Verfahrensgang
LG Kassel (Entscheidung vom 12.12.2022; Aktenzeichen 8831 Js 2570/21 - 11 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 12. Dezember 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und versuchten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Einziehung von „Wertersatz“ angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Rz. 2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 3
1. Der Angeklagte war mit „M. “ befreundet. Durch diese lernte er „I. “ kennen. „M. “ und „I. “ waren liiert und lebten in der Türkei, wo sie der Angeklagte besuchte. Der Angeklagte erfuhr von dem Gerücht, dass „I. “ ein Mitglied der „Hells Angels“ war. Im Jahr 2019 kam es zu einem Zerwürfnis zwischen „M. “ und „I. “, wonach beide unter anderem um Geld stritten. Im Februar 2020 rief „I. “ den Angeklagten an und behauptete, er habe wegen des Verhaltens des Angeklagten Schwierigkeiten mit der türkischen Polizei gehabt und 18.000 Euro aufwenden müssen, um die Probleme zu lösen; der Angeklagte solle diesen Schaden ersetzen. Kurz darauf fand der Angeklagte in seinem Briefkasten einen Zettel „Schöne Grüße von I. “. Es folgte ein Anruf von „I. “, der damit drohte, den Angeklagten bei seinem Arbeitgeber zu verleumden, wenn er nicht zahlen werde. Der Angeklagte sagte, dass er nur 8.000 Euro bezahlen werde, wenn die Angelegenheit damit erledigt sei. „I. “ erwiderte, dass er dies als Anzahlung akzeptieren werde; der Angeklagte solle sich zur Geldübergabe mit einem „E. “ treffen. In der Folge kam es zu dieser Geldübergabe in einem Schnellrestaurant. „E. “ berichtete dabei von seiner Absicht, Cannabis in Kilomengen zu erwerben, und fragte den Angeklagten, ob dieser Kontakte zu Lieferanten habe. Der Angeklagte versprach, sich umzuhören. „E. “ verließ das Schnellrestaurant, kam aber nach einem Telefonat wieder und gab dem Angeklagten das Geld zurück mit der Aufforderung, es zum Erwerb von Marihuana zu verwenden. Kurz darauf rief „I. “ den Angeklagten an und erklärte, dass er an den Drogengeschäften beteiligt sei. „I. “ drohte abermals damit, dem Angeklagten erhebliche Schwierigkeiten zu bereiten, stellte aber in Aussicht, von seiner Forderung abzusehen, wenn der Angeklagte die Betäubungsmittel beschaffen werde. Deshalb entschloss sich der Angeklagte zu den abgeurteilten Taten:
Rz. 4
a) Am 4. April 2020 vereinbarte der Angeklagte mit dem Drogenverkäufer H. den Erwerb von 4 kg Marihuana. Zu einer Übergabe kam es nicht, weil H. mitteilte, das ihm beschaffte Marihuana sei sehr schlecht. Das übermittelte der Angeklagte „I. “, der ihm vorwarf, ihn hinhalten zu wollen. „I. “ verlangte nun außer der Beschaffung von Marihuana auch diejenige von Kokain (Fall II.1. der Urteilsgründe).
Rz. 5
b) Daher kontaktierte der Angeklagte am 3. Mai 2020 erneut den Dealer H. und bestellte 3 kg Marihuana sowie 150 g Kokain. Am Morgen des folgenden Tages trafen sich der Angeklagte und „E. “ an einer Tankstelle und fuhren zu einem Parkplatz, wo ihnen H. die Betäubungsmittel übergab und eine Anzahlung auf den Kaufpreis entgegennahm. Der Restkaufpreis wurde später vom Angeklagten an H. übergeben, nachdem er dafür Geld von „E. “ erhalten hatte. Weil das Kokain von schlechter Qualität war, wurde es am 6. Juni 2020 in eine entsprechende Menge besserer Ware umgetauscht (Fall II.2. der Urteilsgründe).
Rz. 6
c) In der Zeit zwischen dem 4. und 23. Mai 2020 kontaktierte „I. “ den Angeklagten erneut und forderte den Erwerb weiterer 5 kg Marihuana, wobei er in Aussicht stellte, den Angeklagten danach in Ruhe zu lassen. Der Angeklagte bat H. um entsprechende Lieferung. Zur Durchführung dieses Geschäfts kam es nicht, weil Herwig kurz darauf mitteilte, dass das von ihm beschaffte Marihuana verschimmelt sei (Fall II.3. der Urteilsgründe).
Rz. 7
d) In der Zeit zwischen dem 9. und 13. Juni 2020 bemühte sich der Angeklagte für „E. “ um den Ankauf von 4 kg Marihuana bei H.. Auch dazu kam es nicht, weil es Probleme mit den für die verschlüsselte Kommunikation genutzten Encrochatgeräten gab. Dem Angeklagten war wegen der kommunikationstechnischen Probleme nicht klar, ob die Bestellung den Lieferanten H. erreicht hatte oder ob dieser nicht zur Lieferung bereit und in der Lage war. Jedenfalls hielt er das Vorhaben für gescheitert (Fall II.4. der Urteilsgründe).
Rz. 8
Der Angeklagte wurde danach von einem Mitarbeiter der Firma, bei der er beschäftigt war, darüber informiert, dass dort eine Frau angerufen und sich als Polizeibeamtin ausgegeben habe, um Informationen über ihn zu sammeln. Es habe zuvor schon Anrufe gegeben, bei denen die Anruferin behauptet habe, der Angeklagte werde wegen Verdachts der Vergewaltigung gesucht. Der Angeklagte vermutete „I. “ als Verantwortlichen und teilte diesem mit, dass er nicht mehr für Drogengeschäfte zur Verfügung stehe.
Rz. 9
2. Das Landgericht ist in den Fällen II.1. bis II.3. der Urteilsgründe jeweils von Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ausgegangen, hinsichtlich der Tat zu II.2. - nur in den Urteilsgründen - auch tateinheitlich mit Besitz an Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, ferner von versuchtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II.4. der Urteilsgründe.
II.
Rz. 10
Die Revision ist begründet.
Rz. 11
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256 mwN). Eigennützig handelt, wer von einem Streben nach Gewinn geleitet wird oder wer sich einen anderen persönlichen Vorteil davon verspricht, durch den er materiell oder immateriell bessergestellt wird. Hieran kann es dann fehlen, wenn der Täter Betäubungsmittel zum Einstandspreis veräußert (BGH, Beschluss vom 14. Februar 2023 - 4 StR 507/22, NStZ-RR 2023, 210 f.). Dasselbe kann auch der Fall sein, wenn es dem Handelnden nur darum geht, eine Drohung abzuwenden (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2015 - 2 StR 352/14, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 84).
Rz. 12
Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Landgericht dies übersehen hat. Es ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte die Drogen erworben hat, um sie auf Geheiß von „I. “ gegen Erstattung des Kaufpreises an „E. “ weiterzugeben. Ein weitergehendes Interesse des Angeklagten an der Durchführung der Drogengeschäfte hat das Landgericht nicht festgestellt.
Rz. 13
2. Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils. Der Senat hebt auch die getroffenen Feststellungen - insgesamt - auf (§ 353 Abs. 2 StPO).
III.
Rz. 14
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf folgendes hin:
Rz. 15
1. Das neue Tatgericht wird auch zu erwägen haben, ob der Angeklagte für den Fall, dass sich eigennütziges Handeln nicht feststellen lässt, sich der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht haben kann.
Rz. 16
2. Ferner wird es die Frage des Ausschlusses eines strafbefreienden Rücktritts des Angeklagten vom Versuch des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II.4. der Urteilsgründe genauer als bisher zu prüfen haben. Den bisherigen Urteilsgründen ist nicht abschließend zu entnehmen, warum die Durchführung des Drogenerwerbs aus der Sicht des Angeklagten endgültig gescheitert gewesen sein soll.
Rz. 17
3. Die Ausführungen zur Frage eines tateinheitlichen Mitbesitzes des Angeklagten an Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II.4. begegnen rechtlichen Bedenken. Auf die diesbezüglichen Bemerkungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 28. Juni 2023 wird Bezug genommen.
Rz. 18
4. Schließlich wird das neue Tatgericht bezüglich einer Einziehungsentscheidung zu berücksichtigen haben, dass es sich bei den Betäubungsmitteln um Tatobjekte im Sinne von § 74 Abs. 2 StGB i.V.m. § 33 Satz 1 BtMG handelt. Eine ersatzweise Einziehung ihres Wertes kommt hier nicht in Betracht. Eine Einziehungsanordnung nach § 74c Abs. 1 StGB i.V.m. § 33 Satz 1 BtMG erfordert nämlich, dass die Gegenstände dem Betroffenen gehören. Für im Inland erworbene Betäubungsmittel scheidet dies aus, da dem Eigentumserwerb § 134 BGB entgegensteht (BGH, Beschluss vom 11. April 2023 - 5 StR 537/22).
Krehl |
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Eschelbach |
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Richter am BGH Meyberg ist an der Unterschriftsleistung gehindert. |
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Krehl |
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Grube |
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Lutz |
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Fundstellen
Haufe-Index 16031226 |
NStZ-RR 2024, 21 |
StRR 2024, 28 |
StV 2024, 452 |