Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 12.02.2015) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 12. Februar 2015
- im Schuldspruch dahingehend klargestellt, dass der Angeklagte im Fall II.2 der Urteilsgründe der besonders schweren räuberischen Erpressung schuldig ist,
- im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erpressung, schwerer räuberischer Erpressung und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat im Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.
Rz. 2
1. Der Schuldspruch, der im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, war im Fall II.2 der Urteilsgründe entsprechend der Anregung des Generalbundesanwalts klarzustellen.
Rz. 3
2. Der Strafausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Strafkammer eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.
Rz. 4
a) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung und eine Alkoholabhängigkeit bestehen. Es hat angenommen, dass sich das bei ihm vorliegende Vollbild dieser Persönlichkeitsstörung bei den abgeurteilten Taten nicht auf die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt habe und es auch keine Hinweise für eine relevante Alkoholisierung gebe. Zur Begründung hat die Strafkammer angeführt, der Angeklagte sei jeweils planmäßig und zielgerichtet vorgegangen, indem er Drohungen und Einschüchterungen genutzt habe, um zu seinem Ziel zu gelangen. Eine der vorgeworfenen Taten scheine er sogar geplant zu haben, er habe auch warten können, um sein „leichtes” Opfer zu finden. Alle Delikte seien aus einer rein dissozialen Verhaltensbereitschaft hervorgegangen. Eine krankheitsbedingte erhebliche Verminderung oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit habe bei keinem der vorgeworfenen Delikte vorgelegen.
Rz. 5
b) Diese Begründung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Angesichts des Umstands, dass diagnostisch verwertbare Angaben zu seinen Alkoholkonsumgewohnheiten von dem Angeklagten nicht zu erlangen waren, hat das Landgericht zu Recht auf eine Würdigung so genannter psychodiagnostischer Kriterien abgestellt, die grundsätzlich einen Rückschluss auf das Vorliegen einer alkoholbedingten Einschränkung der Steuerungsfähigkeit erlauben. Die vom Landgericht insoweit vorgenommene Wertung erweist sich allerdings als nicht tragfähig. Die Strafkammer hat zum einen Umstände außer Betracht gelassen, die gegen die Annahme voll erhaltener Schuldfähigkeit sprechen. Zum anderen hat sie für volle Schuldfähigkeit sprechende Beurteilungskriterien in ihre Würdigung eingestellt, denen eine solche Bedeutung nicht oder nur in eingeschränktem Umfang zukommen.
Rz. 6
aa) Nach Angaben des Tatopfers war der Angeklagte bei den Taten II.1 und II.3 der Urteilsgründe sehr stark alkoholisiert, roch nicht nur stark nach Alkohol, sondern torkelte auch herum und machte komische Stimmen nach (UA S. 16, 20). Hinsichtlich der Tat II.2 der Urteilsgründe gab die Zeugin an, sie habe bei ihm – wie immer – Alkoholgeruch wahrgenommen, er habe glasige Augen gehabt. Diese Einschätzung der Tatzeugin weist auf alkoholbedingte Ausfall- und Begleiterscheinungen hin, denen in der erforderlichen Gesamtwürdigung Beachtung zu schenken ist.
Rz. 7
bb) Als gegen die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit sprechende psychodiagnostische Beurteilungskriterien kommen nur solche Umstände in Betracht, die verlässliche Hinweise darauf geben können, ob das Steuerungsvermögen des Täters trotz einer erheblichen Alkoholisierung voll erhalten geblieben ist (BGH, Beschluss vom 30. Juli 1997 – 3 StR 144/97, NStZ 1997, 592). Dass der Angeklagte planmäßig und zielgerichtet vorgegangen sei, indem er Drohungen oder Einschüchterungen genutzt habe, um zu seinem Ziel zu gelangen, stellt sich insoweit lediglich als bloße Verwirklichung des Tatvorsatzes dar, von der Zeugin Geld zu erlangen; daraus lassen sich regelmäßig keine tragfähigen Schlüsse in bezug auf die Steuerungsfähigkeit des Täters gewinnen (Senat, Beschluss vom 2. Juli 2015 – 2 StR 146/15). Auch der vom Landgericht hinsichtlich des Falles II.3 der Urteilsgründe angeführte Umstand, der Angeklagte habe warten können, um sein „leichtes” Opfer zu finden, ist ohne nähere Mitteilung der konkreten Tatumstände für die Frage der Steuerungsfähigkeit ohne Aussagekraft. Auch das Landgericht ist insoweit nicht davon ausgegangen, dass er die vorgeworfene Tat tatsächlich „geplant” hat. Sie entnimmt lediglich dem Umstand, dass der Angeklagte nach dem Tatopfer gefragt habe, dass er diese Tat geplant zu haben „scheine”. Davon, dass er in diesem Augenblick bereits den Vorsatz gefasst hatte, der Zeugin Geld wegzunehmen, hat sich das Landgericht offenbar nicht überzeugen können. Im Übrigen lässt der Umstand, dass ein Täter einen bestimmt gefassten Tatentschluss zurückstellt, allenfalls einen zuverlässigen Rückschluss darauf zu, dass die Steuerungsfähigkeit zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig aufgehoben war. Dass das Hemmungsvermögen zum Zeitpunkt der späteren Tatbegehung nicht erheblich eingeschränkt war, lässt sich daraus, insbesondere mit Blick auf einen Täter, der – ohne dass zwischenzeitlich komplexe gedankliche oder motivatorische Anpassungsleistungen erforderlich geworden wären – lediglich auf einen günstigen Zeitpunkt zur Tatbegehung (etwa bis zum Erscheinen des ins Auge gefassten Tatopfers) wartet, nicht entnehmen (vgl. auch Fischer, StGB, 62. Aufl. 2015, § 20 Rn. 25).
Rz. 8
3. Die Sache bedarf daher im Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird sich der zur Entscheidung berufene neue Tatrichter, zweckmäßigerweise unter Einschaltung eines anderen Sachverständigen, auch näher mit der Frage zu befassen haben, ob bei dem Angeklagten aufgrund des jahrelangen Alkoholkonsums eine hirnorganische Schädigung eingetreten ist, die zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt hat. Die insoweit getroffenen bisherigen Feststellungen der Strafkammer, die einerseits von einer möglichen hirnorganischen Schädigung ausgegangen ist, andererseits aber mitgeteilt hat, eine Computertomographie sei ohne pathologischen Befund geblieben, lassen dies jedenfalls nicht als ausgeschlossen erscheinen.
Unterschriften
Krehl, Eschelbach, Ott, Zeng, Bartel
Fundstellen