Verfahrensgang
LG Kaiserslautern (Urteil vom 25.10.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 25. Oktober 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Mißbrauch eines Kindes, wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes und wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
1. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte nach dem Auszug seiner Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung im April 1995 mit der Nebenklägerin, seiner am 27. Oktober 1986 geborenen ehelichen Tochter Jana, bis zu deren Umzug zu ihrer Mutter im Herbst 1995 in drei Fällen den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß durch, wobei er im Fall II. 3 der Urteilsgründe den Widerstand seiner Tochter brach, indem er ihr den Mund zuhielt und sie auf das Bett in seinem Schlafzimmer drückte. Drei Jahre später, im August 1998, nutzte der Angeklagte bei einem Besuch Jana's den Umstand, daß er sich mit ihr allein in seiner Wohnung aufhielt, aus, erneut den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuüben (Fall II. 4). Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten bestritten. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten im wesentlichen auf die Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gestützt.
2. Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Würdigung der Aussage der Nebenklägerin weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
a) Zwar beschränkt sich, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist, die revisionsrechtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung setzt aber voraus, daß sich die Urteilsgründe mit widersprüchlichen, ungenauen oder aus sonstigen Gründen nicht ohne weiteres glaubhaften Zeugenaussagen in einer für das Revisionsgericht überprüfbaren Weise auseinandersetzen (vgl. BGH StV 1992, 555 m.w.N.). Demgemäß müssen die Urteilsgründe dann, wenn Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung, wie hier, allein davon abhängt, wem das Gericht Glauben schenkt, erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHSt 44, 153, 158 f.; BGH NStZ 2002, 494 m.w.N.). Weicht in solchen Fällen der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem wesentlichen Punkt von seiner früheren Tatschilderung ab, so muß der Tatrichter überdies darlegen, daß insoweit keine bewußt falschen Angaben vorgelegen haben (BGHSt 44, 256).
b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Die Jugendkammer hat von ihr aufgezeigte Widersprüche in der Aussage der Nebenklägerin zur Häufigkeit der sexuellen Übergriffe des Angeklagten nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise aufgelöst. Die vom Landgericht als gewichtiges Kriterium für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin angenommene Aussagekonstanz (UA 9, 13) ist deshalb nicht belegt.
Die damals 15 Jahre alte Nebenklägerin offenbarte erstmals im Februar 2002 gegenüber einer Freundin, von ihrem Vater sexuell mißbraucht worden zu sein. In einem anschließenden Gespräch mit den Eltern der Freundin wiederholte sie dies und antwortete auf die Frage, ob „es mehrmals passiert sei”, „sie könne es nicht zählen, so oft” (UA 12). Abweichend hiervon berichtete sie gegenüber der Sachverständigen im Rahmen der Exploration und in der Hauptverhandlung nur die festgestellten Taten, wobei sie gegenüber der Sachverständigen ausdrücklich angab, es habe über die geschilderten Vorfälle hinaus keine weiteren Taten oder Gewalthandlungen des Angeklagten gegeben (UA 10).
Diesen widersprüchlichen Angaben zur Anzahl der Mißbrauchsfälle hat das Landgericht bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin keine Bedeutung beigemessen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die von späteren Angaben abweichende Äußerung der Nebenklägerin gegenüber den Eltern ihrer Freundin zur Häufigkeit der Mißbrauchsfälle könne damit erklärt werden, daß „sie das Thema für diesen Moment abschließen wollte” (UA 13). Diese Schlußfolgerung ist nicht mit Tatsachen belegt und entzieht sich deshalb einer revisionsrechtlichen Überprüfung.
Um eine solche zu ermöglichen, hätte es – neben der Mitteilung etwaiger Angaben der Nebenklägerin hierzu – einer vollständigen Darlegung der Aussageentstehung bedurft, insbesondere einer substantiierten Wiedergabe der Angaben, die die Nebenklägerin über die Vorfälle gegenüber ihrer Mutter sowie im Rahmen ihrer polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen machte. Nach den Urteilsgründen drängte sich in diesem Zusammenhang vor allem eine Darlegung und Erörterung der Angaben der Nebenklägerin gegenüber ihrer Mutter auf. Dieser berichtete sie nach dem Inhalt des Urteils zwar die Vorfälle nicht zusammenhängend, jedoch „Details” der Taten (UA 12). Dafür, daß sie sich ihrer Mutter gegenüber auch über die Häufigkeit der sexuellen Übergriffe des Angeklagten äußerte, spricht der von der Polizeibeamtin KHK J. gefertigte Vermerk über ein Telefonat mit der Mutter der Nebenklägerin, in welchem diese angegeben haben soll, der Angeklagte habe immer dann, wenn Jana allein bei ihm zu Besuch gewesen sei, mit ihr geschlafen (UA 13 f.). Nach dem Inhalt dieses Vermerks liegt nahe, daß die Nebenklägerin nicht nur den Eltern ihrer Freundin – wovon die Jugendkammer ausgegangen ist –, sondern zumindest auch ihrer Mutter von deutlich mehr Mißbrauchsfällen berichtete, als dies in späteren Vernehmungen der Fall war. Soweit das Landgericht meint, ein solcher Beweiswert komme dem Telefonvermerk der Zeugin J. nicht zu, stützt es sich abermals auf Erwägungen, die sich einer Überprüfung des Revisionsgerichts entziehen. So führt es zur Begründung aus, es habe nicht geklärt werden können, ob der Zeugin J. bei der Niederschrift des Vermerks Übertragungsfehler unterlaufen seien oder ob es sich bei der Mitteilung der Mutter der Nebenklägerin um unbewußte Übertreibungen oder Schlußfolgerungen gehandelt habe. Auf welche Beweisgrundlage die Jugendkammer diese Zweifel stützt, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht.
c) Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung der Aussage der Nebenklägerin ihren widersprüchlichen Angaben zur Anzahl der Taten größeres Gewicht beigemessen und infolgedessen die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin anders als geschehen beurteilt hätte. Die Sache muß daher neu verhandelt und entschieden werden.
3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, die Frage, ob im Fall II. 4 eine schutzlose Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB vorgelegen hat, genauer als bisher zu prüfen (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 schutzlose Lage 7).
Unterschriften
Maatz, Kuckein, Athing, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen