Verfahrensgang
LG Bonn (Urteil vom 21.02.2018; Aktenzeichen 2 AR 223/21) |
Tenor
Für die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafen aus den Urteilen des Landgerichts Bonn vom 21. Februar 2018 – 22 KLs 31/17 – und des Amtsgerichts Brühl vom 9. Juni 2015 – 55 Ds 43/15 – nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafen ist das
Landgericht Bonn – Strafvollstreckungskammer –
zuständig.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Strafvollstreckungskammern der Landgerichte Bonn und Siegen streiten darüber, welches von ihnen für die nachträgliche Entscheidung im Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung zuständig ist.
Rz. 2
1. Das Landgericht Bonn hat gegen den Verurteilten am 21. Februar 2018 – 22 KLs 31/17 – wegen Diebstahls in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Diese wurde ab dem 30. April 2019 in der Justizvollzugsanstalt E. vollstreckt.
Rz. 3
Das Amtsgericht Brühl hatte zuvor gegen den Verurteilten am 9. Juni 2015 – 55 Ds 43/15 – wegen versuchten Diebstahls eine Freiheitsstrafe von neun Monaten verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Das Landgericht Bonn hat die Bewährung mit Beschluss vom 31. Mai 2019 widerrufen.
Rz. 4
2. Aufgrund des zum 16. September 2021 anstehenden Ablaufs von zwei Dritteln der verhängten Strafen in beiden Vollstreckungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft Bonn unter dem 15. Juni 2021 bei der Justizvollzugsanstalt E. einen Führungsbericht zur Vorbereitung einer Antragstellung nach § 57 Abs. 1 StGB angefordert. Der Bericht vom 8. Juli 2021, der eine positive Entlassungsprognose enthielt, ging allerdings erst am 2. August 2021 bei der Staatsanwaltschaft Bonn ein. Bereits am 27. Juli 2021 war der Verurteilte in die Justizvollzugsanstalt A. verlegt worden.
Rz. 5
3. Mit am 12. August 2021 der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn zugeleiteter Verfügung hat die Staatsanwaltschaft Bonn eine bedingte Reststrafenaussetzung befürwortet. Dem zwischenzeitlich gestellten Antrag des Verurteilten auf Bewährungsaussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln trat die Staatsanwaltschaft Köln – ohne Kenntnis der Stellungnahme der JVA E.– mit am 27. August 2021 beim Landgericht Siegen eingegangener Verfügung entgegen. Das Landgericht Bonn hat seine örtliche Zuständigkeit verneint und beide Vollstreckungshefte mit Verfügung vom 15. September 2021 dem Landgericht Siegen übersandt. Mit Beschluss vom 21. September 2021 hat sich das Landgericht Siegen für örtlich unzuständig erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
1. Der Bundesgerichtshof ist nach § 14 StPO als gemeinschaftliches oberstes Gericht der Landgerichte Bonn (Oberlandesgerichtsbezirk Köln) und Siegen (Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm) zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.
Rz. 7
2. Für die Entscheidung über die Reststrafenaussetzung ist gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn zuständig, da in dessen Bezirk die Justizvollzugsanstalt E. liegt, in der der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Landgericht mit der Sache befasst war, aufgenommen war. Die Verlegung des Verurteilten am 27. Juli 2021 in die Justizvollzugsanstalt A. steht dem nicht entgegen.
Rz. 8
In seiner Antragsschrift vom 6. Oktober 2021 hat der Generalbundesanwalt u.a. ausgeführt:
„Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung ist eine Strafvollstreckungskammer schon dann mit der Entscheidung über die Reststrafenaussetzung konkret befasst, wenn der von Amts wegen zu beachtende maßgebliche Zeitpunkt nach § 57 Abs. 1 StGB herannaht. Dies gilt selbst dann, wenn die Strafvollstreckungskammer bislang untätig geblieben ist (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 16. Mai 2007 – 3 Ws 476/07, NStZ-RR 2008, 29, OLG Hamm, Beschluss vom 7. Oktober 2014 – 3 (s) Sbd I – 10/14, juris Rn. 13 ff.; Appl in: KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 462a Rn. 18; Coen in: BeckOK-StPO, 40. Ed. 1. Juli 2021, § 462a Rn. 5; Nestler in: MüKo-StPO, 1. Aufl. 2019, § 462a Rn. 18, jeweils m. w. N.). Dabei steht der Annahme einer vorherigen Befassung des Gerichts insbesondere nicht entgegen, dass vor der Verlegung des Verurteilten weder ein Aussetzungsantrag eingegangen noch der gesetzliche Zeitpunkt des § 57 Abs. 1 StGB verstrichen war (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Oktober 2013 – 2 ARs 377/13, juris; OLG Hamm, a. a. O., Rn. 14, Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, vgl. Senat, Beschluss vom 3. Dezember 2004 – 2 ARs 377/04, StraFo 2005, 171).
Zwar ist bislang nicht einheitlich entschieden, wann der maßgebliche Zeitpunkt nach § 57 StGB „herannaht” (vgl. OLG Hamm, a. a. O., Rn. 15). Indes setzt das Interesse an einer sachgerechten Entlassungsvorbereitung eine so frühzeitige Entscheidung voraus, dass die Entlassung des Verurteilten bei Eintritt der Aussetzungsreife möglich ist. Bei der Bemessung der hierfür erforderlichen Vorbereitungszeit ist auch ein möglicherweise durchzuführendes Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen (vgl. OLG Frankfurt am Main, a. a. O., m. w. N.).
Hieran gemessen ist das Landgericht Bonn noch als mit der Sache befasst anzusehen, da die Vorlaufzeit der Entscheidung der Reststrafenaussetzung schon vor der Verlegung des Verurteilten am 27. Juli 2021 in die Justizvollzugsanstalt A. begonnen hat. Zu diesem Zeitpunkt war bereits der Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt angefordert und erstellt worden. Mit dessen Zugang wäre unter üblichen Umständen noch vor der Verlegung des Verurteilten zu rechnen gewesen (vgl. hierzu: OLG Hamm, a. a. O., Rn. 15). Dass vor einer rechtskräftigen Entscheidung noch ein Beschwerdeverfahren durchzuführen sein würde, war vorliegend konkret zu besorgen, weil die Staatsanwaltschaften Köln und Bonn divergierende Anträge gestellt haben.
Aus denselben Gründen kommt – entgegen der Ansicht des Landgerichts Bonn (VH Bl. 93) – eine Befassung des Landgerichts Siegen seit dem 27. August 2021 nicht in Betracht, weil zu diesem Zeitpunkt eine rechtskräftige Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB bis zum maßgeblichen zwei-Drittel-Termin am 16. September 2021 erst Recht nicht (mehr) gewährleistet war.”
Rz. 9
Dem tritt der Senat bei.
Unterschriften
Franke, Appl, Zeng, RiBGH Dr. Grube ist dienstlich verhindert und kann nicht unterzeichnen. Franke, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 14889987 |
NStZ-RR 2021, 390 |