Entscheidungsstichwort (Thema)
Amts- und Staatshaftung: Schadensersatzanspruch gegen die untere und obere Bauaufsichtsbehörde wegen verzögerter Erteilung der Baugenehmigung für den Bau einer Feuerbestattungsanlage
Leitsatz (amtlich)
1. Da der damals einschlägige § 64 Abs. 1 S 1, Abs. 2 BbgBO 1994 das Baugenehmigungsverfahren als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung ausgestaltet und in § 63 Abs. 3 BbgBO zugleich das zuständige Ministerium für Stadtentwicklung zur obersten Bauaufsichtsbehörde bestimmt hat, war die untere Bauaufsichtsbehörde auch dann an die Weisung der oberen Bauaufsichtsbehörde, einen Bauantrag zu versagen und einen diesbezüglichen Bauvorbescheid zurückzunehmen, gebunden, wenn die Verwirklichung der Weisung eine Außenpflicht des Staates verletzte.(Rz. 27)
2. Das Vorliegen der Weisung einer aufsichtsführenden Behörde bewirkt, dass ein Teil der Zuständigkeit und der Amtspflichten auf die anweisende Behörde übergeht und es zugleich bei der nach außen handelnden Behörde "an einer objektiv amtspflichtwidrigen Handlung" fehlt.(Rz. 32)
3. Eine Weisung weist als verwaltungsinterne Maßnahme ohne Außenwirkung keinen Regelungscharakter auf und bedarf, um für den Bürger belastend und damit angreifbar zu werden, stets der Umsetzung in einen Bescheid. Zur Unterbrechung der Verjährung genügt es dann zunächst, Primärrechtsschutz gegen den belastenden Bescheid zu suchen.(Rz. 44)
4. Angesichts der in §§ 5 Abs. 4, 6a S. 1 StHG geregelten Bescheidungspflicht bewirkt "Schweigen" des Verpflichteten, dass die durch einen innerhalb der Verjährungsfrist geltend gemachten Schadensersatzanspruch eingetretene Unterbrechung der Verjährung bis zur Bekanntgabe eines Bescheides mit Rechtsmittelbelehrung fortbesteht.(Rz. 45)
5. Wurde die Erteilung der Baugenehmigung für eine Feuerbestattungsanlage auf Grund einer Weisung der oberen Bauaufsichtsbehörde zunächst objektiv fehlerhaft verhindert, da weder baurechtliche noch kommunal- oder bestattungsrechtliche Vorschriften entgegenstanden, ist die Verzögerung im Genehmigungsverfahren haftungsrechtlich der dann insoweit schadensersatzpflichtigen oberen Bauaufsichtsbehörde zuzurechnen.(Rz. 50)
Normenkette
StHG §§ 1, 3 Abs. 1 S. 2, § 4 Abs. 2 S. 1, § 5 Abs. 4, § 6a S. 1; BGB § 839; GG Art. 34; OBG § 38 Abs. 1; BauGB § 33 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 15.03.2006; Aktenzeichen 11 O 471/04) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 15.3.2006 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Frankfurt/O., Az. 11 O 471/04, teilweise abgeändert und festgestellt, dass der Beklagte zu 2) dem Kläger den Schaden zu ersetzen hat, der ihm aus dem Bescheid des Beklagten zu 1) vom 18.8.1998 seit dem 16.9.1998 entstanden ist. Hinsichtlich des Beklagten zu 1) wird die Berufung zurückgewiesen.
Im Übrigen wird das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit - auch zur Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens - zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Frankfurt/O. zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger und dem Beklagten zu 2) wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I. Der Kläger begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldnern Ersatz der ihm entstandenen Schäden im Zusammenhang mit dem am 1.4.1998 begonnenen und erst mit Bescheid vom 16.11.2001 abgeschlossenen Baugenehmigungsverfahren, das eine zwischenzeitlich in F. errichtete und von dem Kläger seit dem 1.10.2004 betriebene Feuerbestattungsanlage betraf.
Der Kläger hat, nachdem ihm bereits unter dem 25.9.1997 ein Bauvorbescheid erteilt worden war, unter dem 1.4.1998 bei dem Beklagten zu 1) die Erteilung einer Baugenehmigung für eine auf dem Gelände des Gewerbegebiets "Technologie- und Gewerbepark E." im Gemeindegebiet F. (vormals: L.) belegene Feuerbestattungsanlage beantragt. Diesen Antrag hat der Beklagte zu 1) - in Übereinstimmung mit einer entsprechenden Weisung des zuständigen Ministeriums des Beklagten zu 2), Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr (im Folgenden: Ministerium für Stadtentwicklung; heute: MIR), aus dem Monat Juli 1998 - mit Bescheid vom 18.8.1998 abgelehnt und zugleich den Bauvorbescheid unter Anordnung des Sofortvollzuges zurückgenommen. Nach Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes durch den Kläger hat der Beklagte zu 1) mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.1999 den Ausgangsbescheid aufgehoben, soweit der Bauvorbescheid zurückgenommen worden war, die Ablehnung des Bauantrages jedoch bestätigt und dies damit begründet, dass "die Errichtung und der Betrieb einer Feuerbestattungsanlage durch eine Privatperson (...) nach den im Land Brandenburg derzeit geltenden Vorschriften nicht zulässig (sei)", dem Bauvorhaben mithin kommunal- ...