Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 19.10.2011) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 19. Oktober 2011 im Maßregelausspruch aufgehoben. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus entfällt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall des Maßregelausspruchs.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte dem Nebenkläger die Sonnenbrille von der Nase und nahm sie an sich. Er hatte nicht die Absicht, die Brille zu behalten, sondern wollte auf diese Weise lediglich ein Gespräch herbeiführen und den Nebenkläger darauf hinweisen, dass dieser sich kurz zuvor einem Straßenmusiker gegenüber beleidigend verhalten habe. Ob es zwischen dem Nebenkläger und einem Straßenmusikanten ein Zusammentreffen gegeben oder ob sich dies nur in der Phantasie des an einer floriden paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Angeklagten abgespielt hatte, hat das Landgericht nicht klären können.
Rz. 3
Der Angeklagte entfernte sich mit der Sonnenbrille in der Hand und äußerte gegenüber dem ihn verfolgenden und die Rückgabe der Brille verlangenden Nebenkläger den Wunsch auf ein Gespräch. Nach einiger Zeit kamen beide überein, „ein körperliches Duell ausfechten zu wollen”, und begannen, nachdem der Angeklagte die Sonnenbrille beiseitegelegt hatte, aufeinander einzuschlagen. Dabei war der Angeklagte dem Nebenkläger körperlich weit überlegen und verursachte mit heftigen Faustschlägen erhebliche Verletzungen in dessen Gesicht. Nachdem der Kampf zwischenzeitlich bereits einmal beendet worden war und sich die beiden Männer die Hand gegeben hatten, fing der Nebenkläger wieder an, auf den Angeklagten einzuschlagen, worauf die körperliche Auseinandersetzung erneut aufflammte. An deren Ende wuschen sich beide Kontrahenten an einem Brunnen, der Nebenkläger nahm seine Sonnenbrille wieder an sich und beide verließen den Ort des Geschehens. Der Nebenkläger erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma sowie eine Nasenbein- und eine Jochbeinfraktur, die operativ versorgt werden mussten und einen zehntägigen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten.
Rz. 4
2. Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Es hat die Tat durch die Einwilligung des Geschädigten in die Schlägerei nicht als gerechtfertigt angesehen. Zwar sei der Nebenkläger zunächst mit einer körperlichen Auseinandersetzung einverstanden gewesen; diese Einwilligung habe „jedoch dort ihre Grenze, wo offensichtlich wurde, dass der Angeklagten dem Geschädigten körperlich weit überlegen war, womit dieser nicht gerechnet hatte, und der Angeklagte trotz der bereits erkennbaren Verletzungen weiter auf den Nebenkläger einschlug mit der Folge, dass dieser die festgestellten erheblichen Verletzungen erlitt”.
Rz. 5
Das Landgericht hat den Angeklagten gleichwohl freigesprochen, weil dieser zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der floriden paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie unfähig gewesen sei, das Unrecht seines Handelns einzusehen. Es hat die Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Angeklagte aufgrund seiner dauerhaft bestehenden psychischen Erkrankung und des damit verbundenen Wahns, die Welt verbessern und für das Gute kämpfen zu müssen, erneut andere Menschen maßregeln wolle und dabei „weitere Straftaten ähnlichen Ausmaßes” begehen werde.
Rz. 6
3. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Anordnung dieser Maßregel setzt nach § 63 StGB eine im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangene rechtswidrige Tat voraus sowie eine auf einem dauerhaften Zustand beruhende Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit in Form zu erwartender erheblicher rechtswidriger Taten. Daran fehlt es hier.
Rz. 7
a) Soweit das Landgericht auf die Körperverletzungshandlungen des Angeklagten abgestellt hat, liegt keine rechtswidrige Tat vor. Die Körperverletzung ist durch die Einwilligung des Nebenklägers gerechtfertigt (§ 228 StGB). Wie die Revision und der Generalbundesanwalt übereinstimmend zutreffend ausführen, ist für eine Einschränkung der Einwilligung des Nebenklägers in die mit der einvernehmlichen körperlichen Auseinandersetzung verbundene Körperverletzung nichts zu erkennen. Vielmehr spricht die Fortsetzung des Kampfes durch diesen zu einem Zeitpunkt, in dem er bereits die körperliche Überlegenheit des Angeklagten erfahren hatte, gegen eine solche Einschränkung.
Rz. 8
Die Einwilligung war auch wirksam, da die Tat nicht gegen die guten Sitten verstößt. Dies gilt sowohl in Ansehung des Zwecks der Auseinandersetzung – der Angeklagte wollte den Nebenkläger wegen eines jedenfalls aufgrund des Zweifelssatzes anzunehmenden, unangemessenen Vorverhaltens maßregeln und hat damit keine „unlauteren” Ziele (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170) verfolgt – als auch im Hinblick auf das Maß der Rechtsgutsverletzung und der damit verbundenen weitergehenden Gefahren für Leib und Leben des Nebenklägers (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 42; Urteil vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 171 f.). Der Nebenkläger erlitt zwar Verletzungen, die einen Krankenhausaufenthalt und eine Operation erforderlich machten. Zu einer konkreten Lebensgefahr (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 228 Rn. 10a) haben die Verletzungshandlungen des Angeklagten beim Nebenkläger indes nicht geführt.
Rz. 9
b) Zwar könnte – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – eine vollendete, nicht gerechtfertigte Nötigung des Nebenklägers darin gesehen werden, dass der Angeklagte diesen durch die Ansichnahme der Sonnenbrille dazu veranlasste, ihm zu folgen und mit ihm in Kontakt zu treten. Eine solche Nötigung wäre indes keine Tat, die eine Unterbringung rechtfertigen könnte (§ 62 StGB).
Rz. 10
c) Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Verhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB rechtfertigen. Er entscheidet deshalb selbst, dass die Anordnung der Maßregel entfällt.
Rz. 11
4. Der Freispruch kann – auch im Hinblick auf § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO – bestehen bleiben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 358 Rn. 12 mwN). Angesichts der vom Landgericht zu der Erkrankung des Angeklagten rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen schließt der Senat aus, dass in einer erneuten Hauptverhandlung noch der Nachweis geführt werden könnte, der Angeklagte habe schuldhaft eine rechtswidrige Nötigung begangen.
Unterschriften
Becker, Pfister, RiBGH Hubert befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker, Mayer, Gericke
Fundstellen
Haufe-Index 3115207 |
NStZ 2012, 6 |
NStZ-RR 2013, 269 |