Leitsatz (amtlich)
Nach dem rechtskräftigen Abschluss eines gegen den Ausländer gerichteten Strafverfahrens bedarf es für die Abschiebung nicht mehr des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft i.S.v. § 72 Abs. 4 AufenthG; aus § 456a StPO ergibt sich nichts anderes.
Normenkette
AufenthG § 72 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 20.10.2014; Aktenzeichen 19 T 114/14) |
AG Nürtingen (Entscheidung vom 06.03.2014; Aktenzeichen 511 XIV 229/14) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 20.10.2014 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde im Jahr 2010 unter Androhung der Abschiebung abgelehnt. Ab dem 31.10.2012 befand er sich in Untersuchungshaft und wurde am 9.1.2013 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Diese wurde bis zum 7.5.2013 vollstreckt und der Strafrest sodann zur Bewährung ausgesetzt. Der für den 23.8.2013 geplanten Abschiebung entzog sich der Betroffene durch Flucht. Am 6.3.2014 wurde er aus Schweden an die Bundesrepublik Deutschland rücküberstellt.
Rz. 2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das AG am 6.3.2014 Sicherungshaft bis zum 15.4.2014 angeordnet. Die Beschwerde, die nach der am 9.4.2014 erfolgten Abschiebung auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung gerichtet ist, hat das LG zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 4
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war der Haftantrag zulässig. Insbesondere bedurfte es keiner Ausführungen zu dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft (§ 72 Abs. 4 AufenthG).
Rz. 5
a) Das gegen den Betroffenen gerichtete Strafverfahren war bereits vor der Anordnung der Abschiebungshaft mit der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe beendet worden. Da § 72 Abs. 4 AufenthG auf die Erhebung der öffentlichen Klage und die Einleitung des Ermittlungsverfahrens Bezug nimmt, ist das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nur bis zu dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens erforderlich. Dies soll gewährleisten, dass Strafverfahren abgeschlossen werden können, bei denen das öffentliche Strafverfolgungsinteresse das Interesse an der sofortigen Ab- oder Zurückschiebung überwiegt (vgl. BGH, Beschluss vom 24.2.2011 - V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146 Rz. 22).
Rz. 6
b) Nach diesem Zeitpunkt bedarf es des Einvernehmens nicht mehr. Allerdings kann die Staatsanwaltschaft gem. § 456a StPO - nunmehr allerdings als Vollstreckungsbehörde (§ 451 StPO) - von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung u.a. dann absehen, wenn der Verurteilte aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wird. Dies ist jedoch von dem in § 72 Abs. 4 AufenthG geregelten Einvernehmen zu unterscheiden. Während einer laufenden Vollstreckung setzt die Abschiebung notwendigerweise voraus, dass die Vollstreckungsbehörde beteiligt wird und von der weiteren Vollstreckung absieht. Ungeachtet dessen kann Abschiebungshaft parallel zu der Strafhaft angeordnet werden, wenn deren formelle und materielle Voraussetzungen vorliegen (Senat, Beschl. v. 4.12.2014 - V ZB 77/14 Rz. 7 f., juris, vorgesehen zum Abdruck in BGHZ). Dass die Vollstreckungsbehörde erklärt, von der weiteren Vollstreckung nicht abzusehen, kann der Anordnung von Abschiebungshaft nur unter dem Gesichtspunkt der Undurchführbarkeit der Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate entgegenstehen (vgl. § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG).
Rz. 7
c) Wird - wie hier - die Strafhaft im Zeitpunkt der Anordnung der Abschiebungshaft nicht (mehr) vollstreckt, weil der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt worden ist, oder wird von vornherein eine Bewährungsstrafe verhängt, muss die Vollstreckungsbehörde ohnehin nicht beteiligt werden, und zwar auch dann nicht, wenn Gründe für einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung vorliegen. Die gegenteilige Auffassung der Rechtsbeschwerde findet keine Grundlage im Gesetz.
Rz. 8
2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen