Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsrechtliche Behördenverantwortlichkeit im Bereich des DDR-Staatshaftungsgesetzes. Verjährungsunterbrechende Wirkung des Primärrechtsschutzes auf Sekundäransprüche
Leitsatz (amtlich)
a) Auch im Anwendungsbereich des DDR-StHG gilt der Grundsatz, dass dann, wenn eine Behörde aufgrund einer bindenden Weisung einer übergeordneten Behörde eine - objektiv - rechtswidrige Maßnahme trifft, nicht die angewiesene, sondern die anweisende Behörde haftungsrechtlich verantwortlich ist.
b) Greift der Betroffene die Maßnahme der angewiesenen Behörde mit den vorgesehenen Rechtsbehelfen des Primärrechtsschutzes an, so hat dies verjährungsunterbrechende (bzw. -hemmende) Wirkung auch für den Schadensersatzanspruch gegen die anweisende Behörde.
Normenkette
DDR-StHG § 1; DDR-StHG § 4
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerden des Klägers und des Beklagten zu 2) gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 2. Zivilsenats des OLG Brandenburg vom 17.7.2007 - 2 U 26/06 - werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerderechtszuges werden wie folgt verteilt:
Von den Gerichtskosten tragen der Kläger und der Beklagte zu 2) jeweils die Hälfte.
Der Beklagte zu 2) trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1).
Im Übrigen werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Streitwert: 1.928.015,47 EUR.
Gründe
[1] 1. Der Kläger hat den erstbeklagten Landkreis (im Folgenden: Beklagter zu 1)) als Baugenehmigungsbehörde und das zweitbeklagte Land Brandenburg, vertreten durch das Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung, als oberste Bauaufsichtsbehörde (im Folgenden: Beklagter zu 2)) wegen Amts- und Staatshaftung auf Ersatz der Schäden in Anspruch genommen, die ihm durch die verzögerte Erteilung einer Baugenehmigung für ein Krematorium entstanden sein sollen. Das LG hat die Klage gegen beide Beklagten abgewiesen; auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Klageabweisung gegen den Beklagten zu 1) bestätigt, jedoch festgestellt, dass der Beklagte zu 2) dem Kläger den Schaden zu ersetzen habe, der ihm aus dem Bescheid des Beklagten zu 1) vom 18.8.1998 seit dem 16.9.1998 entstanden sei. Hiergegen richten sich die Nichtzulassungsbeschwerden des Klägers und des Beklagten zu 2). Der Kläger verfolgt seinen Anspruch gegen den Beklagten zu 1) als Gesamtschuldner neben dem Beklagten zu 2) weiter; der Beklagte zu 2) begehrt die Abweisung der gegen ihn gerichteten Klage.
[2] 2. Einer Zulassung der Revisionen bedarf es nicht. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
[3] a) Die Beschwerde des Klägers:
[4] aa) Das Berufungsgericht verneint Schadensersatzansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 1) sowohl nach der bundesrechtlichen Anspruchsgrundlage der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) als auch nach den landesrechtlichen Anspruchsgrundlagen des § 1 des in Brandenburg fortgeltenden DDR-StHG und des § 38 des brandenburgischen Ordnungsbehördengesetzes mit der Begründung, den Beklagten zu 1) treffe keine haftungsrechtliche Verantwortung dafür, dass er die vom Kläger beantragte Baugenehmigung aufgrund einer bindenden Weisung des Beklagten zu 2) als der übergeordneten Behörde zunächst abgelehnt habe. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Beschwerde des Klägers können keinen Erfolg haben.
[5] bb) Die Frage, ob ein Beamter, der aufgrund einer ihn bindenden Weisung einer vorgesetzten Stelle eine - objektiv - rechtswidrige Maßnahme trifft, amtspflichtwidrig handelt, wird vom BGH durchgängig verneint (st.Rspr. seit dem Senat, Urt. v. 21.5.1959 - III ZR 7/58, NJW 1959, 1629 f.; s. auch Staudinger/Wurm, BGB [Neubearbeitung 2007] § 839 Rz. 66 m.w.N.). Das geltende Recht bindet den Amtsträger grundsätzlich auch dann an die Weisung seines Vorgesetzten, wenn die Verwirklichung dieses Befehls eine Außenpflicht des Staates verletzt, ausgenommen den - hier evident nicht vorliegenden - Fall, dass die Ausführung erkennbar den Strafgesetzen zuwiderlaufen würde. Befolgt der Angewiesene die ihn bindende Anordnung, so verletzt er seine Amtspflichten nicht. Mit der Weisung geht ein Stück Zuständigkeit und ein Teil von Amtspflichten, die generell bei einem bestimmten Beamten liegen, auf die anweisende Behörde - und für die Anwendbarkeit des § 839 BGB - auf einen Beamten dieser Behörde über. Deswegen liegt insoweit auch keine Amtshilfe vor (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). Diese Entlastung des angewiesenen Beamten ist keine Frage fehlenden Verschuldens, sondern eine solche der objektiven Haftungszurechnung (Senatsurteil, a.a.O.). Dementsprechend haftet dem Außenverhältnis zum Geschädigten allein die anweisende Behörde (Staudinger/Wurm, a.a.O.).
[6] cc) Die gleichen Grundsätze gelten im Anwendungsbereich der verschuldensunabhängigen Polizei- und Ordnungsbehördenhaftung nach § 39 Abs. 1 Buchst. b OBG NRW (OLG Düsseldorf VersR 1994, 1065 und BADK-Information 2004, 147, 148; Staudinger/Wurm, a.a.O., und Rz. 650). Das Berufungsgericht hat sie mit Recht auch auf die verschuldensunabhängige Haftung nach § 1 DDR-StHG übertragen. In der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass die zur verschuldensunabhängigen Behördenhaftung nach § 39 Abs. 1 Buchst. b OBG NRW ergangene Rechtsprechung auch für die Integration des DDR-StHG in das bestehende System der Amts- und Staatshaftung heranzuziehen ist (insb. BGH BGHZ 166, 22, 24 f Rz. 9; 142, 259, 273 ff.). Dieser Haftungsverlagerung auf die anweisende Behörde steht der im BGH BGHZ 166, 22, 26 Rz. 12 formulierte Grundsatz nicht entgegen, dass es bei der betreffenden behördlichen Maßnahme - hier der Ablehnung des Bauantrages des Klägers durch den Bescheid des Beklagten zu 1) vom 18.8.1998 - nicht auf ein etwa fehlendes Handlungsunrecht, sondern auf das Ergebnis, nämlich den Erlass eines objektiv als rechtswidrig zu beurteilenden Verwaltungsakts ankommt. Dies wird nämlich durch die Haftungsverlagerung nicht in Frage gestellt. Es wird lediglich bewirkt, dass der rechtswidrige Erfolg nicht der angewiesenen, sondern der anweisenden Behörde haftungsrechtlich zugerechnet wird.
[7] dd) In rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die in dem "Ergebnisprotokoll" des Beklagten zu 1) vom 30.7.1998 (über eine Dienstbesprechung im Ministerium) festgehaltene enthaltene Anordnung, den Vorbescheid zurückzunehmen und den Bauantrag zu versagen, eine "Weisung" dargestellt hat. Dies hat auch der Beklagte zu 2) so gesehen: In seinem Bescheid vom 28.5.2001 hat er nämlich die von ihm selbst als solche bezeichnete Weisung der obersten Bauaufsichtsbehörde vom 30.7.1998 aufgehoben.
[8] b) Die Beschwerde des Beklagten zu 2):
[9] aa) Die Weisung des Beklagten zu 2) war - wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei feststellt - spätestens ab dem angesetzten Stichzeitpunkt (16.9.1998), als durch den Gemeinderatsbeschluss die planungsrechtlichen Grundlagen für das Krematorium geschaffen worden waren, rechtswidrig geworden. Der Senat hat die gegenteilige Argumentation des Beklagten zu 2) gewürdigt, hält sie aber nicht für durchgreifend.
[10] bb) Dementsprechend trifft den Beklagten zu 2) als die anweisende Behörde hier die verschuldensunabhängige Haftung § 1 Abs. 1 DDR-StHG. Der hieraus resultierende Schadensersatzanspruch ist - entgegen der Auffassung der Beschwerde - auch nicht verjährt.
[11] (1) Zu Recht hat das Berufungsgericht insb. angenommen, dass die vom Kläger gegen den sein Baugesuch zurückweisenden Bescheid des beklagten Landkreises vom 18.8.1998 ergriffenen verwaltungsrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe des Primärrechtsschutzes (Widerspruch und Untätigkeitsklage) verjährungsunterbrechende Wirkung auch hinsichtlich des Staatshaftungsanspruchs gegen den Beklagten zu 2) entfaltet haben. Da die Weisung als Verwaltungsinternum nicht selbständig anfechtbar war, stellte die Anfechtung des ablehnenden Bescheides der Bauaufsichtsbehörde für den Kläger die einzige rechtliche Möglichkeit dar, auch im Verhältnis zu der anweisenden Behörde Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Insoweit lassen sich die Grundsätze, die der Senat zur Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB entwickelt hat (vgl. dazu BGH BGHZ 118, 253, 263), auf die hier zu beurteilende Fallkonstellation übertragen. Der Umstand, dass hier - anders als dort - die anweisende Behörde nicht notwendig beizuladen ist (vgl. dazu Wurm in FS Boujong [1996] S. 687, 699), stellt keinen entscheidenden Hinderungsgrund gegen die Übertragbarkeit dieser Grundsätze dar.
[12] (2) Die Unterbrechung endete mit der schließlichen Erteilung der Baugenehmigung am 16.11.2001. Rechtzeitig innerhalb der in § 4 Abs. 1 DDR-StHG festgesetzten Jahresfrist hat der Kläger bei dem Beklagten zu 2) Antrag auf Schadensersatz gestellt und damit eine erneute Unterbrechung der Verjährung nach § 4 Abs. 3 DDR-StHG herbeigeführt. Diese Unterbrechung hat bis zur Klageerhebung angedauert, da der Beklagte zu 2) unstreitig nicht über den Antrag entschieden hat. Von einem Stillstand des Verfahrens, der die Unterbrechung (bzw. Hemmung) der Verjährung hätte enden lassen können, kann keine Rede sein, da die Nichtbescheidung des Antrags ausschließlich in den eigenen Verantwortungsbereich des Beklagten zu 2) fiel.
[13] 3. Der Senat hat auch die sonstigen verfahrens- und materiell-rechtlichen Rügen beider Parteien geprüft und für nicht durchgreifend erachtet; von einer weiteren Begründung wird abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 2099068 |
BGHR 2009, 393 |
BauR 2009, 1535 |
BauR 2009, 797 |
EBE/BGH 2009 |
NVwZ-RR 2009, 363 |
DÖV 2009, 300 |
MDR 2009, 258 |
VersR 2009, 930 |
ZfBR 2009, 252 |
UPR 2009, 185 |