Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.01.2003) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. Januar 2003, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat schon mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, daß das Landgericht ihn durch die Ingewahrsamnahme am 21. Januar 2003 und die Ablehnung seines Antrags auf Verlegung bzw. Unterbrechung des Termins vom 23. Januar 2003 in einem wesentlichen Punkt in seiner Verteidigung beschränkt hat (§ 338 Nr. 8 StPO).
Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Hauptverhandlung umfaßte fünf Sitzungstage: (14., 15., 16., 21. und 23. Januar 2003). Der Angeklagte war zunächst nur von Rechtsanwalt H. verteidigt, der für ihn als Pflichtverteidiger bestellt worden war. Am 20. Januar 2003, nach dem dritten Hauptverhandlungstag, zeigte Rechtsanwalt G. an, daß er nunmehr vom Angeklagten bevollmächtigt sei und diesen als Wahlverteidiger vertrete. Er beantragte, die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückzunehmen, da das Vertrauensverhältnis zwischen diesem und dem Angeklagten ernsthaft gestört sei. Gleichzeitig beantragte Rechtsanwalt G., ihm Akteneinsicht zu gewähren und die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise diese zu unterbrechen. Diese Anträge lehnte die Strafkammer in der Sitzung vom 21. Januar 2003, an der auch Rechtsanwalt G. als Wahlverteidiger teilnahm, ab. Rechtsanwalt G. beantragte daraufhin, „wenigstens” den anstehenden Termin vom 23. Januar 2003 von 9.00 Uhr auf 13.00 Uhr zu verlegen, weil er erst am Ende der Sitzung vom 21. Januar 2003 die Strafakten erhalten werde. Da er am nächsten Tag in M. verteidige, sei es ihm nur bei einer zeitlichen Verschiebung des Termins möglich, ausreichend Akteneinsicht zu nehmen und die Sache mit dem Angeklagten zu besprechen. Am Ende der Sitzung wurden Rechtsanwalt G. die Akten ausgehändigt. Der Vorsitzende der Strafkammer ordnete außerdem an: „Gemäß § 231 Abs. 1 Satz 2 StPO wird die Inverwahrnahme des Angeklagten S. bis zur Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, 23.1.2003 um 9.00 Uhr angeordnet”. Sofort gestellte Anträge des Verteidigers auf Aufhebung oder Außervollzugsetzung der Inverwahrnahme, denen die Staatsanwaltschaft ausdrücklich nicht entgegentrat, lehnte der Vorsitzende ab und teilte des weiteren mit, der Termin vom 23. Januar 2003 finde um 9.00 Uhr statt, „gegebenenfalls könne eine Pause gemacht werden”. Die Maßnahmen des Vorsitzenden wurden im Rahmen von § 238 Abs. 2 StPO von der Strafkammer bestätigt. Der Angeklagte wurde am 21. Januar 2003 in die Justizvollzugsanstalt verbracht und zum Termin vom 23. Januar 2003 vorgeführt. In diesem Termin hat der Verteidiger des Angeklagten erneut die Aussetzung bzw. Unterbrechung beantragt und darauf hingewiesen, daß ihm auf Grund der Verhaftung des Angeklagten eine Besprechung der Sache mit diesem nicht möglich gewesen sei. Das Landgericht hat eine Unterbrechung erneut abgelehnt und an diesem Tag das Urteil verkündet. Den Beschluß über die Inverwahrnahme des Angeklagten hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main auf Beschwerde des Angeklagten am 12. Mai 2003 für rechtswidrig erklärt.
Die Revision beanstandet zu Recht die Ablehnung der Unterbrechung der Hauptverhandlung am 23. Januar 2003 zur Besprechung der Sache nach Akteneinsicht unter gleichzeitiger Ingewahrsamnahme des Angeklagten nach § 231 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Vorgehensweise der Strafkammer verletzt nachhaltig das Recht des Angeklagten auf eine sachgerechte Verteidigung.
Gegenstand des Strafverfahrens waren schwerwiegende Vorwürfe mit einer erheblichen Straferwartung, wie die verhängte Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten zeigt, gegen den die Tat bestreitenden Angeklagten. Dieser war in jeder Lage des Verfahrens berechtigt, neben oder anstelle des Pflichtverteidigers einen Verteidiger seiner Wahl mit seiner Verteidigung zu betrauen. Es kann offen bleiben, ob dabei dem Antrag auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers stattgegeben werden mußte oder inwieweit aus der Bestellung eines Wahlverteidigers Rechte des Angeklagten auf Aussetzung oder Unterbrechung des Verfahrens abgeleitet werden konnten. Eine Beeinträchtigung der Verteidigung im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO bedeutet es auf jeden Fall, wenn die Verteidigungsmöglichkeiten des neu gewählten Verteidigers und damit des Angeklagten ohne sachlichen Grund in erheblichem Umfang eingeschränkt werden. Dies ist hier durch die, wie das Oberlandesgericht zu Recht ausgeführt hat, völlig grundlose und damit rechtswidrige Inverwahrnahme des Angeklagten und die anschließende Ablehnung der zeitlichen Verlegung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung vom 23. Januar 2003 geschehen. Der Wahlverteidiger des Angeklagten war, wie er glaubhaft dargetan hat, durch dessen Aufnahme in die Haftanstalt gehindert, nach der Akteneinsicht die Sache mit dem Angeklagten zu besprechen. Diese Möglichkeit bestand erst wieder am Morgen des Sitzungstages vom 23. Januar 2003. Da aber das Landgericht eine Verlegung des Termins von 9.00 Uhr auf 13.00 Uhr abgelehnt hatte, war ihm auch diese Möglichkeit genommen. Durchgreifende Gründe für eine Ablehnung der Verlegung des Termins von 9.00 Uhr auf 13.00 Uhr sind nicht ersichtlich. Die erstmals im Beschluß vom 23. Januar 2003 auf den erneuten Unterbrechungsantrag genannten Gründe rechtfertigen die getroffenen Maßnahmen nicht, da dadurch die Behauptung des Verteidigers, er habe wegen der Inverwahrnahme des Angeklagten angesichts der Besuchszeiten der Justizvollzugsanstalt die Sache nicht mit diesem besprechen können, nicht widerlegt ist. Die Ablehnung der Verlegung des Termins vom 23. Januar 2003 von 9.00 Uhr auf 13.00 Uhr und die Ablehnung des in der Sitzung vom 23. Januar 2003 erneut gestellten Antrags auf Unterbrechung durch die Gerichtsbeschlüsse vom 21. und 23. Januar 2003 im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Ingewahrsamnahme stellen eine Verletzung des Rechts des Angeklagten auf sachgerechte Verteidigung dar. Diese unzulässige Beschränkung der Verteidigung betrifft auch einen für die Entscheidung wesentlichen Punkt im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO. Ein durchgreifender Verstoß ist zwar nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht (vgl. BGH NStZ 2000, 212 m. Anm. Hammerstein S. 326 = StV 2000, 402 m. Anm. Stern S. 404). Dies ist hier aber der Fall, zumal das angegriffene Urteil noch am 23. Januar 2003 verkündet wurde. Dem Angeklagten wurde durch die Beschlüsse das Recht auf Verteidigung durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens (vgl. dazu u.a. BVerfG StV 2002, 521) genommen. Der Verteidiger kann im Strafprozeß entsprechend § 140 Abs. 1 StPO nur dann sinnvoll „mitwirken” und die Interessen des Angeklagten wirksam wahrnehmen, wenn er den Sachverhalt ausreichend kennt, genügend über die Einlassung des Angeklagten zur Anklage unterrichtet ist und ein klares Bild von den Möglichkeiten gewonnen hat, die für eine sachgemäße Verteidigung bestehen. Zwar hatte Rechtsanwalt G. (ersichtlich ohne Akteneinsicht) in der Hauptverhandlung vom 21. Januar 2003 mehrere Beweisanträge gestellt, die aber alle, wie die Revision in anderem Zusammenhang aufzeigt, von der Strafkammer abgelehnt worden sind. Gerade auch deshalb besteht die Möglichkeit, daß der Wahlverteidiger nach Akteneinsicht und weiterer Information durch den Angeklagten auch noch gegen Ende der Beweisaufnahme sachgerechte Maßnahmen hätte veranlassen oder weitere für den Angeklagten sprechende Gesichtspunkte im Plädoyer hätte aufzeigen können, zumal das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten mit bedenklicher Begründung auch auf die Persönlichkeit des Angeklagten und seinen Eindruck von ihm in der Hauptverhandlung stützt (UA S. 19). Auf Grund der Gesamtumstände mußte dem Verteidiger nach der Akteneinsicht die Möglichkeit einer Besprechung mit dem Angeklagten gewährt werden. Eine solche Besprechung wurde durch die rechtswidrige Ingewahrsamnahme des Angeklagten am 21. Januar 2003 in Verbindung mit der Verweigerung einer geringfügigen Verschiebung des Hauptverhandlungstermins vom 23. Januar 2003 unmöglich gemacht. Damit wurde der Angeklagte schwerwiegend in seinem Recht auf angemessene Verteidigung beeinträchtigt.
Das Urteil kann deshalb schon aus verfahrensrechtlichen Gründen keinen Bestand haben.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Detter, Bode, Otten, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2557774 |
NStZ 2004, 637 |
ZAP 2004, 653 |
wistra 2004, 188 |
PA 2004, 103 |
StV 2004, 191 |