Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Urteil vom 15.02.2011) |
Tenor
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 15. Februar 2011, soweit es die Angeklagte betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Neubrandenburg zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen räuberischer Erpressung zur Jugendstrafe von zehn Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Sachbeschwerde gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Rz. 2
1. Die rechtliche Wertung des Landgerichts, die Angeklagte habe sich als Mittäterin an der räuberischen Erpressung der Mitangeklagten und Nichtrevidenten beteiligt, hält der Nachprüfung nicht stand. Sie wird durch die Urteilsgründe nicht hinreichend belegt.
Rz. 3
a) Nach den Feststellungen nahm die Angeklagte in Umsetzung des Tatplanes unter einem falschen Namen telefonisch mit dem Geschädigten Kontakt auf, traf sich mit ihm und brachte ihn schließlich am späten Abend mit ihrem Fahrzeug zu dem abgelegenen Tatort. Dort stieg der Geschädigte aus. Nach ihrer unwiderlegt gebliebenen Einlassung fuhr die Angeklagte weiter, stellte ihr Fahrzeug in einiger Entfernung ab und blieb in diesem sitzen. Nach dem Aussteigen des Geschädigten nötigten die Mitangeklagten diesen unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für dessen Leib und Leben zur Übergabe von 9.000 EUR, ohne hierauf einen Anspruch gehabt zu haben.
Rz. 4
b) Diese Feststellungen tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen mittäterschaftlicher räuberischer Erpressung (§ 253 Abs. 1 und 2, §§ 255, 25 Abs. 2 StGB) nicht.
Rz. 5
Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 25 Rn. 12 mwN). Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, hat der Tatrichter aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2008 – 3 StR 243/08, StV 2008, 575; Urteile vom 12. Februar 1998 – 4 StR 428/97, NJW 1998, 2149, 2150; vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291). Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 – 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254; Beschluss vom 2. Juli 2008 – 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25). Erschöpft sich demgegenüber die Mitwirkung nach seiner Vorstellung in einer bloßen Förderung fremden Handelns, so stellt seine Tatbeteiligung Beihilfe dar (§ 27 Abs. 1 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2012 – 3 StR 63/12, StraFo 2012, 194).
Rz. 6
c) Daran gemessen kann der Schuldspruch nicht bestehen bleiben. Das Urteil lässt nicht nur die hier zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe gebotene wertende Gesamtbetrachtung vermissen, sondern bereits Feststellungen dazu, ob und in welcher Ausprägung die Angeklagte ein eigenes Interesse an der Tat sowie – über ihren eigenen Tatbeitrag hinaus – Tatherrschaft oder wenigstens den Willen dazu hatte. Die Annahme der Jugendkammer, die Angeklagte sei Mittäterin, weil sie sich „wissentlich und willentlich an der Drohkulisse” beteiligt habe, machte die mit Blick auf den festgestellten untergeordneten Tatbeitrag der Angeklagten gebotene wertende Gesamtbetrachtung sowie die erforderliche Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht entbehrlich.
Rz. 7
Der Senat kann nicht ausschließen, dass zur rechtlichen Beurteilung der Tatbeteiligung der Angeklagten in einer neuen Verhandlung weiter gehende Feststellungen getroffen werden können.
Rz. 8
2. Der neue Tatrichter wird darauf hingewiesen, dass die Einlassung der Angeklagten zum Hintergrund der Tat, sie habe vermutet, dass der Geschädigte seinen Bruder, den Mitangeklagten A. R., bestohlen habe, im angefochtenen Urteil im Rahmen der Beweiswürdigung jedenfalls nicht ausdrücklich widerlegt worden ist. Lediglich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann entnommen werden, dass der Angeklagten aus der „im Groben” erfolgten gemeinsamen Tatplanung, die sie nach der Überzeugung des Landgerichts – entgegen den Angaben des Mitangeklagten S. – gekannt hat, bekannt gewesen sein könnte, dass Anlass der Tat nicht ein Diebstahl des Geschädigten P. R. zum Nachteil seines Bruders, des Mitangeklagten A. R., und somit nach der Vorstellung der Angeklagten nicht eine rechtmäßige Forderung dieses Mitangeklagten war, sondern dass es bei der Tat um die Erlangung des bei dem Zeugen J. gestohlenen Geldes ging, auf das die Mitangeklagten keinen Anspruch hatten.
Rz. 9
Die im Rahmen der Strafzumessung des angefochtenen Urteils bei der Begründung der Erforderlichkeit der Verhängung von Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld der Angeklagten im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG zu ihren Lasten angestellte Erwägung, sie habe „alle Bedenken, die sich gegen ihre Handlungsweise ergeben können, beiseitegeschoben”, unterliegt im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB rechtlichen Bedenken, weil der Angeklagten damit angelastet wurde, dass sie die Tat überhaupt begangen hat (vgl. Fischer, aaO, § 46 Rn. 76b f.).
Rz. 10
Schließlich wird der neue Tatrichter das Vorliegen der Voraussetzungen für die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu prüfen haben (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, NStZ 2008, 234). Auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts hierzu in seiner Antragsschrift wird hingewiesen.
Rz. 11
Die Zurückverweisung an das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Neubrandenburg beruht auf § 354 Abs. 3 StPO i.V.m. § 33 Abs. 1 und 2, § 40 Abs. 1 Satz 1, § 107 JGG. Dessen Zuständigkeit reicht zur Erledigung der Sache aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 354 Rn. 42).
Unterschriften
Becker, Pfister, Hubert, Mayer, Gericke
Fundstellen
Haufe-Index 3115209 |
NStZ 2012, 6 |
NStZ 2013, 104 |