Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Verfahrensgang
Niedersächsischer AGH (Beschluss vom 08.05.1995) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs in Celle vom 8. Mai 1995 aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß der vom Vorstand der Antragsgegnerin angeführte Versagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO nicht vorliegt.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.
Der Geschäftswert wird für beide Instanzen auf 100.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin ist seit Dezember 1992 Volljuristin. Sie ist aufgrund Anstellungvertrages vom 13. April 1993 halbtags als Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Ostfriesland und Papenburg e.V. in Emden beschäftigt. In dieser Eigenschaft hat sie die dem Arbeitgeberverband satzungsgemäß obliegenden Aufgaben wahrzunehmen, nämlich die unmittelbare Betreuung seiner Mitglieder in allen arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Fragen durchzuführen, einschließlich der Prozeßvertretung in Streitfällen. Daneben ist sie mit ca. 16 Wochenstunden als freie Mitarbeiterin des Rechtsanwalts Adam in Emden tätig.
Am 6. Dezember 1993 hat die Antragstellerin die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwältin bei dem Amtsgericht Emden und bei dem Landgericht Aurich unter der Kanzleianschrift des Rechtsanwalts Adam in Emden beantragt. Mit Gutachten vom 8. August 1994 hat der Vorstand der Antragsgegnerin den Versagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO mit der Begründung geltend gemacht, die Tätigkeit als Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes sei mit dem Anwaltsberuf nicht vereinbar. Hiergegen hat die Antragstellerin gerichtliche Entscheidung beantragt. Diesen Antrag hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen und festgestellt, daß der vom Vorstand der Antragsgegnerin angeführte Versagungsgrund vorliege. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.
Entscheidungsgründe
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BRAO) und begründet. Die Tätigkeit der Antragstellerin als Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes erfüllt den Versagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO nicht.
Die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl umfaßt grundsätzlich das Recht, mehrere Berufe zu wählen und nebeneinander auszuüben. Das gilt auch für einen Anwaltsbewerber, sofern die bereits ausgeübte Tätigkeit mit dem beabsichtigten Anwaltsberuf vereinbar ist. Das ist hier der Fall.
1. Nach der früheren Rechtsprechung des erkennenden Senats ist allerdings eine Unvereinbarkeit grundsätzlich angenommen worden, wenn der Anwaltsbewerber – wie hier – in abhängiger Stellung als Angestellter eines dem anwaltlichen Standesrecht nicht unterworfenen Dienstherrn Dritten gegenüber Rechtsberatung betrieb. Daß eine solche Tätigkeit wegen des angestrebten Nebeneinander von abhängiger Beratungstätigkeit und anwaltlicher Berufsausübung dem Berufsbild des Rechtsanwalts, der unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten zu sein hat (§ 3 Abs. 1 BRAO), widerspreche, hat der Senat mit Beschluß vom 13. Februar 1989 (AnwZ (B) 62/88 = BGHR BRAO § 7 Nr. 8 – abhängige Stellung) auch in einem Fall bekräftigt, in dem der Anwaltsbewerber als Leiter der Rechtsabteilung eines Genossenschaftsverbandes für die Beratung, Betreuung und Vertretung angeschlossener Genossenschaften in allen Rechtsangelegenheiten einschließlich – soweit möglich – der Prozeßführung zuständig war.
An dieser Rechtsprechung kann indessen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 1992 (BVerfGE 87, 287), durch die u.a. auch der vorzitierte Senatsbeschluß aufgehoben worden ist, nicht mehr festgehalten werden (vgl. auch Senatsbeschluß vom 19. Juni 1995 – AnwZ (B) 4/95 –).
a) Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, daß die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht allein deshalb verweigert werden darf, weil der Bewerber in seinem Zweitberuf als Angestellter verpflichtet ist, Dritte im Auftrag eines standesrechtlich ungebundenen Arbeitgebers rechtlich zu beraten. Hinzukommen muß vielmehr ein sich deutlich abzeichnendes naheliegendes Risiko von Interessen-(Pflichten-)Kollisionen, dem nicht wirksam mit Berufsausübungsregeln begegnet werden kann, so daß durch die weitere Tätigkeit des Bewerbers die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege oder die Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Rechtspflegeorgan gefährdet ist. Das hat der erkennende Senat z.B. bei einem Rechtsanwalt bejaht, der Zweitberuflich als Versicherungsmakler tätig war (Beschluß vom 14. Juni 1993 – AnwZ (B) 15/93 = BRAK-Mitt. 1994, 43).
b) Eine solche, durch Berufsausübungsregeln nicht beherrschbare Gefahr ist in dem hier zu beurteilenden Fall entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des Anwaltsgerichtshofs nicht ersichtlich.
Die neuen Tätigkeitsverbote des § 45 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 2 sowie des § 46 BRAO gewährleisten im vorliegenden Fall eine hinreichend klare Trennung der verschiedenen rechtsberatenden und -besorgenden Tätigkeiten der Antragstellerin in den beiden Berufen. Konkrete Anhaltspunkte, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, hat auch die Antragsgegnerin nicht aufzuzeigen vermocht.
Interessenkollisionen, die das Vertrauen in die anwaltliche Unabhängigkeit gefährden könnten, liegen nicht schon dann vor, wenn das Wissen aus der einen oder anderen Tätigkeit für die jeweils andere von Interesse und ihr vorteilhaft ist (Senatsbeschlüsse vom 19. Juni 1995 – AnwZ (B) 4/95 und vom 21. November 1994 – AnwZ (B) 44/94). Hinzukommen müßte vielmehr, daß die Zweitberufliche Tätigkeit des Anwalts bei objektiv vernünftiger Betrachtungsweise die Wahrscheinlichkeit von Pflichtenkollisionen nahelegt (Senatsbeschluß vom 21. November 1994 a.a.O. unter Hinweis auf die amtliche Begründung zur Neufassung des § 7 Nr. 8 BRAO, BT-Drucks. 12/4993 S. 24). Daß dies hier trotz der in § 45 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2 und § 46 BRAO neugeschaffenen Tätigkeitsverbote der Fall wäre, ist nicht erkennbar. Auch die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof haben keine konkreten Anhaltspunkte aufzuzeigen vermocht, die vernünftigerweise eine naheliegende, durch Berufsausübungsregelungen nicht zu bannende Gefahr einer Pflichtenkollision aus beiden Berufen der Antragstellerin begründen könnten. Daß die Antragstellerin Mandate von Arbeitnehmern übernimmt, die später in die Dienste eines von ihr betreuten Unternehmens treten, begründet eine solche Besorgnis nicht; für derartige Fälle trifft § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO ausdrücklich Vorsorge.
2. Auch von der Antragsgegnerin wird nicht in Zweifel gezogen, daß die Antragstellerin als Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes rechtlich und tatsächlich den Handlungsspielraum besitzt, der erforderlich ist (vgl. Senatsbeschluß vom 29. November 1993 – AnwZ (B) 34/93 –), um den angestrebten Anwaltsberuf in nennenswertem Umfang und nicht nur gelegentlich auszuüben.
Unterschriften
Jähnke, Ulsamer, van Gelder, Otten, Müller, Salditt, Christian
Fundstellen
Haufe-Index 1502331 |
NJW 1996, 2377 |