Entscheidungsstichwort (Thema)
Tod eines Mieters
Leitsatz (amtlich)
Nach dem Tode des Mieters kann der Vermieter das Mietverhältnis aufgrund des Sonderkündigungsrechts gemäß § 569 BGB gegenüber dem Erben des Mieters, der mit dem verstorbenen Mieter in der Wohnung keinen gemeinsamen Hausstand geführt hat und nicht gemäß § 569 a BGB in das Mietverhältnis eingetreten ist, nur dann kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne des § 564 b BGB hat.
Normenkette
BGB §§ 569, 564b
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin ist Eigentümerin eines mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnhauses in O.. Die im Erdgeschoß gelegene streitbefangene Wohnung war an die Mutter des Beklagten vermietet. Diese verstarb Ende 1994 und wurde von dem Beklagten und dessen Schwester beerbt. Der Beklagte selbst ist Mieter einer im 1. Obergeschoß des Hauses der Klägerin gelegenen Wohnung. Nach dem Tode der Mutter des Beklagten kündigte die Klägerin mit Schreiben an die Erbengemeinschaft vom 2. Januar 1995 ohne Angabe von Gründen das Mietverhältnis über die im Erdgeschoß gelegene Wohnung zum 31. März 1995. Die Erben wiesen mit Schreiben ihrer damaligen Bevollmächtigten vom 31. Januar 1995 die Kündigung zurück und teilten mit, daß der Beklagte das Mietverhältnis fortsetzen werde. Gegen die Räumungsklage hat der Beklagte sich mit der Behauptung verteidigt, er habe ebenfalls in der streitbefangenen Wohnung gewohnt. Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Räumung verurteilt. Das Landgericht hat in der Berufungsinstanz nach Durchführung einer Beweisaufnahme über die Frage, ob der Beklagte bei der Erblasserin in der streitbefangenen Wohnung gewohnt hat, dem Oberlandesgericht Hamm folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Kann der Vermieter, der nach dem Tod des Mieters das Mietverhältnis aufgrund des Sonderkündigungsrechts gemäß § 569 BGB gegenüber dem Erben des Mieters kündigt, auch dann nur unter den Voraussetzungen des § 564 b BGB kündigen, wenn der Erbe mit dem verstorbenen Mieter in der Wohnung keinen gemeinsamen Hausstand geführt hat und nicht gemäß § 569 a BGB in das Mietverhältnis eingetreten ist?
Das Landgericht will die aufgeworfene Rechtsfrage verneinen, sieht sich hieran aber durch die Rechtsentscheide des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 21. September 1983 (OLGZ 83, 493 = Grundeigentum 1983, 1017 = ZMR 1984, 247 = WuM 1983, 310 = MDR 1984, 56 = NJW 1984, 60 = FamRZ 1984, 169), des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 4. Dezember 1984 (BayObLGZ 1985, 279 = WuM 1985, 52 = ZMR 1985, 97 = Grundeigentum 1985, 297 = MDR 1985, 324 = NJW 1985, 980 = FamRZ 1985, 473) und des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29. Dezember 1989 (Bundesanzeiger 1990, 359 = NJW-RR 1990, 216 = WuM 1990, 60 = ZMR 1990, 108) gehindert. Von den genannten Rechtsentscheiden, die in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden haben (Palandt/Putzo, BGB, 56. Aufl., § 569 Rdnr. 8; Staudinger/Sonnenschein, BGB, 12. Aufl., § 569 Rdnrn. 10, 16; Erman/Jendrek, BGB, 9. Aufl., § 569 Rdnr. 3; MünchKomm-Voelskow, BGB, 3. Aufl., § 569 Rdnr. 9; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 6. Aufl., § 569 Rdnr. 10; Bub/Treier/Grapentin, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 2. Aufl., Kap. IV Rdnr. 234; Köhler/Kossmann, Handbuch der Wohnraummiete, 4. Aufl., § 28 Rdnr. 9; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., Rdnr. IV 542; Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 6. Aufl., Rdnr. B 82; a.A. Korff, Grundeigentum 1978, 798; Hablitzel, ZMR 1980, 289, 290 f; ders., ZMR 1984, 289; Honsell AcP 186 (1986), 115, 134 f; Schläger, ZMR 1990, 241, 243), möchte das Oberlandesgericht Hamm ebenfalls abweichen. Es ist der Auffassung, der Gesetzgeber überschreite seine Regelungskompetenz, wenn er die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentümerbefugnisse des Vermieters beschränke, ohne daß ein schützenswertes Interesse des Vertragspartners vorliege. Ein Bestandsschutzinteresse dürfe nur solchen Personen zugebilligt werden, die ihren eigenen Lebensmittelpunkt in der Wohnung durch nicht nur kurzfristige Mitnutzung gefunden hätten. Der Erbe, der mit dem Erblasser nicht in einer Wohnung gelebt habe, sei in Anwendung dieser Grundsätze mangels einer Beziehung zu der Wohnung nicht schutzwürdig. Jedenfalls müsse sein Interesse, eine – vielleicht bessere – Wohnung zu erlangen, gegenüber dem Eigentumsrecht des Vermieters zurückstehen. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kündigung zulässigerweise erklärt werden könne (§ 569 Abs. 1 Satz 2 BGB), sei ein schützenswertes Vertrauen des Erben noch nicht entstanden. Auch ein vom Erblasser abgeleitetes schutzwürdiges Interesse an der Erhaltung der Mietwohnung sei dem Erben nicht zuzubilligen. Danach sei eine Anwendung der auf Wohnraummietverhältnisse zugeschnittenen Kündigungsschutzvorschriften auf die hier gegebene Interessenlage nicht gerechtfertigt; diese sei nicht anders zu bewerten als bei Mietverhältnissen, die sich nicht auf Wohnraum bezögen.
Das Oberlandesgericht hat die ihm vom Landgericht vorgelegte Rechtsfrage dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (WuM 1996, 752).
Entscheidungsgründe
II. Die Vorlage an den Bundesgerichtshof ist zulässig (§ 541 Abs. 1 ZPO).
1. Sie hat eine vom Landgericht als Berufungsgericht zu entscheidende Rechtsfrage zum Gegenstand, die sich aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum ergibt. Sie betrifft die Frage der Anwendbarkeit des § 564 b BGB im Falle einer gemäß § 569 BGB erfolgten Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses.
2. Die vorgelegte Rechtsfrage ist für die Entscheidung des Landgerichts erheblich.
a) Der Erheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage steht, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht ausführt, nicht entgegen, daß das Landgericht sich in seinem Vorlagebeschluß nicht mit dem Vorbringen der Klägerin befaßt hat, der Beklagte könne bereits deshalb die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht verlangen, weil er nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins erfülle. Träfe dies zu, so hinderte dieser Umstand allein noch nicht die Fortsetzung des Mietverhältnisses. Die Vorschrift des § 4 Abs. 8 des WoBindG zeigt, daß das Gesetz das Mietverhältnis auch mit Unberechtigten als zunächst wirksam betrachtet; die zuständige Behörde kann lediglich eine Kündigung verlangen.
b) Da das Kündigungsschreiben vom 2. Januar 1995 keine Begründung enthält, müßte die Berufung des Beklagten mangels Darlegung eines berechtigten Interesses der Klägerin an der Beendigung des Mietverhältnisses (§ 564 b Abs. 3 BGB) Erfolg haben, wenn § 564 b BGB anwendbar wäre.
3. Das vorlegende Oberlandesgericht will im Sinne des § 541 Abs. 1 Satz 3 ZPO von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen. Hierbei kann dahinstehen, ob die von dem vorlegenden Oberlandesgericht genannten Rechtsentscheide des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (aaO) und des Bayerischen Obersten Landesgerichts (aaO) den hier zu entscheidenden Fall, daß der Erbe mit dem verstorbenen Mieter in der Wohnung keinen gemeinsamen Hausstand geführt hat, zum Gegenstand haben. Jedenfalls der Rechtsentscheid des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29. Dezember 1989 (aaO) befaßt sich ausdrücklich mit dieser Fallgestaltung und unterstellt die Kündigung des Vermieters gemäß § 569 BGB auch hier den in § 564 b BGB genannten Anforderungen.
III. Der Senat beantwortet die Vorlagefrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich. Für die Kündigung des Vermieters gemäß § 569 BGB ist ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne des § 564 b BGB auch dann erforderlich, wenn der Erbe zu Lebzeiten des Mieters nicht in der Wohnung gelebt hat und wenn aus diesem Grunde auch die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach den §§ 569 a oder 569 b BGB nicht gegeben sind.
1. Sollten die Ausführungen des vorlegenden Oberlandesgerichts zu der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 GG dahingehend zu verstehen sein, daß es die Anwendung des § 564 b BGB auch in dem Fall, daß der Erbe die Wohnung bisher nicht benutzt hat, für verfassungswidrig hält, kann ihm hierin nicht gefolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei nicht veröffentlichten Beschlüssen vom 27. September 1989 (1 BvR 1087/89) und vom 10. Oktober 1990 (1 BvR 660/90) ausgeführt, selbst dann, wenn der Erbe die Wohnung nicht selbst nutzen wolle, stelle es keine einseitige Belastung des Wohnungseigentümers dar, wenn der Gesetzgeber dem Erben den Verlust dieser Position nur für den Fall zumute, daß der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Wiedererlangung des unmittelbaren Besitzes geltend machen könne. Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Erwägungen damit, daß der Eigentümer dann, wenn er den – nach herrschender Meinung auch zugunsten des Vermieters dispositiven – § 569 Abs. 1 BGB nicht zu seinen Gunsten abbedinge, auf die personale Komponente des Mietverhältnisses verzichte und diesem damit einen von der Person des Erben losgelösten Inhalt verleihe. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 10. Oktober 1990) sieht den Gesetzgeber auch als befugt an, den Eintritt des Erben in das Mietverhältnis für den Fall anzuordnen, daß der Erbe in der Vergangenheit eigene Vertragstreue nicht hat beweisen müssen.
2. In der Sache folgt der Senat der Rechtsauffassung, die von der ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum vertreten wird.
a) Mit der Regelung des § 564 b BGB, der aufgrund des 2. Wohnraumkündigungsechutzgesetzes vom 18. Dezember 1974 (BGBl. I 3603) in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt worden ist, wurde beabsichtigt, einen lückenlosen Kündigungsschutz des Vertragstreuen Mieters zu gewährleisten. Der Mieter soll vor willkürlichen Kündigungen seitens des Vermieters und damit dem Verlust seiner Wohnung bewahrt werden. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zu § 564 b BGB eindeutig ergibt, sollte dabei diese Vorschrift auch auf (vorzeitige) Kündigungen unter Einhaltung der gesetzlichen Frist, somit auch auf Kündigungen des Vermieters nach dem Tode des Mieters gemäß § 569 BGB – diese Bestimmung wird ausdrücklich genannt –, Anwendung finden; eine Klarstellung, daß bei solchen Kündigungen ebenfalls ein berechtigtes Interesse des Vermieters vorliegen muß, wurde nicht für erforderlich gehalten (BT-Drucks. 7/2011 S. 8; BT-Drucks. 7/2638 S. 2). Eine ähnliche Einschränkung, wie sie in den seit Inkrafttreten des 2. Mietrechtsänderungsgesetzes vom 14. Juli 1964 (BGBl. I 457) geltenden Vorschriften der §§ 569 a und 569 b BGB enthalten ist und die hier dahin gehen würde, daß der Erbe jedenfalls zu Lebzeiten des Mieters in der Wohnung gewohnt haben müßte, hat der Gesetzgeber bei dem Erlaß der Bestimmung des § 564 b BGB in bezug auf ihre Anwendbarkeit auf das Kündigungsrecht des Vermieters nach § 569 BGB nicht vorgenommen; dafür läßt sich auch aus den Gesetzesmaterialien nichts herleiten.
b) Es ist zwar zutreffend, daß der Erbe, der mit dem Erblasser nicht gemeinsam in der Wohnung gewohnt hat, eines Schutzes aus dem Gesichtspunkt des Verlustes der Wohnung als seines bisherigen Lebensmittelpunktes nicht bedarf, mag er auch im Einzelfall ein Interesse daran haben, den durch den Erbfall erlangten Mietbesitz zu behalten. Soweit der Erbe mit dem verstorbenen Mieter als dessen Ehegatte, Familienangehöriger oder Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft einen gemeinsamen Hausstand geführt hat, tritt er bereits gemäß § 569 a BGB in das Mietverhältnis ein. In dem von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Mietrechtsvereinfachung” vorgelegten Bericht mit Textvorschlägen zur Neugliederung und Vereinfachung des Mietrechts ist deshalb in § 575 d des Entwurfs nunmehr vorgesehen, daß die Kündigung des Vermieters gegenüber dem Erben des Mieters ein berechtigtes Interesse nicht mehr voraussetzt (siehe Bemerkungen zu §§ 566 und 575 d des Entwurfs).
c) Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung sind die Gerichte jedoch an die eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers, zu deren Ermittlung die Entstehungsgeschichte der Vorschrift heranzuziehen ist (BGHZ 46, 74, 76, 79; vgl. auch Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., Anh. § 133 Rdnr. 8; Krüger-Nieland/Zöller in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 133 Rdnr. 50 ff), gebunden. Eine grundlegende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die der Gesetzgeber nicht bedacht hat und auch nicht bedenken konnte, so daß die Entstehungsgeschichte ihre Bedeutung für die Auslegung verloren hätte (vgl. BGHZ 47, 324, 335 f), ist seitdem nicht eingetreten. Eine Auslegung des Gesetzes gegen den eindeutigen Willen des Gesetzgebers ist den Gerichten im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG verwehrt (BGHZ 46, 74, 85).
d) Einem minderen oder sogar fehlenden Schutzbedürfnis des Erben, dem der Vermieter gemäß § 569 BGB gekündigt hat, kann daher nach der gegenwärtigen Rechtslage nur dadurch Rechnung getragen werden, daß an das berechtigte Interesse des Vermieters im Sinne des § 564 b BGB keine zu hohen Anforderungen gestellt sowie die beiderseitigen Interessen bei der Abwägung gemäß § 556 a Abs. 1 Satz 1 BGB berücksichtigt werden (Rechtsentscheid des BayObLG vom 4. Dezember 1984 aaO; Köhler/Kossmann aaO; vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 10. Oktober 1990).
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Paulusch, Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball
Fundstellen
Haufe-Index 875201 |
BGHZ |
NJW 1997, 1695 |
NWB 1997, 1538 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1997, 1505 |
JZ 1997, 730 |
MDR 1997, 631 |