Leitsatz (amtlich)
Zum Absehen des Beschwerdegerichts von der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen in einem Betreuungsverfahren.
Normenkette
FamFG § 37 Abs. 2, § 68 Abs. 3, § 278 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Duisburg (Beschluss vom 19.03.2020; Aktenzeichen 12 T 128/19) |
AG Mülheim a.d. Ruhr (Entscheidung vom 17.04.2019; Aktenzeichen 5 XVII 274/14) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2) wird der Beschluss der 12. Zivilkammer des LG Duisburg vom 19.3.2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Für die im Jahre 1967 geborene Betroffene, die unter einer schwerwiegenden Störung ihrer Persönlichkeitsstruktur im Sinne einer Psychoseerkrankung leidet, ist seit dem Jahr 2014 eine Betreuung eingerichtet und der Beteiligte zu 1) als Berufsbetreuer bestellt. Der Vater der Betroffenen, der Beteiligte zu 2), hatte sich in der Vergangenheit immer wieder - erfolglos - gegen die Person des Betreuers gewandt, weil er sich u.a. durch den Betreuer am Umgang mit der Betroffenen gehindert sah.
Rz. 2
Das AG hat ein Sachverständigengutachten zur Frage der weiteren Betreuungsbedürftigkeit sowie zur Frage der Erweiterung des Aufgabenkreises auf das Umgangsrecht eingeholt und die Betroffene persönlich angehört. Im Anschluss daran hat es den Aufgabenkreis des Beteiligten zu 1) um das "Umgangsrecht einschließlich Entscheidungen über Kontaktverbote/Abstandsgebote" für die Betroffene erweitert und die Betreuung verlängert.
Rz. 3
Dagegen hat der Beteiligte zu 2) Beschwerde eingelegt. Das LG hat eine Verfahrenspflegerin (die Beteiligte zu 3) bestellt und eine Stellungnahme von dieser eingeholt. Sodann hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 2) mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Rz. 5
1. Das LG hat ausgeführt, das Umgangsrecht habe in den Aufgabenkreis aufgenommen werden müssen. Wie sich aus dem - durch das vom Beteiligten zu 2) im Beschwerdeverfahren vorgelegte Privatgutachten nicht entkräfteten - Sachverständigengutachten ergebe, sei die Betroffene nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden. Dies betreffe auch und gerade die Frage der Kontakte mit dem Vater, bei denen es immer wieder zu Problemen zwischen Betroffener, ihrem Vater und ihrer Mutter gekommen sei, die teils zu erheblichen Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit der Betroffenen geführt hätten. Die Verfahrenspflegerin habe ebenfalls bestätigt, dass beide Eltern nicht bereit seien, die Betroffene loszulassen, und eine Betreuung durch einen Berufsbetreuer unbedingt erforderlich sei.
Rz. 6
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die angefochtene Beschwerdeentscheidung verfahrensfehlerhaft ergangen ist, weil das LG nicht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren absehen durfte.
Rz. 7
a) Nach dem für die Verlängerung der Betreuung nach § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG - ebenso wie grundsätzlich gem. § 293 Abs. 1 Satz 1 FamFG für die Erweiterung der Betreuung - entsprechend geltenden § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Senats zum einen voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist. Zum anderen dürfen von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sein, was jedoch dann der Fall ist, wenn das Beschwerdegericht für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage heranzieht, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert (vgl. etwa BGH v. 4.12.2019 - XII ZB 392/19 NJW 2020, 852 Rz. 5 m.w.N.; v. 24.7.2019 - XII ZB 160/19 FamRZ 2019, 1735 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 8
b) Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Rz. 9
aa) Das AG hat bei seiner Anhörung schon deshalb zwingende Verfahrensvorschriften verletzt, weil der Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist.
Rz. 10
Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage erfordert nach § 37 Abs. 2 FamFG, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Das setzt voraus, dass der Betroffene vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Wenn dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Beschl. v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 FamRZ 2019, 387 Rz. 6 m.w.N.).
Rz. 11
Dem wird es nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht gerecht, wenn das Sachverständigengutachten - wie ausweislich des amtsgerichtlichen Anhörungsprotokolls auch im vorliegenden Fall geschehen - dem Betroffenen erst bei der persönlichen Anhörung ausgehändigt wird (vgl. etwa BGH v. 11.3.2020 - XII ZB 496/19, FamRZ 2020, 1124 Rz. 7; v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 FamRZ 2019, 387 Rz. 7 f.). Denn dadurch wird dem Betroffenen jede Möglichkeit genommen, sich auf den Anhörungstermin ausreichend vorzubereiten und durch die Erhebung von Einwendungen und durch Vorhalte an den Sachverständigen eine andere Einschätzung zu erreichen (vgl. etwa BGH v. 12.2.2020 - XII ZB 179/19 FamRZ 2020, 786 Rz. 12; v. 26.9.2018 - XII ZB 395/18 FamRZ 2019, 139 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 12
bb) Von einer erneuten Anhörung waren zudem weitere Erkenntnisse zu erwarten. Das LG hat sich bei seiner Einschätzung zur Erforderlichkeit der Erweiterung der Betreuung sowie zur Notwendigkeit einer Berufsbetreuung und damit zur Person des Betreuers auch auf die schriftliche Stellungnahme der erst im Beschwerdeverfahren bestellten Verfahrenspflegerin gestützt. Damit war aber auch aus diesem Grund eine erneute Anhörung geboten (vgl. BGH, Beschl. v. 10.10.2018 - XII ZB 230/18 FamRZ 2019, 140 Rz. 6).
Rz. 13
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher gem. § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG an das LG zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist.
Rz. 14
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen