Entscheidungsstichwort (Thema)
Tatbestandsberichtigungsantrag. Erneute Befassung nicht entscheidungserheblicher Fragen. Verletzung von Verfahrensgrundrechten. Verletzung rechtlichen Gehörs. Gehörsrügenfrist. Inhalt des Sachverständigengutachtens. Überraschungsentscheidung
Leitsatz (amtlich)
Mit einer auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Gegenvorstellung kann nicht die erneute Befassung mit einer Frage erreicht werden, die als nicht entscheidungserheblich erkannt worden ist.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
BPatG (Aktenzeichen 4 Ni 7/99 (EU)) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Berichtigung des Tatbestands des Senatsurteils v. 7.9.2004 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Berichtigung des Tenors des Senatsurteils wegen offenbarer Unrichtigkeit bleibt vorbehalten.
Auf die Gegenvorstellung der Klägerin wird erneut in die mündliche Verhandlung über die Berufung eingetreten, soweit sich die Berufung dagegen richtet, dass das BPatG das Streitpatent auf die insoweit auf den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gestützte Nichtigkeitsklage im Umfang des Patentanspruchs 3 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt hat.
Im Übrigen wird die Gegenvorstellung zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Antrag der Klägerin auf Berichtigung des Tatbestandes des Senatsurteils v. 7.9.2004 ist unbegründet.
Wie sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und der Antragsbegründung (Schriftsatz v. 21.10.2004, S. 3, 4) ergibt, ist der Sachverständige in dem Umfang, in dem der Senat nach der Erörterung des technischen Sachverhalts mit den Parteien Erläuterungen und Ergänzungen des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen für erforderlich gehalten hat, befragt und gehört worden. Der Sachverständige stand während der gesamten Dauer der mündlichen Verhandlung für Fragen des Senats wie der Parteien zur Verfügung und hat in dem Umfang, in dem Fragen zu dem Gutachten und dem Vorbringen der Parteien an ihn gerichtet wurden, diese beantwortet. Ein Antrag, den gerichtlichen Sachverständigen von seiner Aufgabe zu entbinden und einen anderen Sachverständigen zu bestellen, ist zwar angekündigt, nach der Erörterung des Sach- und Streitstandes in der mündlichen Verhandlung aber nicht gestellt worden.
Der Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes des Senatsurteils ist daher zurückzuweisen. Eine mündliche Verhandlung über den Tatbestandsberichtigungsantrag ist nicht beantragt worden; der Senat hat sie auch nicht für erforderlich gehalten.
II.
1. Die Gegenvorstellung der Klägerin ist zulässig. Von Verfassungs wegen ist es geboten, dass ein Gericht seine gegen ein Verfahrensgrundrecht verstoßende Entscheidung selbst korrigiert (BVerfG v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395 ff. = MDR 2003, 886; Beschl. v. 16.9.2003 - X ZB 12/03, MDR 2004, 168 = BGHReport 2004, 58 = NJW 2004, 292), wenn die Gehörsrüge innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung der Entscheidung erhoben wird (BGH, Beschl. v. 8.9.2004 - X ZR 68/99, BGHReport 2005, 129 = GRUR 2004, 1061 - Kosmetisches Sonnenschutzmittel II).
2. Die fristgemäß erhobene Gegenvorstellung ist begründet, soweit mit ihr gerügt wird, der Senat habe im Urteil v. 7.9.2004 den auf den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gestützten selbständigen Angriff gegen Patentanspruch 3 des Streitpatents übergangen. Insoweit ist daher erneut in die mündliche Verhandlung über die Berufung einzutreten (vgl. auch den Gedanken des § 321a Abs. 5 ZPO i.d.F. des 1. Justizmodernisierungsgesetzes).
3. Dagegen bleibt die Gegenvorstellung ohne Erfolg, soweit die Klägerin im Übrigen eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht.
Die Klägerin rügt insoweit, der Senat habe sich in seinem Urteil nicht mit dem befasst, was der gerichtliche Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten zur Lehre des Streitpatents, zum entgegengehaltenen Stand der Technik und zu dessen Relevanz für die Beurteilung der Patentfähigkeit des Streitpatents ausgeführt und was sie - die Klägerin - selbst unter Bezugnahme auf diese Ausführungen des Sachverständigen vorgetragen habe. Das komme einer (faktischen) teilweisen Stattgabe des Antrags der Beklagten gleich, den gerichtlichen Sachverständigen von seiner Aufgabe zu entbinden, und das Urteil des Senats stelle insoweit eine Überraschungsentscheidung dar. In dem Urteil des Senats sei die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents ausschließlich mit den Merkmalen 4 bis 4.2 begründet worden. Dabei sei der Senat nicht auf ihr Vorbringen eingegangen, aus dem zwischen den Parteien ergangenen, ein anderes Patent betreffenden Senatsurteil v. 21.10.2003 (BGH, Urt. v. 21.10.2003 - X ZR 220/99) ergebe sich, dass der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 dem Fachmann durch die deutsche Offenlegungsschrift 32 07 074 und die US-Patentschrift 3 491 681 nahe gelegt sei.
Diese Rügen sind nicht begründet. Der Senat hat den klageabweisenden Teil seiner Entscheidung damit begründet, dass der Fachmann aus dem Stand der Technik keine Anregungen erhalten habe, mehrere Tintenabsorbierungsmittel unterschiedlicher Porenweite so in einem derart gestalteten Tintenversorgungstank anzuordnen, dass das Tintenabsorbierungsmittel mit der größeren Porenweite von der Tintenversorgungsöffnung entfernt und das Tintenabsorbierungsmittel mit der geringeren Porenweite nahe der Tintenversorgungsöffnung zu liegen kommt, so dass Tinte von dem Porenelement mit größerer Porenweite zu dem Porenelement mit geringerer Porenweite und von diesem zur Tintenversorgungsöffnung fließt. Dazu hat er sich im Einzelnen mit dem Stand der Technik einschließlich der beiden von der Gegenvorstellung angeführten Druckschriften auseinander gesetzt. In diesem Zusammenhang bedurfte es weder einer Erörterung des Urteils v. 21.10.2003 noch des schriftlichen Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen. Das Urteil des Senats v. 21.10.2003 befasst sich nämlich nicht mit der Frage, ob die Verwendung mehrerer Tintenabsobierungsmittel unterschiedlicher Porenweite nahe gelegen hat, da das Streitpatent des Rechtsstreits - X ZR 220/99, ein solches Merkmal nicht enthielt. Ebenso wenig finden sich zu dieser Frage, die im Übrigen eine Rechtsfrage ist, die nicht von dem Sachverständigen, sondern vom Gericht zu entscheiden ist (BGH, Urt. v. 25.11.2003 - X ZR 162/00, BGHReport 2004, 610 = MDR 2004, 584 = GRUR 2004, 411 [413] - Diabehältnis), Erwägungen im Gutachten, die der Senat nicht der Sache nach bei der Diskussion des Standes der Technik erörtert hätte, insb. auch nicht an den von der Gegenvorstellung aus der schriftsätzlichen Stellungnahme der Klägerin zum Gutachten zitierten Stellen. Dass der Senat für die Beurteilung der von ihm als entscheidend angesehenen Frage relevanten Streitstoff übergangen hätte, zeigt die Gegenvorstellung hiernach nicht auf. Die erneute Befassung mit Fragen, die als nicht entscheidungserheblich erkannt worden sind, kann mit einer auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Gegenvorstellung nicht erreicht werden.
Soweit sich aus der mündlichen Verhandlung ergänzende Fragen an den Sachverständigen ergeben haben, sind diese gestellt und beantwortet worden und haben ihren Niederschlag in den Entscheidungsgründen gefunden. Vor dem Schluss der Beweisaufnahme ist beiden Parteien ausdrücklich Gelegenheit zur Erörterung von Fragen gegeben worden, die bis dahin nicht angesprochen worden sind und aus ihrer Sicht erörterungsbedürftig erschienen.
Fundstellen
Haufe-Index 1343834 |
BGHR 2005, 1006 |
GRUR 2005, 614 |
WRP 2005, 754 |