Leitsatz (amtlich)
a) Bei der Wahrung prozessualer Fristen darf sich, ein Anwalt für mechanische Hilfeleistung (z.B. für Botengänge und für die Anfertigung von Kopien) auch solcher Hilfskräfte bedienen, die nicht die Qualifikation besitzen, die für die selbständige Fristenberechnung und Fristenkontrolle verlangt wird.
b) Zur Frage, ob zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung ausreicht, die keine eigene Sachdarstellung, sondern nur eine Bezugnahme auf einen anwaltlichen Schriftsatz enthält.
Normenkette
ZPO §§ 233, 294
Verfahrensgang
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 14. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 11. Mai 1987 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung und das Wiedereinsetzungsgesuch der Beklagten an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Beklagten haben gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, durch das sie zur Zahlung eines Geldbetrages an die Klägerin verurteilt worden waren, Berufung eingelegt. Der Schriftsatz, mit dem diese Berufung begründet werden sollte, ging nicht innerhalb der bis zum Freitag, den 31. Oktober 1986 verlängerten Begründungsfrist, sondern erst am folgenden Montag, den 3. November 1986, beim Oberlandesgericht ein. Die Beklagten haben um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgesucht und zur Begründung behauptet: Der Begründungsschriftsatz sei bis zum späten Nachmittag des 31. Oktober 1986 geschrieben und unterzeichnet gewesen. Der Prozeßbevollmächtigte, der an diesem Tage noch einen Termin außerhalb Hamburgs wahrzunehmen hatte, habe vor seiner Abfahrt seine im Büro tätige Ehefrau angewiesen, die der Berufungsbegründung beizufügenden Fotokopien herzustellen und sodann den Schriftsatz nebst Anlagen in den Gerichtsbriefkasten einzuwerfen; er habe dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Einwurf bis spätestens 24 Uhr erfolgt sein müsse. Die Ehefrau habe zunächst andere, nicht fristgebundene Schreiben gefertigt, damit diese noch vor der Leerung um 20 Uhr in den Briefkasten der Bundespost eingeworfen werden konnten. Sodann habe sie sich der Fertigung der über 200 Fotokopien gewidmet. Der Fotokopierer sei dabei so beansprucht worden, daß in immer kürzeren Abständen Abkühlungspausen eingelegt werden mußten. Als der Prozeßbevollmächtigte gegen 23.45 Uhr vom auswärtigen Termin zurückkam, habe er festgestellt, daß seine Ehefrau noch nicht sämtliche Fotokopien hergestellt und aus diesem Grunde auch den Schriftsatz noch nicht zu Gericht gebracht hatte. In diesem Zeitpunkt sei es aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich gewesen, die Berufungsbegründung ohne Anlagen zu Gericht zu bringen.
Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten ist gemäß § 519b Abs. 2 ZPO statthaft und form- und fristgerecht eingelegt; ihr kann auch ein sachlicher Erfolg nicht versagt bleiben.
1. Das Berufungsgericht meint, es sei nicht hinreichend dargetan, „daß die Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten mit dem Fristenwesen so vertraut gewesen” sei, „daß er ihr ohne weiteres die eigenverantwortliche Herstellung der Fotokopien und Beförderung der Schriftstücke zum Gerichtsbriefkasten” habe „überlassen können”. Es ist allgemein anerkannt, daß sich ein Anwalt bei der Wahrung prozessualer Fristen grundsätzlich der Hilfe seiner Büroangestellten dienen darf, daß ihn aber ein eigenes Verschulden trifft, wenn er es bei der Organisation seines Bürobetriebs und bei der Auswahl und Überwachung der mit dem Fristenwesen betrauten Angestellten an der notwendigen Sorgfalt hat fehlen lassen. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht geprüft, ob der Prozeßbevollmächtigte bei seiner Ehefrau die Zuverlässigkeit voraussetzen konnte, die zur Erledigung der ihr übertragenen Aufgaben erforderlich war; es hat dabei jedoch einen zu strengen Maßstab angelegt. Die Frage, ob eine Bürokraft die zur Hilfeleistung beim Fristenwesen erforderliche Qualifikation besitzt, kann nicht abstrakt beantwortet werden; es kommt vielmehr jeweils auf die Art der Tätigkeit an. Die höchsten Anforderungen stellt die Berechnung der Fristen; die Rechtsprechung war früher der Ansicht, daß diese Aufgabe vom Rechtsanwalt selbst wahrgenommen werden müsse; auch nach der heutigen Auffassung darf sie nur mit dem Fristenwesen vertrauten, in langjähriger Tätigkeit erprobten Angestellten übertragen werden. Die reine Fristenkontrolle, d.h. die Eintragung, Überwachung und Löschung der prozessualen Fristen, erfordert eine etwas geringere, aber dennoch relativ hohe Qualifikation. Mit anderen Hilfeleistungen, vor allem mit Botendiensten, können auch minderqualifizierte Kräfte betraut werden. Diese müssen zwar über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet werden (BGH Beschluß vom 22. September 1977 – IV ZB 14/77 – VersR 1977, 1099). Dies ist nach der Sachdarstellung der Beklagten geschehen und wird vom Berufungsgericht nicht bezweifelt. Eine besondere Vertrautheit mit dem Fristenwesen ist dagegen nicht erforderlich; es genügt vielmehr, daß der Anwalt eine gewissenhafte Ausführung des Auftrags erwarten kann. Dem Rechtsanwalt wird deshalb im allgemeinen nur dann ein Schuldvorwurf zu machen sein, wenn er mit der Ausführung eine Kraft beauftragt, die entweder infolge ihres jugendlichen Alters noch nicht die erforderliche charakterliche Reife besitzt, die noch nicht erprobt ist oder die sich in der Vergangenheit als unzuverlässig erwiesen hat (Senatsbeschluß vom 13. Februar 1985 – IVa ZB 15/84 – VersR 85, 455). Die erste der drei Möglichkeiten scheidet hier aus. Es ist auch hinreichend glaubhaft gemacht, daß die Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten seit 10 Jahren in dessen Büro tätig ist; ihr Ehemann konnte sich also in dieser Zeit ein Bild von ihrer geschäftlichen Zuverlässigkeit bilden. Im Wiedereinsetzungsgesuch fehlt zwar die ausdrückliche Behauptung, daß ihr in der Vergangenheit keine ähnlichen Fehler unterlaufen seien; jedoch wird auf Seite 3 – Bl. 321 d.A. – bemerkt, daß die Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten bisher die ihr erteilten Aufträge, fristgebundene Schriftsätze noch am gleichen Tag einzuwerfen, stets ordnungsgemäß ausgeführt habe. Wenn in dieser Hinsicht noch Zweifel bestehen, müßte den Beklagten eine zusätzliche Glaubhaftmachung aufgegeben werden.
2. Das Berufungsgericht meint weiterhin, daß die Sachdarstellung im Wiedereinsetzungsgesuch verschiedene Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten aufweise, so daß sie insgesamt nicht als glaubhaft angesehen werden könne. Auch dem kann sich der Senat nicht anschließen.
a) Eine Ungereimtheit sieht das Berufungsgericht darin, daß der Anwalt der Beklagten in seinem Wiedereinsetzungsgesuch von einer halbtägigen Verspätung der Einreichung gesprochen hatte, obwohl tatsächlich zwischen Fristablauf und Einreichen des Schriftsatzes ein Zeitraum von ungefähr 160 Stunden lag. Dies erklärt sich jedoch daraus, daß der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten im Hinblick auf § 193 BGB Samstag und Sonntag nicht mitgerechnet hat. Ob das juristisch korrekt war, kann dahingestellt bleiben; auf jeden Fall kann ausgeschlossen werden, daß er mit dieser Bemerkung das Gericht über den Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes täuschen wollte, was im übrigen auch ein aussichtsloses Unterfangen gewesen wäre. Irgendwelche Schlüsse auf die Glaubwürdigkeit der Sachdarstellung des Klägers können daher aus ihr nicht gezogen werden.
b) Die Entscheidung der Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten, zunächst diejenigen Schreiben fertigzustellen, die sie bis 20 Uhr in den Postbriefkasten einwerfen wollte und sich erst dann an die Arbeit für die bis 24 Uhr in den Gerichtsbriefkasten einzuwerfende Berufungsbegründung zu machen, mag zwar sachwidrig gewesen sein; solche Fehlentscheidungen kommen jedoch vor. Es besteht deshalb kein Grund, wegen dieser Behauptung die Sachdarstellung im Wiedereinsetzungsgesuch und in den ergänzenden Schriftsätzen allgemein als unglaubwürdig anzusehen.
c) Das Berufungsgericht äußert Zweifel an der Behauptung im Wiedereinsetzungsgesuch, es sei mit dem Fotokopiergerät des Büros nicht möglich gewesen, die benötigten ca. 200 Ablichtungen fristgerecht herzustellen. Es übersieht dabei, daß diese Zweifel nicht gegen, sondern für die Wiedereinsetzung sprechen. Wenn es möglich gewesen sein sollte, die erforderlichen Ablichtungen rechtzeitig herzustellen, dann kann dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten nicht der Vorwurf gemacht werden, er hätte das Versagen des Apparats voraussehen müssen; daß dennoch die Ablichtungen nicht rechtzeitig vorlagen, wäre dann allein auf das Verschulden der Ehefrau zurückzuführen, also auf das Verschulden einer Bürokraft, für das die Partei nicht einzustehen braucht.
Dem Beklagten kann daher die begehrte Wiedereinsetzung nicht mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses verweigert werden,
3. Dennoch kann der Senat noch nicht abschließend über das Wiedereinsetzungsgesuch entscheiden.
a) Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat die in dem Wiedereinsetzungsgesuch enthaltenen tatsächlichen Angaben durch eine eigene eidesstattliche Versicherung und eine solche seiner Ehefrau glaubhaft zu machen versucht. Beide enthalten keine eigene Sachdarstellung, sondern nehmen – entsprechend einer heute weit verbreiteten Unsitte – auf die Angaben im Wiedereinsetzungsgesuch Bezug. Gegen die Verwertung solcher eidesstattlichen Versicherungen bestehen Bedenken. Sie können sich nur auf die in der Antragsschrift enthaltenen tatsächlichen Angaben, nicht aber auf deren Würdigung und rechtliche Beurteilung beziehen. Die Grenze zwischen Tatsachenbehauptungen und rechtlicher Argumentation ist aber gerade bei Wiedereinsetzungsgesuchen oft fließend; es können daher sowohl bei dem Unterzeichner der eidesstattlichen Versicherung als auch beim Gericht leicht Zweifel darüber entstehen, inwieweit die Ausführungen im Wiedereinsetzungsgesuch durch die eidesstattliche Versicherung gedeckt werden. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß der Prozeßbevollmächtigte die Richtigkeit der Angaben im Wiedereinsetzungsgesuch nur insoweit bestätigt hat, als diese seine eigenen Tätigkeiten betreffen; die eidesstattliche Versicherung der Ehefrau bezieht sich nur auf die „Angaben betreffend die weitere Abwicklung und Einreichung der Berufungsbegründungsschrift”. Namentlich die letztere Formulierung ist sehr unpräzise und erhöht die Unklarheit die durch das Fehlen einer eigenen Sachdarstellung in den eidesstattlichen Versicherungen hervorgerufen wird.
Der Senat hat aus diesem Grunde schon in anderen Sachen darauf bestanden, daß eidesstattliche Versicherungen mit eigener Sachdarstellung vorgelegt werden. Auch im vorliegenden Fall wird dies erforderlich sein. Erst wenn die neuen eidesstattlichen Versicherungen vorliegen, wird sich abschließend beurteilen lassen, ob die Sachdarstellung im Wiedereinsetzungsgesuch hinreichend glaubhaft gemacht worden ist.
b) Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten ist nach seiner Sachdarstellung am Freitag um 23.45 Uhr in sein Büro zurückgekehrt. Wenn in diesem Zeitpunkt für ihn, noch eine Aussicht bestand, das Gerichtsgebäude vor 24 Uhr zu erreichen, mußte er den Versuch unternehmen, die Berufungsbegründungsschrift (ohne Anlagen) mit dem Kraftwagen zum Gericht zu bringen. Sollte es dagegen ausgeschlossen gewesen sein, daß er das Gerichtsgebäude vor 24 Uhr erreichen konnte, dann wird ihm auch daraus kein Vorwurf gemacht werden können, daß er die Berufungsbegründungsschrift weder in der laufenden Nacht noch an den beiden folgenden Tagen in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen hat oder hat einwerfen lassen. An der Versäumung der Begründungsfrist konnte ein Einwurf nach 24 Uhr nichts mehr ändern; zur Nachholung der Prozeßhandlung hatte er nach § 236 Abs. 2, Satz 2 ZPO aber eine Frist von 2 Wochen (§ 234 ZPO).
c) Die Entscheidung der Frage, ob der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten das Gerichtsgebäude innerhalb einer Viertelstunde erreichen konnte, hängt von der örtlichen Lage des Gerichtsgebäudes und der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten, von den bestehenden Straßenverbindungen und von den auf ihnen gegen Mitternacht herrschenden Verkehrsbedingungen ab. Dies kann das mit den örtlichen Verhältnissen vertraute Berufungsgericht besser beurteilen als der Bundesgerichtshof. Der Senat hält es daher für zweckmäßig, von der Vorschrift des § 575 ZPO Gebrauch zu machen und die abschließende Entscheidung dem Oberlandesgericht zu übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 609542 |
NJW 1988, 2045 |