Leitsatz (amtlich)

a) § 703 d Abs. 2 Satz 1 ZPO enthält eine besondere Zuständigkeitsregelung für das Mahnverfahren, wenn der Antragsgegner keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat.

b) Die Ausnahmevorschrift des § 703 d Abs. 2 Satz 1 ZPO erstreckt sich nicht auf gesamtschuldnerisch in Anspruch genommene weitere Antragsgegner mit allgemeinem Gerichtsstand im Inland.

 

Normenkette

ZPO § 36 Nr. 6, § 689 Abs. 2, § 703d Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Hagen

AG Hünfeld

 

Tenor

Das Amtsgericht in Hünfeld wird für die im Mahnverfahren zu treffenden Entscheidungen als das örtlich zuständige Gericht bestimmt (§§ 36 Nr. 6, 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO).

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; die Erstattung der sonstigen Kosten richtet sich nach der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

 

Tatbestand

I. Unter dem 22. Dezember 1994 beantragte die Antragstellerin den Erlaß eines Mahnbescheides gegen zwei Gesamtschuldner, von welchen einer seinen allgemeinen Gerichtsstand in den Niederlanden, der andere im Inland hat.

Mit Beschluß vom 4. Mai 1995 erklärte sich das Amtsgericht Hagen zur Durchführung des Mahnverfahrens gemäß § 689 Abs. 2 Satz 1 ZPO für unzuständig und verwies die Angelegenheit bezüglich des in der Bundesrepublik ansässigen Gesamtschuldners auf Antrag der Antragstellerin an das Amtsgericht Hünfeld. Es ist der Ansicht, daß eine getrennte Bearbeitung bezüglich der verschiedenen Antragsgegner möglich sei. Zudem fehle eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung, die vorsehe, daß im vorliegenden Fall ein Mahngericht für die einheitliche Durchführung eines Mahnverfahrens gegen beide Gesamtschuldner zuständig sei.

Das Amtsgericht Hünfeld erklärte sich mit Beschluß vom 28. Juli 1995 für örtlich unzuständig und legte die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung der Zuständigkeit vor. Es ist der Ansicht, eine getrennte Bearbeitung des Verfahrens durch verschiedene Gerichte sei unzulässig. Zur Begründung verweist das Amtsgericht darauf, daß sich aus § 703 d Abs. 2 ZPO eine Zuständigkeit eines Mahngerichts für alle Gesamtschuldner auch dann ergebe, wenn einer oder mehrere Gesamtschuldner über einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland verfügten. Zudem widerspreche eine getrennte Bearbeitung dem Wesen des Mahnverfahrens als Schnellverfahren. Bei einer getrennten Bearbeitung komme schließlich eine höhere Gebührenbelastung der Antragstellerin hinzu.

 

Entscheidungsgründe

II. Das Amtsgericht Hünfeld war bezüglich des in der Bundesrepublik ansässigen Gesamtschuldners gemäß § 36 Nr. 6 ZPO als das für die Durchführung des Mahnverfahrens örtlich zuständige Gericht zu bestimmen.

Zunächst geht das Amtsgericht Hünfeld zutreffend von einem Vorrang des § 703 d Abs. 2 ZPO gegenüber § 689 Abs. 2 ZPO aus. Entgegen der Ansicht des vorlegenden Amtsgerichts begründet § 703 d Abs. 2 ZPO jedoch lediglich eine Zuständigkeit für das Prozeßrechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und demjenigen Antragsgegner, der über keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland verfügt, während es im Verhältnis zu den anderen Antragsgegnern bei der allgemeinen Regelung des § 689 Abs. 2 ZPO verbleibt. Dies folgt zunächst aus dem Wortlaut des § 703 d ZPO. Dessen Abs. 1 beschreibt den Anwendungsbereich der Vorschrift dahingehend, daß „der” (nicht etwa „ein”) Antragsgegner keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. In einem solchen Fall ist nach § 703 d Abs. 2 Satz 1 ZPO für das Mahnverfahren das Amtsgericht zuständig, das für das streitige Verfahren zuständig sein würde, wenn die Amtsgerichte im ersten Rechtszug sachlich unbeschränkt zuständig wären. Aus der Formulierung des § 703 d Abs. 1 ZPO folgt dabei, daß unter dem Mahnverfahren im Sinne des § 703 d Abs. 2 ZPO nur jenes gemeint sein kann, welches sich gegen den Antragsgegner richtet, der keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. Belegt wird dies ferner durch die Ratio des § 703 d ZPO. Regelungsziel des § 703 d ZPO war es, ein Mahnverfahren und ein nachfolgendes Streitverfahren bei einem Gericht im Inland auch dann zu ermöglichen, wenn zwar der allgemeine Gerichtsstand des Antragsgegners im Ausland liegt, aber aufgrund eines besonderen Gerichtsstandes eine Inlandszuständigkeit begründet ist. Da nach der früheren Fassung der §§ 690 Abs. 1 Nr. 5, 692 Abs. 1 Nr. 1, 696 Abs. 1 Satz 1, 700 Abs. 3 Satz 1 ZPO eine Abgabe an das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes des Antragsgegners vorgesehen war, wäre in den Fällen, in denen der Antragsgegner keinen solchen besitzt, die gesetzlich vorgesehene Fortführung des Verfahrens nicht möglich gewesen. § 703 d Abs. 2 Satz 1 ZPO statuiert vor diesem Hintergrund eine besondere Zuständigkeitsregelung schon für das Mahnverfahren, in dem es an die örtliche Zuständigkeit für ein späteres streitiges Verfahren anknüpft (vgl. Bericht des Rechtsausschusses zur Vereinfachungsnovelle, BT-Dr. 7/5250, S. 15; BGH, Beschl. v. 19.06.1981 – I ARZ 256/81, NJW 1981, 2647). Diese besondere Zuständigkeitsregelung hat der Gesetzgeber trotz der Änderung des § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO im Rahmen des Rechtspflegevereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1990 beibehalten, ohne jedoch dieser Vorschrift einen anderen Regelungsgehalt beizumessen. Dieser nach der Entstehungsgeschichte hinter § 703 d ZPO stehende Sinn und Zweck ist in bezug auf einen Antragsgegner, der seinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, nicht einschlägig. Probleme mit der Fortführung des Verfahrens nach allgemeinen Regelungen stellen sich hier nicht.

Auch prozeßökonomische Gesichtspunkte sprechen nicht für eine Erstreckung der besonderen Zuständigkeitsvorschrift des § 703 d Abs. 2 Satz 1 ZPO auf gesamtschuldnerisch in Anspruch genommene Antragsgegner, die über einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland verfügen. § 689 Abs. 2 ZPO will mit dem alleinigen Abstellen auf den allgemeinen Gerichtsstand des Antragstellers eine einfache und klare Zuständigkeitsregelung treffen und erkennbar eine Verfahrenskonzentration für das Mahnverfahren herbeiführen. Ein dementsprechendes Regelungsziel ist aber weder dem Wortlaut des § 703 d ZPO noch seiner Ratio zu entnehmen. Er betrifft eine spezifische Zuständigkeitsregelung, die für die örtliche Zuständigkeit des Mahngerichts in einer für das Mahnverfahren gerade nicht typischen Weise auf besondere Gerichtsstände zurückgreift, wobei das Vorliegen dieser besonderen Gerichtsstände nicht stets in einfacher Weise im Mahnverfahren geprüft werden kann. § 703 d Abs. 2 ZPO stellt damit eine Ausnahmevorschrift dar, die einer weiten Auslegung nicht zugänglich ist. Zu berücksichtigen ist weiterhin, daß eine getrennte Bearbeitung von Mahnverfahren gegen mehrere Antragsgegner, die allesamt über einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland verfügen, möglich ist. Hätte der Gesetzgeber eine solche getrennte Inanspruchnahme bei Antragsgegnern, die nicht sämtlich über einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland verfügen, nicht für zulässig angesehen, so hätte er dies in eindeutiger und klarer Weise zum Ausdruck gebracht. Vor diesem Hintergrund kann aus dem Normprogramm des § 703 d ZPO eine Verfahrenskonzentration bei dem nach § 703 d Abs. 2 Satz 1 ZPO zuständigen Gericht für den Fall, daß mehrere Antragsgegner in Anspruch genommen werden sollen, die ihren allgemeinen Gerichtsstand teils im Inland, teils im Ausland haben, nicht entnommen werden. In einem solchen Fall sind vielmehr, wie bei der Abgabe der Verfahren nach einem Widerspruch oder Einspruch in dem Falle, daß im Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheides verschiedene Gerichtsstände angegeben sind, die einzelnen Prozeßrechtsverhältnisse zu trennen; auf Antrag ist eine Verweisung an das örtlich zuständige Mahngericht auszusprechen.

Ob aus prozeßökonomischen Gründen eine Bestimmung eines Mahngerichts in diesen Fällen in entsprechender Anwendung des § 36 Nr. 3 ZPO in Betracht zu ziehen ist, kann hier dahingestellt bleiben, da die Antragstellerin im vorliegenden Fall diesen Weg nicht beschritten, sondern die Trennung des Mahnverfahrens sowie die anschließende Verweisung des gegen den in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Antragsgegner gerichteten Mahnverfahrens nach § 689 Abs. 2 ZPO an das zuständige Gericht beantragt hat. Dies war im vorliegenden Fall das Amtsgericht Hünfeld, das somit als das für die im Mahnverfahren zu treffenden Entscheidungen als das örtlich zuständige Gericht zu bestimmen war.

 

Unterschriften

Rogge, Maltzahn, Broß, Melullis, Greiner

 

Fundstellen

Haufe-Index 1128067

NJW 1995, 3317

Nachschlagewerk BGH

Rpfleger 1996, 116

IPRspr. 1995, 151

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