Leitsatz (amtlich)
Entscheidet der originäre Einzelrichter und lässt er die Rechtsbeschwerde gegen seine Beschwerdeentscheidung zu, so führt dies auch dann zur Aufhebung seiner Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache von Amts wegen, wenn er die Zulassung nicht mit grundsätzlicher Bedeutung, sondern allein mit Divergenz oder Rechtsfortbildung begründet hat (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 13.3.2003 - IX ZB 134/02, BGHReport 2003, 627 = MDR 2003, 588 = FamRZ 2003, 669).
Normenkette
ZPO §§ 348, 348a, 568, 574
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Beschluss vom 23.09.2002) |
LG Nürnberg-Fürth |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 8. Zivilsenats (Einzelrichter) des OLG Nürnberg v. 23.9.2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das OLG zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Beschwerdewert: 2.729 Euro.
Gründe
I.
Die Parteien streiten darum, wer nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
Der Kläger hat Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass der zwischen den Parteien bestehende Mietvertrag auf Grund klägerseitiger Kündigung v. 4.7.2001 zum 31.12.2002 enden wird. Der Beklagte hat angekündigt, Klageabweisung zu beantragen. In der mündlichen Verhandlung v. 20.2.2002 erklärte der Beklagte, der Untermieter werde das Mietobjekt zum 31.12.2002 räumen. Daraufhin haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Das LG (Einzelrichter) hat dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten hat das OLG (Einzelrichter) die landgerichtliche Entscheidung abgeändert und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Es hat die Auffassung vertreten, der Kündigende habe zwar aus Gründen der Rechtssicherheit und Planungssicherheit ein anerkennenswertes Interesse, bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist von dem Mieter zu erfahren, ob das Mietobjekt bis zum Ablauf des Mietvertrages geräumt werde. Jedoch könne einer in Rechtsprechung und Literatur zum Teil vertretenen Auffassung nicht gefolgt werden, derzufolge der Mieter auch bei einem sofortigen Anerkenntnis gem. § 93 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe, wenn er auf Anfrage des Vermieters nach der Wirksamkeit der Kündigung eine Erklärung über seine Räumungsabsicht unterlasse und für den Vermieter somit Anlass zur Erhebung einer Räumungsklage entstehe. Der Mieter gebe keinen Anlass zu sofortiger Klageerhebung, weil er zu einer Äußerung vor Fälligwerden des Räumungsanspruchs nicht verpflichtet sei. Er müsse sich auch nicht zur Vermeidung von Kostennachteilen der Kündigungserklärung des Vermieters unterwerfen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, die der Einzelrichter beim OLG zugelassen hat.
II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Einzelrichters und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft. Die Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, obwohl er bei Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache das Verfahren gem. § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung hätte übertragen müssen. An eine unter Verstoß gegen § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO erfolgte Zulassung ist das Rechtsbeschwerdegericht gem. § 574 Abs. 3 S. 2 ZPO gleichwohl gebunden (vgl. BGH, Beschl. v. 13.3.2003 - IX ZB 134/02, BGHReport 2003, 627 = MDR 2003, 588 = NJW 2003, 1254 = WM 2003, 701 = FamRZ 2003, 669).
2. Allerdings hat der Einzelrichter die Zulassung der Rechtsbeschwerde nur mit dem Hinweis auf seine von einer Entscheidung des OLG Stuttgart (OLG Stuttgart NZM 2000, 95) abweichende Rechtsauffassung begründet und dabei auf § 574 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 ZPO (Fälle der Rechtsfortbildung und der Sicherung einer einheitlichen Rspr.), nicht dagegen auf § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (Fälle der grundsätzlichen Bedeutung) verwiesen. Auch sehen die einschlägigen Vorschriften der §§ 348 Abs. 3, 348a Abs. 2 und 568 ZPO eine Vorlage- bzw. Übertragungspflicht des Einzelrichters auf das Kollegialgericht ihrem Wortlaut nach lediglich im Falle besonderer Schwierigkeit rechtlicher oder tatsächlicher Art oder im Falle grundsätzlicher Bedeutung vor, nicht dagegen in Fällen der Divergenz oder der Erforderlichkeit der Rechtsfortbildung (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 348 Rz. 22i. V. m. § 568 Rz. 3). Daraus kann indessen nicht gefolgert werden, dass der Einzelrichter in solchen Fällen von seiner Vorlage- bzw. Übertragungspflicht auf den Kollegialspruchkörper entbunden ist. Die grundsätzliche Bedeutung ist vielmehr i. w. S. zu verstehen, so dass nicht der Einzelrichter, sondern das Kollegium entscheiden muss, wenn zur Fortbildung des Rechts oder zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts geboten ist (BT-Drucks. 14/4722, 99; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 568 Rz. 5; Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 568 Rz. 7i. V. m. § 348 Rz. 47 vgl. auch Kopp/Schänke, VWGO, 12. Aufl., § 6 Rz. 9).
Dass im Übrigen auch der Einzelrichter dem vorliegenden Fall eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat, ergibt sich aus den Gründen seiner Entscheidung, in der er sich mit der in Literatur und Rechtsprechung (zum unterschiedlichen Meinungsstand vgl. OLG Stuttgart NZM 2000, 95; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 93 Rz. 52 jew. m.N. auch zur Rspr.) kontrovers diskutierten Frage der Erklärungspflicht des Mieters gegenüber dem Vermieter auseinander gesetzt hat.
3. Die angefochtene Entscheidung unterliegt jedoch der Aufhebung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) ergangen ist. Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, denen er - wie hier - grundsätzliche Bedeutung beimißt, zwingend das Verfahren an das Kollegium zu übertragen. Bejaht er mit der Zulassungsentscheidung zugleich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters. Dieser Verstoß ist vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 13.3.2003 - IX ZB 134/02, BGHReport 2003, 627 = MDR 2003, 588 = NJW 2003, 1254 = WM 2003, 701 = FamRZ 2003, 669).
4. Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 8 GKG Gebrauch.
Fundstellen
Haufe-Index 1050021 |
BB 2003, 2373 |
NJW 2003, 3712 |
BGHR 2003, 1363 |
WM 2004, 854 |
ZAP 2004, 9 |
MDR 2004, 109 |
MDR 2006, 965 |
Rpfleger 2004, 172 |
WuM 2003, 709 |
FF 2004, 25 |
KammerForum 2004, 140 |