Entscheidungsstichwort (Thema)
unerlaubtes bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 20. März 2000
- im Schuldspruch dahin geändert, daß hinsichtlich der Tat von Anfang September 1999 die tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entfällt,
- im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringen Mengen in 19 Fällen sowie wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringen Mengen in einem Fall” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat die Änderung des Schuldspruchs insoweit zur Folge, als das Landgericht den Angeklagten wegen der Tat von Anfang September 1999 auch wegen tateinheitlich verwirklichter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen hat. Dieser Tatbestand tritt als rechtlich unselbständiger Teilakt hinter dem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zurück (Weber BtMG § 30 a Rdn. 145 m.N.).
2. Der Rechtsfolgenausspruch hält insgesamt rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg, mit der sie eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht geltend macht. Das Landgericht hat strafschärfend gewertet, „daß die Taten von September 1998 bis September 1999 nicht insoliert da stehen, sondern im Ergebnis eine Fortsetzung gleichgelagerten Taten aus den Jahren 1997 bis Anfang 1998 darstellen” (UA 35). Hinsichtlich des zuletzt genannten Tatzeitraums hat die Strafkammer das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Die in diesen Tatzeitraum fallenden Taten sind – was die Revision auch nicht in Zweifel zieht – in der Hauptverhandlung prozeßordnungsgemäß festgestellt worden (vgl. BGH, Beschluß vom 2. August 2000 – 5 StR 143/00; Schoreit in KK 4. Aufl. § 154 Rdn. 48). Die Revision rügt aber zu Recht, daß das Landgericht den Angeklagten nicht darauf hingewiesen hat, daß der ausgeschiedene Verfahrensstoff strafschärfend berücksichtigt werden könne (BGHSt 30, 197 f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 154 Rdn. 25, § 154 a Rdn. 2 m.w.N.). Dieser Hinweis war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (vgl. dazu BGH NStZ 1987, 134 mit Anm. Rieß). Zwar hat der Angeklagte die Taten – wie das Urteil ausweist – gestanden. Deshalb konnte das Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu den Tatvorwürfen durch die Beschränkung nach § 154 Abs. 2 StPO nicht beeinflußt werden. Doch war der Hinweis erforderlich, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, durch Anträge auch zum Schuldgehalt der von der Einstellung betroffenen Taten auf die Strafhöhe Einfluß zu nehmen.
Auf dem Verfahrensverstoß beruht der Strafausspruch auch. Zwar hat das Landgericht die früheren Taten ausdrücklich nur bei der Gesamtstrafenbemessung erörtert. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, daß diese Erwägungen auch die Einzelstrafen zum Nachteil des Angeklagten beeinflußt haben.
b) Im übrigen weisen die Strafzumessungserwägungen auch einen sachlich-rechtlichen Fehler auf, der zur Aufhebung des Strafausspruchs insgesamt führt. Das Landgericht hat nämlich bei der Bemessung der Einzelstrafen ganz wesentlich zu Lasten des Angeklagten die „besondere Verwerflichkeit des Vorgehens” berücksichtigt, die es darin erblickt hat, daß der Angeklagte zur Durchführung der Beschaffungsfahrten „die Arglosigkeit seines Vaters bedenkenlos” ausgenutzt habe (UA 32, 34 f.). Hiergegen wäre aus Rechtsgründen nichts einzuwenden, wenn die Arglosigkeit des Vaters des Angeklagten bei Durchführung der Beschaffungsfahrten zur Überzeugung der Strafkammer feststünde. Davon kann nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe jedoch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Zwar hat das Landgericht den Vater des Angeklagten vom Vorwurf der strafbaren Beteiligung bei den Einfuhrfahrten aus subjektiven Gründen freigesprochen. Doch beruht der Freispruch im Ergebnis darauf, daß dem Gericht die „Indizien” für eine Verurteilung „nicht genüg(t)en” (UA 28). Dies legt jedenfalls nahe, daß das Landgericht zum Freispruch des Vaters nur aufgrund des Zweifelsgrundsatzes gelangt ist. Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht den Zweifelsgrundsatz, der uneingeschränkt auch für die Feststellung der Strafzumessungstatsachen gilt (Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 46 Rdn. 17a m.N.), ebenfalls zu Gunsten des Angeklagten anwenden müssen. Danach hätte es unbeschadet der ersichtlich seinen Vater entlastenden Angaben des Angeklagtennicht davon ausgehen dürfen, daß der Vater arglos war.
Über die Strafbemessung ist deshalb insgesamt neu zu befinden.
3. Keinen Bestand hat das Urteil ferner, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen worden ist. Nach den Feststellungen zum Drogenkonsum des Angeklagten lag die Prüfung der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nahe. Der Angeklagte begann mit dem Drogenkonsum bereits während der Schulzeit. Zwei von ihm begonnene Lehren konnte der Angeklagte „wegen fortwährenden Drogengebrauchs” nicht zu Ende führen. Im Jahr 1992 begann er damit, „statt Haschisch nunmehr Heroin regelmäßig zu konsumieren …. Sein Tagesablauf war im wesentlichen durch den Drogenkonsum bestimmt” (UA 6). Nach Verbüßung einer Haftstrafe bis 1994 „geriet der Angeklagte schnell wieder an Drogen und zwar Heroin”, das er ab Anfang 1996 auch spritzte. Trotz Substituierung mit Methadon erlitt der Angeklagte wiederholt „einen kompletten Rückfall in den alten Drogenkonsum” (UA 7). Auch das verfahrensgegenständliche Handeltreiben mit Betäubungsmitteln diente dem Angeklagten dazu, seinen „Beigebrauch” von Drogen neben der Methadon-Substituierung zu finanzieren. Die Substituierung mit Methadon wurde schließlich auch nach Festnahme des Angeklagten in der Untersuchungshaft fortgesetzt.
Bei dieser Sachlage stellt es einen durchgreifenden Rechtsfehler dar, daß sich das Landgericht nicht mit der Frage des Vorliegens eines Hanges im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB auseinandergesetzt hat. Daß der Drogenkonsum des Angeklagten nach der ersichtlich ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen getroffenen Einschätzung des Landgerichts nicht zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit geführt hat, steht der Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB nicht entgegen (st. Rspr.; BGHR StGB § 64 Ablehnung 6, 8; BGH, Urteil vom 17. August 2000 – 4 StR 233/00). Daß bei dem Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht besteht (vgl. BVerfGE 91, 1 ff.), kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Die Tatsache, daß ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer etwaigen Nachholung der Unterbringung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff auch nicht ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362).
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Athing, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 512532 |
StV 2000, 656 |
StraFo 2001, 18 |