Leitsatz (amtlich)
Wer nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG tatsächlich am Verfahren im ersten Rechtszug beteiligt wurde, bleibt auch dann gem. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG beschwerdebefugt, wenn nachfolgend seine Hinzuziehung entsprechend § 7 Abs. 5 FamFG wieder aufgehoben wird (Fortführung des Senatsbeschlusses v. 9.4.2014 - XII ZB 595/13 FamRZ 2014, 1099).
Normenkette
FamFG § 7 Abs. 5, § 274 Abs. 4 Nr. 1, § 303 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Münster (Beschluss vom 03.07.2019; Aktenzeichen 5 T 200/19) |
AG Steinfurt (Beschluss vom 12.06.2018; Aktenzeichen 2 XVII 62/18) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3) wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Münster vom 3.7.2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Vater der Betroffenen (Beteiligter zu 3) möchte verhindern, dass die Mutter der Betroffenen (Beteiligte zu 1) zur Betreuerin für die gemeinsame Tochter bestellt wird.
Rz. 2
Bei der im Mai 2000 geborenen Betroffenen liegt eine geistige Behinderung als Folgezustand eines frühkindlichen Hirnschadens mit epileptischen Anfällen vor.
Rz. 3
Auf Anregung der Beteiligten zu 1) hat das AG im Februar 2018 ein betreuungsgerichtliches Verfahren eingeleitet und am 25.4.2018 "formlos" beschlossen, den Beteiligten zu 3) auf seinen Antrag hin als Beteiligten hinzuzuziehen. Mit Beschluss vom 12.6.2018 hat das AG die Beteiligten zu 1) und 2) als Betreuerinnen bestellt mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge sowie Vertretung gegenüber Behörden, Ämtern und Versicherungen bzw. Vermögensangelegenheiten einschließlich der Geltendmachung von Unterhalt. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Beteiligten zu 3) hat das AG nicht abgeholfen.
Rz. 4
Das LG hat die Akten an das AG zurückgegeben mit der Aufforderung, über die Hinzuziehung des Beteiligten zu 3) zum Verfahren in einem Zwischenverfahren zu entscheiden. Das AG hat daraufhin durch Beschluss vom 4.4.2019 die Hinzuziehung des Beteiligten zu 3) zum Verfahren aufgehoben. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde (§ 7 Abs. 5 Satz 2 FamFG) des Beteiligten zu 3) hat das LG zurückgewiesen.
Rz. 5
Durch den angefochtenen Beschluss vom 3.7.2019 hat das LG schließlich die Beschwerde des Beteiligten zu 3) gegen den Beschluss des AG vom 12.6.2018 verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3).
II.
Rz. 6
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, weil es die Beschwerde zu Unrecht verworfen hat.
Rz. 7
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, der Beteiligte zu 3) sei nicht beschwerdeberechtigt. Eltern seien gem. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG nur dann beschwerdeberechtigt, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden seien. Diese Voraussetzung liege hinsichtlich des Beteiligten zu 3) nicht vor, da seine Hinzuziehung zum Verfahren inzwischen rechtskräftig aufgehoben worden sei. Auch sei der Beteiligte zu 3) durch die angefochtene Entscheidung erkennbar nicht in eigenen Rechten nach § 59 Abs. 1 FamFG beeinträchtigt.
Rz. 8
2. Dies hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
Rz. 9
Gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG steht Eltern des Betroffenen gegen die Bestellung eines Betreuers das Recht der Beschwerde im Interesse des Betroffenen nur dann zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind. Für diese Beschwerdebefugnis kommt es allein darauf an, dass der Beteiligte zu 3) im ersten Rechtszug tatsächlich beteiligt worden ist. Eine der tatsächlichen Beteiligung nachfolgende, im Zwischenverfahren entsprechend § 7 Abs. 5 FamFG ergangene rechtskräftige Entscheidung, wonach die Beteiligung des Beteiligten zu 3) am Verfahren wieder aufgehoben wird, steht der einmal erlangten Beschwerdebefugnis nicht entgegen (zur nachträglichen Ablehnung der Hinzuziehung vgl. BGH, Beschl. v. 9.4.2014 - XII ZB 595/13 FamRZ 2014, 1099 Rz. 8, 16).
Rz. 10
a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Beteiligte zu 3) vom AG i.S.d. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG beteiligt worden.
Rz. 11
aa) In Verfahren über die Bestellung eines Betreuers können gem. § 274 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen dessen Eltern beteiligt werden. Dabei kann die Hinzuziehung eines Beteiligten auch konkludent erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen (vgl. BGH, Beschl. v. 9.4.2014 - XII ZB 595/13 FamRZ 2014, 1099 Rz. 11 m.w.N.). Die Hinzuziehung kann innerhalb der Instanz auch wieder aufgehoben werden, wenn etwa das Gericht sein Ermessen während des Verfahrens für die Zukunft anders ausübt; insofern ist allerdings zur Rechtsklarheit ein förmlicher Beschluss i.S.d. § 38 FamFG erforderlich (Keidel/Sternal FamFG 20. Aufl., § 7 Rz. 42).
Rz. 12
bb) Danach ist der Beteiligte zu 3) hier im ersten Rechtszug beteiligt worden und demgemäß nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zur Beschwerde befugt.
Rz. 13
Vorliegend hat das AG die Geschäftsstelle angewiesen, den Beteiligten zu 3) als Beteiligten in der Akte zu vermerken, ihm die Betreuungsanregung und den Einleitungsbeschluss zugeleitet und ihn zum Anhörungstermin geladen. Diese Verfahrenshandlungen allein begründen bereits eine Beteiligung i.S.d. §§ 274 Abs. 4 Nr. 1, 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Hinzu kommt, dass ausweislich des Beschlusses vom 4.4.2019 das AG am 25.4.2018 "formlos" beschlossen hatte, den Beteiligten zu 3) auf seinen Antrag hin als Beteiligten hinzuzuziehen.
Rz. 14
Zwar hat das AG nachfolgend im Hinblick auf den Widerspruch der Betroffenen im Anhörungstermin davon abgesehen, dem Beteiligten zu 3) eine Abschrift des Sachverständigengutachtens auszuhändigen, hat ihm die Entscheidung nur abgekürzt (ohne Gründe) übermittelt und ihm auch nachträglich Akteneinsicht verweigert. Dadurch ist indessen allenfalls das Ermessen für die Zukunft anderweitig ausgeübt worden.
Rz. 15
b) Auch die nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens rechtskräftig erfolgte Aufhebung der Hinzuziehung des Beteiligten zu 3) zum Verfahren vermag an der zu diesem Zeitpunkt bereits begründeten Beschwerdebefugnis nichts zu ändern. Denn die zuvor tatsächlich bereits erfolgte Beteiligung und die damit einhergehende Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG entfällt dadurch nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 9.4.2014 - XII ZB 595/13 FamRZ 2014, 1099 Rz. 19).
Rz. 16
c) Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben.
Rz. 17
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Fundstellen
Haufe-Index 13765467 |
NJW 2021, 1888 |
FamRZ 2020, 782 |
FuR 2020, 429 |
NJW-RR 2020, 580 |
BtPrax 2020, 104 |
JZ 2020, 256 |
MDR 2020, 950 |
FF 2020, 219 |
FamRB 2020, 238 |