Entscheidungsstichwort (Thema)
In Vorinstanz erfolgter Gehörsverstoß. Anhörungsrüge
Leitsatz (amtlich)
a) Mit einer Anhörungsrüge nach § 321a ZPO muss eine Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht werden. § 321a ZPO eröffnet keine Möglichkeit der Selbstkorrektur bei anderen Verfahrensverstößen.
b) Eine Anhörungsrüge gegen einen Beschluss, mit dem die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen worden ist, ist unzulässig, wenn sie sich nicht gegen eine neue und eigenständige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch den BGH richtet, sondern sich darauf beschränkt, bereits in der Berufungsinstanz erfolgte Gehörsverletzungen geltend zu machen. Die Anhörungsrüge kann nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass dem BGH im Zusammenhang mit der Überprüfung des in der Vorinstanz erfolgten Gehörsverstoßes ein Rechtsfehler unterlaufen sei.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 321a
Verfahrensgang
Tenor
Die Gehörsrüge gegen den Senatsbeschluss vom 19.7.2007 wird auf Kosten der Klägerinnen als unzulässig verworfen.
Gründe
[1] I. Die Anhörungsrüge ist unzulässig, weil sie sich nicht gegen eine neue und eigenständige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch den BGH richtet, sondern sich darauf beschränkt, bereits in der Berufungsinstanz begangene Gehörsverletzungen geltend zu machen.
[2] 1. Nach dem Plenarbeschluss des BVerfG vom 30.4.2003 (BVerfGE 107, 359 ff.) ist nur für jede "neue und eigenständige" Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch eine gerichtliche Entscheidung eine einmalige gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten. Sollte dem Rechtsmittelgericht im Zuge der Überprüfung, ob Art. 103 Abs. 1 GG in dem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren beachtet worden ist, ein Fehler unterlaufen, kann hierauf keine Anhörungsrüge gestützt werden. Denn die einmalige gerichtliche Überprüfung ist in diesem Fall erfolgt (BVerfGE 107, 359 Rz. 48, 50).
[3] Das BVerfG hat dazu in einem Kammerbeschluss vom 9.7.2007 klargestellt, dass der gegen eine Gehörsverletzung durch das Berufungsgericht nach Art. 103 Abs. 1 GG erforderliche Rechtsbehelf in ausreichendem Maße mit der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde gegeben ist. Es besteht daher kein verfassungsrechtliches Gebot, die Anhörungsrüge gegen eine Entscheidung des BGH über eine Nichtzulassungsbeschwerde zuzulassen, mit der gegen das Berufungsurteil gerichtete Gehörsrügen als Zulassungsgrund zurückgewiesen wurden (BVerfG, Beschl. v. 9.7.2007 - 1 BvR 646/06, NJW 2007, 3418, 3419).
[4] 2. § 321a ZPO geht nicht über den verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz hinaus (vgl. Gesetzentwurf, BT-Drucks. 15/3706, 1, 13). Die Vorschrift beschränkt sich auf Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Zuck, NJW 2005, 1226, 1228; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 321a Rz. 1; a.A. etwa Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 321a Rz. 3a, 7; Sangmeister, NJW 2007, 2363, 2366).
[5] Alleiniger Zweck des § 321a ZPO in der geltenden Fassung ist die Umsetzung des Plenarbeschlusses des BVerfG vom 30.4.2003. Sinn der Vorschrift ist es, eine Möglichkeit zur Selbstkorrektur von Entscheidungen zu schaffen, die ein Gericht unter Verletzung des rechtlichen Gehörs einer Partei getroffen hat, und dadurch das BVerfG von Verfassungsbeschwerden zu entlasten, die auf Gehörsverletzungen gestützt werden (vgl. Zuck, NJW 2005, 1226, 1228; Reichold in Thomas/Putzo, a.a.O.). Dieser Entlastungszweck kann nur bei Rügen erreicht werden, mit denen eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht wird und die deshalb zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemacht werden können. Unter "Anspruch auf rechtliches Gehör" i.S.v. § 321a Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist daher ausschließlich das nach Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete rechtliche Gehör zu verstehen.
[6] 3. Die Anhörungsrüge ist nur zulässig, wenn das rechtliche Gehör neu und eigenständig durch das Gericht verletzt worden ist, gegen dessen Entscheidung sich der Betroffene wendet. Die Klägerinnen hätten daher hier rügen müssen, dass der Senat mit dem Beschluss vom 19.7.2007 selbst neu und eigenständig ihren Anspruch auf rechtliches Gehör i.S.v. Art. 103 Abs. 1 GG verletzt habe (vgl. BSG, Beschl. v. 7.4.2005 - B 7a AL 38/05 B, NJW 2005, 2798; Seiler, AnwBl. 2006, 378). Daran fehlt es. Die Behauptung einer Gehörsverletzung im Zusammenhang mit den Gehörsrügen, die als Zulassungsgründe für die Nichtzulassungsbeschwerde vorgebracht worden sind, ist dazu ungeeignet.
[7] a) Das Berufungsgericht hat eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne ausdrücklich bejaht (BU 13 unten), so dass die Frage einer "Fortwirkung" vorausgegangener Zeichenverletzung nicht entscheidungserheblich war. Da der Senat deshalb die Verwechslungsgefahr nicht selbst beurteilt hat, können die Klägerinnen in diesem Zusammenhang auch keine neue und eigenständige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch den BGH geltend machen. Vielmehr rügen sie die Unvollständigkeit der tatrichterlichen Würdigung und dabei die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht.
[8] b) Die Rügen der Klägerinnen zu Gehörsverletzungen im Zusammenhang mit der Einrede mangelnder Benutzung, mit fehlenden tatrichterlichen Feststellungen zur Annahme erhöhter Kennzeichnungskraft sowie mit der Beurteilung der Ähnlichkeit der Zeichen beziehen sich sämtlich auf bereits für die Berufungsinstanz behauptete Gehörsverletzungen, die schon in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ausgeführt worden waren. Neue und eigenständige Gehörsverletzungen i.S.d. Art. 103 Abs. 1 GG durch den BGH machen die Klägerinnen auch insoweit nicht geltend.
[9] II. Im Übrigen hat der Senat bei seinem Beschluss vom 19.7.2007 den entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerinnen umfassend berücksichtigt. Er hat die Feststellung mittelbarer Verwechslungsgefahr durch das Berufungsgericht, die im Wesentlichen mit einem Verweis auf die Entscheidung des Berufungssenats im Verfahren EVIAN/REVIAN vom 24.2.2002 begründet worden ist, für rechtsfehlerfrei erachtet. Der Senat hat auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Frage der rechtserhaltenden Benutzung, der erhöhten Kennzeichnungskraft und der Waren- bzw. Zeichenähnlichkeit unter Berücksichtigung der Gehörsrügen der Klägerinnen überprüft, eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Gehörsverletzung oder auch nur einen Rechtsfehler des Berufungsgerichts jedoch nicht festzustellen vermocht.
Fundstellen
Haufe-Index 2001284 |
NJW 2008, 2126 |
BGHR 2008, 876 |
EBE/BGH 2008 |
FamRZ 2008, 1348 |
GRUR 2008, 932 |
MDR 2008, 878 |
WRP 2008, 956 |
PA 2008, 140 |
Mitt. 2008, 374 |