen Fällen in mindestens dem gleichen Umfange gegeben. Ihr hat der Gesetzgeber beim frei mandierten Anwalt durch die vom System der Streitwertabhängigkeit abweichende Korrektur der Gebührenhöhe gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO Rechnung getragen. Darüber daß diese Vorschrift auch dem Armenanwalt zugute kommen soll, besteht kein Streit. Dann aber ist nicht einzusehen, daß ihm diese Gebührenerhöhung dann entgehen soll, wenn er es mit der typisch eher noch belastenderen Häufung verschiedener Ansprüche mehrerer Mandanten zu tun hat, wobei eine Gebühr aus einem höheren Wert wegen der Wertgrenze des § 123 BRAGO nicht in Frage kommt. Hier ist für den Armenanwalt, wenn er schon, grundsätzlich des erhöhten Gebührensatzes teilhaftig werden kann, genau diejenige Interessenlage gegeben, die den Gesetzgeber offensichtlich überhaupt zu der Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO veranlaßt hat. Die streitwertunabhängige Korrektur über einen Zuschlag zum Gebührensatz erscheint hier in gleicher Weise geboten, und wenn der Gesetzgeber sie nicht ausdrücklich angeordnet hat, so läßt sich dies mangels anderer Anhalte nur dadurch erklären, daß bei der Regelung versehentlich nur die Belange des frei mandierten Anwaltes in Betracht gezogen worden sind, bei dem sich dieses besondere Problem nicht stellen kann. Damit erscheint die ergänzende Auslegung gerechtfertigt.
Nur ergänzend ist zu bemerken, daß die dargelegten Grundsätze sinngemäß auch dann Anwendung zu finden haben, wenn zwar nicht wie hier schon der einen einzelnen Streitgenossen betreffende Streitgegenstand den Betrag von 120.000 DM übersteigt, wohl aber verschiedene Streitwerte, die nach § 7 Abs. 2 BRAGO zusammenzurechnen wären, diese Summe in einem Umfang übersteigen, der ansonsten gebührenrechtliche Auswirkungen haben müßte. Auch dann wird es geboten sein, zu vermeiden, daß dem Armenanwalt die ihm nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO ebenso wie einem Wahlanwalt zustehende Vergünstigung unangemessen beschnitten wird. Zu näheren Ausführungen für die alsdann gebotene Berechnung gibt der vorliegende Fall keinen Anlaß.
3. Im vorliegenden Fall übersteigen die Werte der von beiden Klägern geltend gemachten Ansprüche jeweils 20.000 DM, so daß die 3/10-Erhöhung von der gem. § 11, Abs. 1 Satz 3 BRAGO verdoppelten Höchstgebühr des § 123 BRAGO, also von 750 DM, zu berechnen ist (dazu Schumann/Geißinger. BRAGO, 2. Aufl., Nachtrag zu § 6 Rnr. 4; vgl. auch Riedel/Sußbauer, BRAGO, 4. Aufl. § 6 Rnr. 36; Gerold/Schmidt, BRAGO, 6. Aufl., § 6 Rnr. 27); sie beträgt mithin 225 DM. Einschließlich der Umsatzsteuer in Höhe von 14,63 DM ergibt sich also ein Gesamtbetrag von 239,63 DM. n
Fundstellen
Haufe-Index 609605 |
BGHZ, 40 |
NJW 1981, 2757 |