Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 10.03.2020; Aktenzeichen 501 Js 186/19 2 KLs 15/19) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10. März 2020 mit den zugehörigen Feststellungen im Maßregelausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls, Sachbeschädigung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand. Weder die Beurteilung der verminderten Schuldfähigkeit noch die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 63 StGB halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 3
a) Das Landgericht hat seine Bewertung, der Angeklagte habe die Anlasstaten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB begangen, nicht tragfähig begründet. Die Ausführungen in der Beweiswürdigung sind lückenhaft und lassen eine revisionsrechtliche Prüfung nicht zu.
Rz. 4
aa) Schließt sich der Tatrichter bei Beurteilung der Schuldfähigkeit – wie hier – den Ausführungen des Sachverständigen an, müssen dessen wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 30. März 2017 – 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165; Beschlüsse vom 19. Januar 2017 – 4 StR 595/16; vom 22. Mai 2019 – 4 StR 140/19 Rn. 10).
Rz. 5
bb) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
Rz. 6
Das Landgericht hat sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe der Diagnose des Sachverständigen beschränkt, dass der Angeklagte an einer schizotypen Störung oder einer paranoiden Schizophrenie oder einer drogeninduzierten Psychose leide, wobei die erste Variante am wahrscheinlichsten sei. Den Urteilsausführungen zur schizotypen Störung, nach der sich die Erkrankung anhand der „Vorgeschichte und der Befundberichte” sicher herleiten lasse und der Angeklagte über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren einen „unangepassten und gestörten Affekt”, ein „seltsames, exzentrisches und eigentümliches Verhalten”, „sonderbare Ansichten”, ein „ausgeprägtes Misstrauen und auch paranoide Vorstellungen” sowie „Störungen im Denken” gezeigt habe, lässt sich eine Tatsachengrundlage für die sachverständige Einschätzung nicht entnehmen. Das Landgericht hat die tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen für diese Wertungen nicht mitgeteilt. Es hat weder die Krankheitsentwicklung des Angeklagten noch die Befundberichte näher konkretisiert. Auch für die Ausprägung des Krankheitsbildes fehlt jeglicher tatsachengestützter Beleg. Das Landgericht hat insbesondere nicht nachvollziehbar dargelegt, worauf es seine für die Unterbringungsanordnung maßgebliche Feststellung gestützt hat, der Angeklagte leide an einer die Steuerungsfähigkeit einschränkenden „psychosebedingten Impulskontrollstörung”. Die mitgeteilten Ausschnitte aus Befunden und Äußerungen des Angeklagten im Rahmen seiner Exploration beziehen sich im Wesentlichen auf paranoide Vorstellungen und vermögen die Annahme einer Impulskontrollstörung nicht zu belegen.
Rz. 7
b) Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 8
aa) Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 4 StR 175/20 mwN). Wenn das Tatgericht die Gefährlichkeitsprognose auf frühere Taten stützt, müssen die im Urteil dazu getroffenen Feststellungen belegen, dass diese Taten ebenfalls auf der Erkrankung des Täters beruhen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 2019 – 4 StR 24/19, NStZ-RR 2020, 9; vom 10. Mai 2016 – 4 StR 185/16, StV 2016, 719, 720; jeweils mwN).
Rz. 9
bb) Dies ist nicht der Fall. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Gefährlichkeitsprognose neben der psychiatrischen Ausgangssituation, der ungünstigen Behandlungsprognose und den Anlasstaten maßgeblich auf die „deutlich gewaltassoziierten Eintragungen im Bundeszentralregisterauszug” und die „bisherige Deliktsentwicklung” verwiesen. Zwar hat das Landgericht in dem angefochtenen Urteil die strafrechtlichen Vorbelastungen des Angeklagten und teilweise die dazu getroffenen Feststellungen mitgeteilt. Aus diesen ergibt sich aber nicht, dass die Vortaten auf der Erkrankung des Beschuldigten beruhen, so dass deren Prognoserelevanz nicht beurteilt werden kann. Das Landgericht hat die Annahme, dass die – bereits für sich genommen nicht tragfähig belegte – schizotype Störung wahrscheinlich auch mitursächlich für die Vortaten gewesen sei, nicht mit Tatsachen unterlegt.
Rz. 10
2. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Senat kann auf Grundlage der getroffenen Feststellungen auch ausschließen, dass dieser bei Begehung der Taten schuldunfähig war.
Rz. 11
3. Auch der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Obwohl der neue Tatrichter die Schuldfähigkeitsfrage auf der Grundlage eigener Feststellungen neu zu bewerten hat, nötigt dies nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Denn der Angeklagte ist durch die Annahme verminderter Schuldfähigkeit und die vom Landgericht vorgenommene Strafmilderung nach § 21 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB nicht beschwert (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2020 – 4 StR 390/20 Rn. 33, StV 2021, 226).
Rz. 12
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 13
Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 63 Satz 1 StGB, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, etwa die Bedrohung (§ 241 StGB) oder die Sachbeschädigung (§ 303 StGB), sind daher nicht ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen, soweit sie nicht mit aggressiven Übergriffen einhergehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14 Rn. 19; vom 23. Mai 2018 – 2 StR 121/18 Rn. 13, NStZ-RR 2018, 304; BVerfG, Beschlüsse vom 22. August 2017 – 2 BvR 2039/16 Rn. 44; vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12 Rn. 21; jeweils mwN).
Unterschriften
Sost-Scheible, Bender, Bartel, Sturm, Rommel
Fundstellen
Dokument-Index HI14473113 |