Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 09.03.2005) |
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 9. März 2005 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von jeweils drei Jahren verurteilt. Ihre Revisionen sind, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 7. November 2005 dargelegt hat, unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat erachtet die Verfahrensrüge des Angeklagten S, das Landgericht habe es unterlassen, seinen Verteidiger Rechtsanwalt W zu den Hauptverhandlungsterminen zu laden (§ 218 Satz 1 StPO) – über die Auffassung des Generalbundesanwalts hinausgehend, der ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler ausschließt – bereits als unbegründet.
1. Der Senat entnimmt der Revision, der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft und dem Urteil insoweit folgenden Verfahrensgang:
Der am 31. August 2004 verhaftete Angeklagte wählte durch Zeichnung einer Vollmachtsurkunde die Rechtsanwälte L und W als Verteidiger. Rechtsanwalt W nahm die Wahl an. Er telefonierte am 1. September 2004 mit dem ermittelnden Staatsanwalt, und sicherte diesem zu, noch von der Staatsanwaltschaft zu übernehmende Aktenteile an den Rechtsanwalt weiterzuleiten, der als reiner Strafrechtler vom Angeklagten als Wahlverteidiger beauftragt werden würde. Rechtsanwalt W holte am 2. September 2004 zwölf Akten in Kartons bei der Staatsanwaltschaft ab und übergab diese – nach Durchsicht und Fertigung einer Handakte – am 9. September 2004 an Rechtsanwalt R, dem er einen Tag später zur Erleichterung des Einlesens mit der Bitte um Rückgabe nach Gebrauch auch seine Handakte zusandte. Unter Vorlage einer Vollmacht des Angeklagten nahm Rechtsanwalt R gegenüber der Staatsanwaltschaft die Wahl an und wies darauf hin, dass die Ermittlungsakte von dem Mitverteidiger W zur Verfügung gestellt worden sei. Rechtsanwalt … W besuchte den Angeklagten bis zum Jahresende 2004 mehrfach in der Untersuchungshaftanstalt. Der Angeklagte übersandte Rechtsanwalt … W am 5. Januar 2005 ein letztes über das Gericht geleitetes und als Verteidigerpost gekennzeichnetes Schreiben.
Am 18. November 2004 meldete sich Rechtsanwalt B durch Vorlage einer undatierten Vollmacht als weiterer Verteidiger bei der Geschäftsstelle der Strafkammer. Am gleichen Tag ging dort ein Schreiben des Angeklagten ein, in dem dieser klarstellte, dass er Rechtsanwalt B das Mandat entziehe. Der Vorsitzende stimmte am 23. November 2004 telefonisch mit neun Verteidigern einen dann für den 14. Dezember 2004 festgelegten Besprechungstermin zur Vorbereitung einer verfahrensverkürzenden Absprache ab. Im Gespräch mit Rechtsanwalt R drang er auf eine Klärung der Verteidigungsverhältnisse des Angeklagten. Rechtsanwalt … R teilte dabei mit, er sei alleiniger Verteidiger. Rechtsanwalt … W, der in Zivilrechtsstreitigkeiten tätig sei und von dem er in Abstimmung mit seinem Mandanten die Verteidigung übernommen habe, sei vom Angeklagten mit dessen zivilrechtlichen Angelegenheiten und derjenigen seiner Firma betraut. Der Vorsitzende beließ es danach bei der Ladung von Rechtsanwalt R zu der Besprechung vom 14. Dezember 2004 und den ab 4. Februar 2005 bestimmten Hauptverhandlungstagen als alleinigem Verteidiger des Angeklagten.
Der am 28. Januar 2005 zum Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt … R reichte am 1. Februar eine sieben Seiten umfassende, vom Angeklagten unterzeichnete Einlassung zur Gerichtsakte und kündigte an, dass der Angeklagte diese durch seinen Verteidiger in der Hauptverhandlung vortragen lassen werde. Der Vorsitzende der großen Strafkammer gab am ersten Verhandlungstag nach Verlesung der Anklage den Inhalt der auf eine Verfahrensverkürzung gerichteten Erörterungen der Verfahrensbeteiligten bekannt. Nachdem der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft seine Vorstellungen über das Strafmaß dargelegt hatte, sicherte die große Strafkammer nach Beratung dem Angeklagten zu, im Fall eines detaillierten Geständnisses eine Strafobergrenze von drei Jahren und acht Monaten Freiheitsstrafe nicht zu überschreiten. Am nächsten Tag der Hauptverhandlung wurde das vorbereitete Geständnis des Angeklagten verlesen und dann im Urteil zur Grundlage des Schuldspruchs genommen.
2. Rechtsanwalt W musste nicht zu der am 4. Februar 2005 beginnenden Hauptverhandlung geladen werden, weil der Angeklagte durch schlüssiges Verhalten auf eine Ladung dieses Verteidigers verzichtet hat.
Zwar hat Rechtsanwalt W seine Stellung als Wahlverteidiger durch die Erklärung des Verteidigers Rechtsanwalt R vom 23. November 2004 gegenüber dem Vorsitzenden der Strafkammer nicht verloren. Seiner Erklärung, er sei alleiniger Verteidiger und habe in Abstimmung mit dem Mandanten die Verteidigung von Rechtsanwalt W übernommen, ist keine Ermächtigung in dem Sinn und auch keine Erklärung des Inhalts zu entnehmen, Rechtsanwalt R erkläre für Rechtsanwalt … W die Niederlegung von dessen Wahlmandat. Im Blick auf die grundsätzlich eigenverantwortliche Wahrnehmung der Aufgaben durch jeden einzelnen Verteidiger liegt es fern, ohne besondere Ermächtigung lediglich aufgrund einer „Abstimmung mit dem Mandanten” eine Bevollmächtigung eines Verteidigers durch den ausscheidenden Verteidiger zur Mitteilung der Mandatsniederlegung anzunehmen.
Rechtsanwalt R hat darüber hinaus auch nicht als Vertreter des Angeklagten das Erlöschen der Vollmacht des Rechtsanwalts W dem Gericht angezeigt. Eine solche Anzeige kann durch den Vollmachtgeber zwar formlos erfolgen und sich auch aus dem Verhalten des Vollmachtgebers schlüssig ergeben (vgl. Wohlers in SK-StPO 36. Lfg. § 145a Rdn. 9). Für das Revisionsverfahren bleibt aber vorliegend offen, ob Rechtsanwalt R zu einer solchen Erklärung von dem Angeklagten bevollmächtigt war. Zwar ist aufgrund des Vortrags der Revision bewiesen, dass Rechtsanwalt R eine Verteidigungsvollmacht des Angeklagten zu der Akte gereicht hat. Danach war dieser Verteidiger zu allen Handlungen berechtigt, die zu der Verteidigung des Angeklagten zu rechnen sind. Dazu zählt aber nicht eine Mitwirkung bei der Bestimmung der Anzahl der Verteidiger. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Verteidigungshandlung, die von einem einzelnen Verteidiger vorgenommen werden kann, sondern um die Festlegung des Verteidigungsumfangs durch die Bestimmung der Anzahl der Verteidiger. Diese bleibt sachnotwendig der Entscheidung durch den Angeklagten vorbehalten und erfordert deshalb eine neben der Verteidigungsvollmacht erforderliche Vertretungsvollmacht (vgl. BGHSt 9, 356; Laufhütte in KK 5. Aufl. vor § 137 Rdn. 3).
Dass die Revision die vom Angeklagten für Rechtsanwalt R ausgestellte Vollmacht nicht vorgelegt hat und der Senat deshalb nicht prüfen kann, ob neben der Verteidigungs- auch eine Vertretungsvollmacht erteilt worden ist, macht die Revision vorliegend nicht unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die hier als Anzeige des Erlöschens der Verteidigungsvollmacht von Rechtsanwalt W zu würdigende Erklärung des Verteidigers R gegenüber dem Vorsitzenden konnte der Revision nicht bekannt sein. Der Vorsitzende hat sie nicht aktenkundig gemacht, sondern erst im Rahmen der Gegenvorstellung der Staatsanwaltschaft in einer dienstlichen Erklärung niedergelegt.
Eine Vertretung des Angeklagten durch Rechtsanwalt R bei der Klärung der Verteidigungsverhältnisse ist auch aufgrund der gesamten Umstände keinesfalls offensichtlich. Der Angeklagte hat die Dienste von Rechtsanwalt W noch bis zum Jahresende 2004 in Anspruch genommen und hat durch eigenes Schreiben, das am Tag der Erklärung von Rechtsanwalt R gegenüber dem Vorsitzenden bei Gericht eingegangen ist, selbst für eine Klarstellung der Verteidigungsverhältnisse insofern gesorgt, als er eine zuvor Rechtsanwalt B ausgestellte Verteidigungsvollmacht widerrufen hat.
3. Die Rüge der Verletzung des § 218 Satz 1 StPO ist gleichwohl unbegründet. Der Angeklagte hat durch schlüssiges Verhalten auf die Ladung von Rechtsanwalt W als seinem Verteidiger zu den Hauptverhandlungstagen verzichtet. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass weder in der rügelosen Einlassung noch im Unterlassen eines Aussetzungsantrags ein wirksamer Verzicht des Angeklagten auf die Anwesenheit seines gewählten Verteidigers gesehen werden kann (BGHSt 36, 259, 261; BGH NStZ 2005, 114). Ein solcher Verzicht setzt die Kenntnis des Angeklagten voraus, dass sein Verteidiger nicht geladen wurde und dass er deshalb die Aussetzung beantragen kann (BGHSt aaO m.w.N.).
Indes unterscheidet sich der hier vorliegende Sachverhalt grundlegend von den in BGHSt 36, 259 und BGH NStZ 2005, 114 beurteilten Fallgestaltungen. Der in diesen Entscheidungen anerkannte Rechtssatz steht deshalb der Entscheidung im hiesigen Verfahren nicht entgegen. Vorliegend handelt es sich nicht um ein schlichtes Übergehen eines Wahlverteidigers bei einer noch nicht festgelegten Verteidigungslinie, was in aller Regel die Verteidigungschancen des Angeklagten vermindern kann (vgl. BGH NStZ 2005, 114). Hier hat sich der Angeklagte schon vor Beginn der Hauptverhandlung unter Inanspruchnahme nur eines Verteidigers in seiner Verteidigungstaktik durch Ausarbeitung und Vorlage eines verfahrensverkürzenden Geständnisses so umfassend festgelegt, dass eine Mitwirkung des nicht geladenen, zudem als Verteidiger nicht aktiv gewordenen Rechtsanwalts den Verteidigungsinteressen des Angeklagten nicht mehr dienen und damit dessen Verteidigungschancen auch nicht mehr erhöhen konnte. Diese Interessenlage rechtfertigt es, jedenfalls in der Zusendung des nach Vorbesprechungen der Verfahrensbeteiligten gefertigten und von dem Angeklagten gezeichneten Geständnisentwurfs durch den „Wahlpflichtverteidiger” noch vor Beginn der Hauptverhandlung die schlüssige Erklärung des Angeklagten zu sehen, er wolle in der Hauptverhandlung ausschließlich von diesem Rechtsanwalt verteidigt werden und verzichte auf die Anwesenheit des weiteren Wahlverteidigers.
4. Die Rüge der Verletzung des § 218 Satz 1 StPO wäre unter den obwaltenden besonderen Umständen auch verwirkt (vgl. BGH NStZ 2005, 646, 647). Legt ein Angeklagter – wie hier – ein mit seinem „Wahlpflichtverteidiger” zuvor ausgearbeitetes Geständnis im Rahmen einer den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH Großer Senat NJW 2005, 1440, 1442 ff.) entsprechenden verfahrensverkürzenden Absprache im Beistand (nur) dieses Verteidigers ab, stellt solches im Blick auf die prozessentscheidende Bedeutung dieser Verteidigungshandlung auch eine Festlegung des Angeklagten für eine mit einem bestimmten Verteidiger zu verwirklichende Verteidigungstaktik dar. Mit einem Beharren auf einem weiteren, hier vom Vorsitzenden auf Grund nachvollziehbarer Würdigung der Verteidigungsverhältnisse nicht zur Hauptverhandlung geladenen, bislang inaktiv gebliebenen Wahlverteidiger setzte sich der Angeklagte zu seinem eigenen Prozessverhalten in einen so erheblichen Widerspruch, dass eine dahingehende Verfahrensrüge auszuschließen wäre (vgl. BGH aaO S. 1443).
Unterschriften
Harms, Häger, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2555503 |
NStZ 2006, 461 |
wistra 2006, 150 |
StV 2006, 284 |