Leitsatz (amtlich)
Die Zulässigkeit eines Einspruchs, mit dem der Widerruf eines mehrere Nebenansprüche umfassenden Patents begehrt wird, erfordert nicht, daß der Einsprechende Widerrufsgründe gegen sämtliche Nebenansprüche vorträgt. Vielmehr kann der Einsprechende bei mehreren Nebenansprüchen die Patentfähigkeit nur eines Nebenanspruchs angreifen.
Normenkette
PatG § 59 Abs. 1 Sätze 2, 4
Verfahrensgang
BPatG (Beschluss vom 27.11.2001) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Einsprechenden wird der Beschluß des 8. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 27. November 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
I. Das Verfahren betrifft das deutsche Patent 34 36 190 mit der Bezeichnung „Einrichtung zur elektronischen Steuerung eines automatischen Fahrzeuggetriebes” mit elf Patentansprüchen, darunter vier Nebenansprüche. Gegen das Patent, dessen Erteilung am 22. Juni 1995 veröffentlicht wurde, hat die Einsprechende mit am 22. September 1995 eingegangenem Schriftsatz Einspruch erhoben und beantragt, das Patent wegen mangelnder Neuheit oder jedenfalls mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach § 21 PatG zu widerrufen. In der Begründung hat sie angegeben, aus der Druckschrift „D1” sei eine Einrichtung mit den Merkmalen des Oberbegriffs von Anspruch 1 des Streitpatents bekannt. Aus ihr seien darüber hinaus für den Fachmann zumindest auch Anregungen zum Auffinden der Lösung nach dem Anspruch 1 entnehmbar, so daß der Gegenstand von Anspruch 1 des strittigen Patents auf jeden Fall keinerlei erfinderischer Tätigkeit bedurft habe. Auch die übrigen Ansprüche, insbesondere die Ansprüche 2 und 3, seien im Hinblick auf die Offenbarung der Druckschrift „D1” nicht neu und ließen keinen erfinderischen Gehalt erkennen.
Das Deutsche Patent- und Markenamt hat den Einspruch als zulässig, aber nicht begründet angesehen und das Patent mit Beschluß vom 26. Februar 1999 aufrechterhalten. Das Bundespatentgericht hat den Beschluß aufgehoben und unter Zurückweisung der Beschwerde den Einspruch als unzulässig verworfen. Das Einspruchsvorbringen enthalte keine hinreichend substantiierten Angaben zu dem Nebenanspruch 4 des angegriffenen Patents, so daß der Einspruch insgesamt unzulässig sei. Dagegen richtet sich die – zugelassene – Rechtsbeschwerde der Einsprechenden, mit der sie ihren Einspruch weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
II. Das aufgrund der Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Bundespatentgericht statthafte, zulässig eingelegte Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Mit Recht hat das Bundespatentgericht die vom Deutschen Patent- und Markenamt bejahte Zulässigkeit des Einspruchs eigener Prüfung unterzogen. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist von Amts wegen in jedem Stadium des Verfahrens und damit auch im Beschwerdeverfahren zu prüfen. Hält das Beschwerdegericht den Einspruch für unzulässig, darf eine sachliche Entscheidung nicht ergehen; vielmehr muß der Beschluß zum Ausdruck bringen, daß der Einspruch wegen Unzulässigkeit keinen Erfolg hat (Sen.Beschl. v. 29.4.1997 – X ZB 13/96, GRUR 1997, 740 – Tabakdose, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung.
2. Ohne Rechtsfehler ist das Bundespatentgericht ferner davon ausgegangen, daß die zwischen den Beteiligten streitige Frage, welche Anforderungen an die Darlegung von Einspruchsgründen bei einem Einspruch gegen mehrere Ansprüche eines Patents zu stellen sind, zunächst die Zulässigkeit des Einspruchs betrifft. Nach § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG gehört das Erfordernis, die Tatsachen im einzelnen anzugeben, die den Einspruch rechtfertigen, zu den förmlichen Voraussetzungen eines Einspruchs (BGHZ 93, 171, 174 – Sicherheitsvorrichtung).
3. Mit ihrem Rechtsmittel rügt die Einsprechende, das Bundespatentgericht habe zu Unrecht angenommen, der Einspruch sei hinsichtlich Patentanspruch 4 – selbst bei nur isolierter Betrachtung – nicht ausreichend begründet worden. Alles das, was die Einsprechende gegen die Neuheit und eine ausreichende erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 vorgebracht habe, gelte unmittelbar auch für den Gegenstand des Anspruchs 4, der im kennzeichnenden Teil nur geringfügig von Anspruch 1 abweiche. Hiervon abgesehen, sei der Einspruch auch dann zulässig, wenn mit der Begründung nur die Ansprüche 1 bis 3 hinreichend substantiiert angegriffen seien.
Die Rüge hat Erfolg.
a) Eine Einspruchsbegründung genügt der formalen gesetzlichen Anforderung, wenn sie die für die Beurteilung der behaupteten Widerrufsgründe maßgeblichen Umstände im einzelnen so darlegt, daß der Patentinhaber und insbesondere das Deutsche Patent- und Markenamt daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können (Sen.Beschl. v. 30.3.1993 – X ZB 13/90, GRUR 1993, 651, 653 – Tetraploide Kamille, m.w.N.). Der Vortrag des Einsprechenden muß erkennen lassen, daß ein bestimmter Tatbestand behauptet werden soll, der auf seine Richtigkeit nachgeprüft werden kann. Da der Einspruch nur auf die Behauptung gestützt werden kann, einer oder mehrere der in § 21 PatG genannten Widerrufsgründe liege vor (§ 59 Abs. 1 Satz 3 PatG), muß die überprüfbare Tatsachenangabe sich außerdem auf den geltend gemachten Widerrufsgrund beziehen (BGHZ 100, 243, 246 – Streichgarn; Sen.Beschl. v. 29.4.1997 – X ZB 13/96, GRUR 1997, 740 – Tabakdose). Beruft sich der Einsprechende auf fehlende Patentfähigkeit des patentierten Gegenstandes infolge fehlender Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit, sind Angaben zum Stand der Technik und dazu erforderlich, ob und gegebenenfalls inwieweit dieser den patentgemäßen Gegenstand vorwegnimmt oder nahelegt, damit die Voraussetzungen der §§ 3 Abs. 1 und 4 PatG überprüft werden können.
b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts folgt hieraus jedoch nicht, daß der Einsprechende bei mehreren angefochtenen Ansprüchen zu jedem einzelnen Widerrufsgründe substantiiert vortragen muß, die nach seiner Einschätzung geeignet sind, die Schutzfähigkeit des jeweiligen Anspruchs in Zweifel zu ziehen. Nach § 59 Abs. 1 Satz 3 und 4 PatG setzt die Zulässigkeit eines Einspruchs lediglich die Behauptung voraus, daß einer der in § 21 PatG genannten Widerrufsgründe vorliegt und daß entsprechende Tatsachen vorgetragen werden. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist nicht Voraussetzung der Zulässigkeit, daß der Einsprechende Widerrufsgründe gegen sämtliche Haupt- und Nebenansprüche eines Patents geltend macht. Bereits die substantiierte Darlegung von Umständen, die einen Widerrufsgrund für einen Teil des erteilten Patents stützen, rechtfertigt den (Teil-)Widerruf nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG. Dem Einsprechenden bleibt es deshalb unbenommen, von mehreren Widerrufsgründen nur einen geltend zu machen oder bei mehreren Nebenansprüchen die Patentfähigkeit nur eines Anspruchs anzugreifen. Durch diese Beschränkung des Einsprechenden wird das Patentamt nicht gebunden (§ 61 Abs. 1 Satz 1 PatG). Das durch den fristgerechten Einspruch eröffnete Verfahren ist ein einheitliches Verfahren, in dem unter Berücksichtigung sämtlicher Einsprüche und sämtlicher Widerrufsgründe einheitlich über die Aufrechterhaltung des Patents zu entscheiden ist. Ebenso wie das Verfahren nicht auf das rechtzeitige Einspruchsvorbringen des einzelnen Einsprechenden beschränkt werden kann, ist der Einsprechende auch nicht gezwungen, alle Hauptansprüche gleichermaßen anzugreifen, auch wenn er sich hiervon keinen Erfolg verspricht. Das Patentamt ist nicht an Anträge des Einsprechenden gebunden (vgl. Sen.Beschl. v. 14.2.1989 – X ZB 8/87, GRUR 1989, 494 – Schrägliegeeinrichtung).
c) Auch die weiteren Überlegungen des Bundespatentgerichts, bei einem substantiierten Tatsachenvortrag hinsichtlich nur einiger, aber nicht aller Ansprüche fehle dem Einspruch die erforderliche umfassende Auseinandersetzung mit dem erteilten Patent, verfangen nicht. Mit den Teilen des Patents, bei denen nach Meinung des Einsprechenden oder tatsächlich keine einspruchsbegründenden Tatsachen vorliegen, braucht sich der Einspruch, soweit sie nicht für die angegriffenen Teile von Bedeutung sind, nicht zu befassen. Das Gebot, daß das Vorbringen des Einsprechenden sich mit dem Patent, wie es erteilt ist, auseinanderzusetzen hat (BGHZ 102, 53 – Alkyldiarylphosphin), wird dadurch nicht in Frage gestellt. Nicht anders ist auch die Entscheidung des Senats vom 10. Februar 1987 (X ZR 28/86, GRUR 1988, 346, 366 – Epoxidations-Verfahren) zu verstehen. Vor allem kann ihr nicht entnommen werden, daß die Einspruchsbegründung sich auch gegen solche (selbständigen) Teile des Patents wenden muß, hinsichtlich derer substantiierte Einwendungen nicht vorgebracht werden können oder sollen (vgl. EPA ABl. 1997, S. 447 ff.; EPA Sonderausgabe zum ABl. 1998, S. 100 f.).
d) Nach diesen Grundsätzen ist der Einspruch vom 21. September 1995, mit dem die Einsprechende beantragt hat, das angegriffene Patent nach § 21 PatG zu widerrufen, zulässig, und zwar unabhängig davon, ob sich die geltendgemachten Widerrufsgründe nur auf die Ansprüche 1 bis 3 oder auch auf Anspruch 4 beziehen. Es kann dahinstehen, ob entsprechend der Auffassung der Einsprechenden der Gesamtzusammenhang der Einspruchsschrift erkennen läßt, daß sich die gegen die Neuheit und erfinderische Tätigkeit der Ansprüche 1 bis 3 vorgetragenen Gründe in gleicher Weise auch gegen Anspruch 4 richten. Der vom Bundespatentgericht festgestellte Vortrag der Einsprechenden ermöglicht Patentamt und Patentinhaberin die Überprüfung der geltend gemachten Widerrufsgründe. Die Einsprechende hat sich zur Begründung ihres Einspruchs insbesondere auf die Druckschrift „D1” gestützt. Auf Seite 2 der Einspruchsschrift ist jeweils unter Verweisung auf den Inhalt dieser Druckschrift im einzelnen ausgeführt, warum der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu sei und es jedenfalls keiner erfinderischen Tätigkeit bedurft habe, um von der Druckschrift D1 zu ihm zu gelangen. Nach weiteren Ausführungen zu den „Unteransprüchen” 2 und 3 heißt es abschließend auf Seite 3 der Einspruchsschrift: „Schließlich sind auch die Merkmale der weiteren Unteransprüche ganz überwiegend schon aus der Druckschrift D1 bekannt.”
4. Von einer mündlichen Verhandlung hat der Senat gemäß § 107 Abs. 1 PatG abgesehen.
Unterschriften
Melullis, Jestaedt, Scharen, Mühlens, Meier-Beck
Fundstellen
Haufe-Index 936537 |
BGHR 2003, 1109 |
GRUR 2003, 695 |
Nachschlagewerk BGH |
BPatGE 2003, 278 |
Mitt. 2004, 18 |