Entscheidungsstichwort (Thema)
Nicht gewährte Prozesskostenhilfe bei unzuständigem LG. Abgabe Prozesskostenhilfeverfahren an AG bei teilweisen Erfolgsaussichten
Leitsatz (amtlich)
Dem Antragsteller, der die Erhebung einer Klage beim LG beabsichtigt, kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, wenn das LG für die streitige Entscheidung sachlich nicht zuständig ist. Sind die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage nur für eine Teilforderung zu bejahen, für deren Geltendmachung die sachliche Zuständigkeit des AG begründet ist, hat das LG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe insgesamt zu verweigern, sofern nicht die Klage in einem die sachliche Zuständigkeit des LG begründenden Umfang (wegen des Restbetrages auf eigene Kosten des Antragstellers) erhoben werden soll (bzw. bereits erhoben ist). Zunächst ist stets zu prüfen, ob eine Abgabe des Prozesskostenhilfeverfahrens an das AG in Betracht kommt.
Normenkette
ZPO §§ 114, 117
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Beschluss vom 09.01.2004; Aktenzeichen 6 W 92/03) |
LG Mannheim |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des OLG Karlsruhe v. 9.1.2004 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Rechtsbeschwerdeführerin stellte in einem an das AG gerichteten Schriftsatz den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine auf Zahlung von Schmerzensgeld, Feststellung und Widerruf einer im Internet verbreiteten Äußerung gerichteten Klage. Der Schmerzensgeldantrag war nicht beziffert. Vorgerichtlich hatte die Antragstellerin von dem Antragsgegner Zahlung eines Schmerzensgeldes von 25.000 EUR gefordert. Der Amtsrichter bat um Erläuterung dieses Betrages und um Mitteilung, ob Verweisung an das LG beantragt werde. Die Antragstellerin bat daraufhin um Verweisung. Der Beklagte erklärte sich mit der Verweisung einverstanden. Das AG erklärte sich daraufhin für unzuständig und verwies die Sache an das LG. Der Antragsgegner teilte mit, sich im Prozesskostenhilfeverfahren nicht äußern zu wollen. Das LG erteilte der Antragstellerin verschiedene Hinweise zur Schlüssigkeit des Klagevortrags. Nach seiner Ansicht kam ein Schmerzensgeld i.H.v. ca. 500 EUR in Betracht; die weiter gehende Klage hielt es für unbegründet. Es wies darauf hin, für den begründeten Teil der Klage sei das LG nicht zuständig, so dass Prozesskostenhilfe insgesamt verweigert werden müsse; die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses beziehe sich nicht auf das Hauptsacheverfahren. Zugleich regte das LG den Abschluss eines Vergleichs an. Die Antragstellerin nahm zu den Hinweisen Stellung, u.a. dahin, ein Schmerzensgeld von 500 EUR sei nach der Sachlage unangemessen, der Antragsgegner habe geäußert, er sei bereit, 2.500 EUR zu zahlen. Alsdann wies das LG den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurück. Zur Begründung führte es aus, die beabsichtigte Klage könne allenfalls wegen des begehrten Schmerzensgeldes Erfolg haben, welches jedoch nur erheblich unter 5.000 EUR liegen könne; für eine solche Klage sei das LG nicht zuständig, so dass die Prozesskostenhilfe insgesamt zu verweigern sei. Der Antragstellerin sei es unbenommen, beim LG Schmerzensgeld i.H.v. 25.000 EUR einzuklagen; doch erhalte sie dafür keine Prozesskostenhilfe. Sie könne andererseits beim AG Prozesskostenhilfe für eine Schmerzensgeldklage in geringerer Höhe beantragen.
Der dagegen erhobenen Beschwerde hat das LG nicht abgeholfen. Das OLG hat sie zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte, aber im Hinblick auf das Begründungserfordernis des § 575 Abs. 2 und 3 ZPO erheblichen Bedenken unterliegende Rechtsmittel ist jedenfalls unbegründet.
1. Unter den Umständen des Falles ist das LG hinsichtlich des Prozesskostenhilfeverfahrens - nicht indes hinsichtlich des Hauptsacheverfahrens - an den Verweisungsbeschluss gebunden (vgl. BGH, Beschl. v. 18.4.1991 - I ARZ 748/90, MDR 1992, 190 = NJW-RR 1992, 59 f.; v. 9.3.1994 - XII ARZ 2/94; v. 9.3.1994 - XII ARZ 8/94, NJW-RR 1994, 706; BAG v. 27.10.1992 - 5 AS 5/92, NJW 1993, 751 f.; Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 114 Rz. 22a; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 281 Rz. 2, 16b). Es hat, wie das Beschwerdegericht zutreffend annimmt, zu prüfen, ob Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, weil eine bei dem LG erhobene Klage ganz oder teilweise hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO). Zur Prüfung der Erfolgsaussicht gehört auch die Prüfung, ob das angerufene Gericht zuständig, die Klage also zulässig ist (vgl. Wax in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 114 Rz. 98; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 114 Rz. 24). Ist dies nicht der Fall, ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (insgesamt) zu verweigern; denn eine unzulässige Klage bietet ersichtlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
2. Insoweit ist allerdings zwischen unterschiedlichen Fallgestaltungen zu differenzieren.
a) Ist die Klage von dem Antragsteller mit einem die Zuständigkeit der LG begründenden Wert bereits erhoben, so steht die Zuständigkeit des LG nicht in Frage (vgl. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG). Die beantragte Prozesskostenhilfe ist dann insoweit zu bewilligen, wie das LG die Klage als aussichtsreich beurteilt (vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 117 Rz. 10; Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 114 Rz. 23).
b) Ist nach einem - wie im vorliegenden Fall erfolgten - Hinweis des Gerichts an den Antragsteller auf die beabsichtigte Verweigerung der Prozesskostenhilfe dessen Stellungnahme ein Hinweis darauf zu entnehmen, dass der vom Gericht nicht als Erfolg versprechend angesehene Teil der Klage auf eigene Kosten durchgeführt werden soll, es also letztlich bei der Zuständigkeit des LG verbleiben wird, ist unter Umständen ebenso zu verfahren (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 14.5.1999 - 11 W 13/99, OLGReport Köln 1999, 336). Dabei kann hier dahinstehen, ob das LG abwarten darf, ob die Klage wie angekündigt tatsächlich erhoben wird, und welche Maßnahmen möglich sind, wenn die Prozesskostenhilfe teilweise bewilligt, die Klage aber ankündungswidrig nicht in einem die Zuständigkeit des LG begründenden Umfang erhoben wird (vgl. § 124 Nr. 1 ZPO).
c) Stets zu prüfen ist, ob der Antragsteller in Anbetracht der Rechtsauffassung des Gerichts eine Verweisung des Prozesskostenhilfeverfahrens entsprechend § 281 ZPO an das zuständige Gericht beantragen will (vgl. etwa OLG Köln, Beschl. v. 14.5.1999 - 11 W 13/99, OLGReport Köln 1999, 336). Dies dürfte allerdings in Fällen der vorliegenden Art nicht in Betracht kommen, weil das AG dieses Verfahren bereits mit bindender Wirkung an das LG verwiesen hat.
d) Fehlen - wie im vorliegenden Fall - Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Klage ungeachtet der Rechtsauffassung des LG in einem für dessen Zuständigkeit ausreichenden Umfang auf eigene Kosten betreiben wird, und ist eine Verweisung des Prozesskostenhilfeverfahrens an das AG nicht beantragt oder nicht möglich, ist die Prozesskostenhilfe insgesamt zu verweigern. Diese Folge ist wegen der Unzulässigkeit einer beim LG erhobenen Klage und der sich daraus ergebenden Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung zwingend. Sie wird auch überwiegend bejaht (vgl. OLG Brandenburg v. 23.3.2001 - 1 W 7/01, OLGReport Brandenburg 2001, 335 = MDR 2001, 769; OLG Frankfurt v. 22.9.1994 - 24 W 41/94, OLGReport Frankfurt 1994, 234 = NJW-RR 1995, 899; OLG Hamm v. 21.3.1995 - 6 W 3/95, OLGReport Hamm 1995, 204 = MDR 1995, 1065 f.; OLG Köln, Beschl. v. 14.5.1999 - 11 W 13/99, OLGReport Köln 1999, 336; v. 6.5.1998 - 13 W 52/97, OLGReport Köln 1998, 389 = VersR 1999, 115 [117]; OLG Saarbrücken v. 26.6.1989 - 2 W 18/89, NJW-RR 1990, 575; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 62. Aufl., § 114 Rz. 105; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 117 Rz. 8, unklar Rz. 10; Thomas/Putzo/Reichold, 25. Aufl., § 114 Rz. 3; Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 114 Rz. 23).
Die von der abweichenden Auffassung (vgl. OLG Dresden v. 22.2.1994 - 5 W 403/93, MDR 1995, 202 = NJW-RR 1995, 382 [383]) dagegen vorgebrachten Einwände überzeugen nicht. Die hier vertretene Ansicht führt nicht zu einer unzumutbaren verfahrensverzögernden Zuständigkeitsspaltung. Das vorliegende Prozesskostenhilfeverfahren ist beim LG anhängig geworden, weil sich die Klägerin eines Anspruchs von 25.000 EUR berühmt hat. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Prozesskostenhilfeantrag sogleich bei dem LG gestellt oder vom AG auf Antrag der Klägerin im Hinblick auf die Höhe der vorgestellten Klagesumme verwiesen wurde. Gelangt das LG in einem solchen Fall zu dem Ergebnis, dass eine seine Zuständigkeit begründende Klageforderung nicht besteht, so verbleibt dem Antragsteller die Möglichkeit, gleichwohl in der vorgestellten Höhe (zum Teil auf eigene Kosten) Klage zu erheben oder beim AG einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine reduzierte Klageforderung zu stellen. Es ist keinerlei Grund oder gar Bedürfnis dafür erkennbar, dass ein erstinstanzliches unzuständiges LG verbindlich positiv über den Umfang der Prozesskostenhilfebewilligung für einen erstinstanzlich beim AG durchzuführenden Rechtsstreit entscheidet. Dies widerspricht auch dem jetzt in das Gesetz (§ 127 Abs. 2 S. 2 ZPO) aufgenommenen Grundsatz, dass die sachlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfebewilligung nur von solchen Gerichten zu prüfen sind, an die die Sache im Rechtszug der Hauptsache gelangen kann (vgl. dazu Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 114, § 127 Rz. 47).
3. Gegen die Ausführungen des Beschwerdegerichts zum Zuständigkeitsstreitwert bringt die Antragstellerin keine im Rechtsbeschwerdeverfahren durchgreifenden Einwände vor (vgl. auch BGH, Beschl. v. 21.11.2002 - V ZB 40/02, MDR 2003, 477 = BGHReport 2003, 407 = NJW 2003, 1126 f.).
Fundstellen
BGHR 2004, 1581 |
NJW-RR 2004, 1437 |
JurBüro 2005, 54 |
DAR 2004, 584 |
MDR 2004, 1435 |
VersR 2005, 245 |
ProzRB 2005, 34 |