Tenor
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Naumburg zurückgegeben.
Tatbestand
I.
1. Die Zentrale Bußgeldstelle Magdeburg hat gegen den Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsüberschreitung) eine Geldbuße in Höhe von 300.– DM festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Den dagegen form- und fristgerecht eingelegten Einspruch hat das Amtsgericht gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene in der Hauptverhandlung ohne Entschuldigung ausgeblieben sei. Dieser Entscheidung liegt folgender Verfahrensgang zugrunde: Der Betroffene erschien trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zum Hauptverhandlungstermin. Seine – insoweit bevollmächtigte – Verteidigerin beantragte daraufhin, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden und erklärte für ihn zu Protokoll, daß die Fahrereigenschaft nicht bestritten und er sich im übrigen zur Sache nicht einlassen werde. Das Amtsgericht wies den Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen zurück, weil dieser – entgegen § 73 Abs. 2 OWiG – nicht vor, sondern erst in der Hauptverhandlung nach dem Aufruf der Sache gestellt worden sei.
Gegen das Urteil hat der Betroffene form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er u.a. rügt, der Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen sei zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen worden.
2. Das Oberlandesgericht Naumburg beabsichtigt, das Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Es vertritt die Ansicht, daß nicht nur der Entbindungsantrag noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden konnte, sondern daß die Verteidigerin als Vertreterin des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin auch Erklärungen im Sinne des § 73 Abs. 2 OWiG abgeben durfte.
An der Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils sieht sich das Oberlandesgericht durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Köln vom 15. April 1999 – Ss 144/99 (Z) – (NZV 1999, 436 = VRS 97, 187) gehindert. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Köln kann ein vertretungsberechtigter Verteidiger in der Hauptverhandlung die in § 73 Abs. 2 OWiG als Voraussetzung für eine Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung geforderten Erklärungen des Betroffenen nicht nachholen.
Das Oberlandesgericht Naumburg hat die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
„Kann ein vom Betroffenen zu seiner Vertretung – auch in der Hauptverhandlung – bevollmächtigter Verteidiger die in § 73 Abs. 2 OWiG als Voraussetzung für eine Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung geforderten Erklärungen auch in der Hauptverhandlung wirksam für den unentschuldigt nicht erschienenen Betroffenen abgeben?”
3. Der Generalbundesanwalt, der die Vorlegung für zulässig hält, hat beantragt zu beschließen:
„Für den unentschuldigt nicht erschienenen Betroffenen kann ein zu seiner Vertretung schriftlich bevollmächtigter Verteidiger die Erklärung nach § 73 Abs. 2 OWiG nicht mehr in der Hauptverhandlung abgeben.”
Entscheidungsgründe
II.
Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzugeben, weil die Vorlegungsvoraussetzungen nicht gegeben sind; denn der beabsichtigten Urteilsaufhebung durch das Oberlandesgericht Naumburg steht die Rechtsprechung des Oberlandesgericht Köln nicht entgegen.
1. Eine Vorlage nach § 121 Abs. 2 GVG (i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) setzt voraus, daß die vorgelegte Rechtsfrage entscheidungserheblich ist (BGHSt 43, 241, 244; Hannich in KK 4. Aufl. § 121 GVG Rdn. 37 m.w.N.). Nur wenn die Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts, mit der von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abgewichen werden soll, tragende Grundlage der eigenen Entscheidung ist, kommt eine Vorlegung in Betracht (vgl. BGHSt 3, 234, 235; 33, 61, 63). Die Vorlegung ist hingegen nicht zulässig, wenn die unterschiedlichen Rechtsauffassungen für die Entscheidung des konkreten Falles ohne Bedeutung sind (vgl. BGH VRS 59, 345, 346; Hannich aaO).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Vorlegung unzulässig.
a) Gemäß § 73 Abs. 1 OWiG ist der Betroffene im Bußgeldverfahren zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet. Das Gericht entbindet ihn jedoch auf seinen Antrag von dieser Verpflichtung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, daß er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist (§ 73 Abs. 2 OWiG). § 73 Abs. 3 OWiG bestimmt, daß sich der Betroffene durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen kann, wenn das Gericht ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden hat.
b) Das Oberlandesgericht Naumburg hält das prozessuale Vorgehen des Amtsgerichts – und damit das angegriffene Urteil – aus zwei Gründen für rechtsfehlerhaft: Zum einen deswegen, weil nach seiner Auffassung der Entbindungsantrag noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden konnte, und zum anderen, weil die (insoweit bevollmächtigte) Verteidigerin noch im Hauptverhandlungstermin Erklärungen nach § 73 Abs. 2 OWiG abgeben durfte. Die erste – in der Literatur umstrittene (vgl. Göhler, OWiG 13. Aufl. § 73 Rdn. 4 m.w.N.) – Frage hat das Oberlandesgericht Köln ausdrücklich offen gelassen (NZV 1999, 436; ebenso in VRS 95, 429, 431). Das Oberlandesgericht Naumburg ist deshalb nicht gehindert, die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils auf seine Rechtsauffassung zu stützen.
Soweit das Oberlandesgericht in der beabsichtigten Entscheidung die – ebenfalls umstrittene (vgl. [bejahend] Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG Bd. 1 [Stand: Januar 2002] § 73 Rdn. 10; [verneinend] Senge in KK-OWiG 2. Aufl. § 73 Rdn. 19 und § 74 Rdn. 20) – Rechtsmeinung vertreten will, daß die Verteidigerin noch in der Hauptverhandlung Erklärungen nach § 73 Abs. 2 OWiG abgeben durfte – wozu sich das Amtsgericht, aus seiner Sicht folgerichtig, nicht geäußert hat –, handelt es sich nicht um eine mit der Urteilsaufhebung mitzuentscheidende Rechtsfrage, für die möglicherweise eine Vorlegungspflicht bestünde (vgl. BGHSt 17, 205, 207 f.; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 121 GVG Rdn. 61 m.w.N.); denn mit der Urteilsaufhebung und der Zurückverweisung erübrigt sich eine Stellungnahme zu dieser Frage, weil inzwischen dadurch, daß durch die von der Verteidigerin für den Betroffenen in der Hauptverhandlung abgegebene Äußerung für die kommende Hauptverhandlung eine Erklärung im Sinne des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegt, eine andere Prozeßlage entstanden ist. Auf die vorgelegte Rechtsfrage kommt es daher in dem hier zu entscheidenden Fall nicht an.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2559996 |
DAR 2002, 519 |
VRS 2002, 383 |
VersR 2002, 1386 |
ZfS 2002, 549 |